Die Windkraft gilt als besonders rentabel, ihre Entwicklung wird aber dennoch gebremst. Das könnte bald nicht mehr funktionieren

Wer Energiewirt wird

d'Lëtzebuerger Land vom 13.09.2013

„Piloten sagen mir, unser Land erkenne man leicht aus der Luft. Rund um seine Grenzen stünden lauter Windkraftwerke. In Luxemburg dagegen sei fast nichts zu sehen.“ Daniel Christnach erzählt diese Anekdote. Beim Energieversorger Enovos Luxemburg ist er der für erneuerbare Energien zuständige Manager. „Fast nichts“ ist sicherlich ein relativer Eindruck beim Anflug auf das Großherzogtum. Immerhin zählte die Marktregulierungsbehörde ILR Ende vergangenen Jahres hierzulande 51 Windräder. Verglichen mit dem nahen Ausland aber ist das nicht viel. 2011 hatte Enovos ausgerechnet, dass in Luxemburg 17 Kilowatt Windkraft pro Quadratkilometer Landesfläche installiert waren, in Wallonien 26 und in Lothringen 27. Im Saarland waren es 52 und in Rheinland-Pfalz sogar 87 Kilowatt pro Quadratkilometer.

Seitdem tat sich zwar auch hierzulande etwas, nahm die Gesamt-Windkraftleistung um ein Drittel auf 58,3 Megawatt zu. Laut dem 2010 von der Regierung verabschiedeten Aktionsplan Erneuerbare Energien soll sie bis zum Jahr 2020 auf 131 Megawatt steigen. Daraus sollen dann fast 240 Gigawattstunden Strom im Jahr gewonnen werden, drei Mal soviel wie die 77,5 Gigawattstunden von 2012 und genug zur Versorgung von 53 000 Haushalten. Das klingt gut, aber im Flächenvergleich brächte es Luxemburg damit lediglich auf 51 Kilowatt pro Quadratkilometer. Und wäre 2020 knapp auf dem Stand wie das Saarland zehn Jahre zuvor.

Ist Luxemburg dabei, eine Chance zu verpassen, in weitaus größerem Stil Strom aus erneuerbaren Quellen zu produzieren? Obendrein noch ziemlich preiswert, wo doch der für Energie zuständige Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP), seit er das Amt vor anderthalb Jahren übernahm, die Windkraft immer wieder für ihr besonders gutes Preis-Leistungs-Verhältnis lobt? Erst letzte Woche berichtete die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit aus der Windkraft-Boomregion Eifel, in der immer mehr Landwirte dabei sind, „Energiewirte“ zu werden und in Zusammenschlüssen Wind-, Biogas- und Solarstromanlagen betreiben. Im Dorf Üttfeld, keine 15 Kilometer Luftlinie von der luxemburgisch-deutschen Grenze entfernt, unterhält eine Bauerngenossenschaft neun Windräder. So viele auf einmal sind in Luxemburger Windparks noch immer selten.

„Wir könnten viel mehr machen“, sagt Henri Kox, Abgeordneter der Grünen und Präsident des Erneuerbare-Energien-Lobbyverbands Eurosolar Luxemburg. 2012 hatte Eurosolar eine eigene Schätzung veröffentlicht, nach der bis 2020 drei Mal so viel Windkraft installiert sein könnte, wie im Aktionsplan der Regierung steht. Nicht zuletzt auch durch das so genannte Repowering bestehender Anlagen, bei dem der Generator durch einen leistungsstärkeren ersetzt wird.

Wie viel möglich ist, ist jedoch eine in mehrfacher Hinsicht politische Frage. Es gebe nicht nur zu wenig Dynamik, klagt Kox. „Sondern auch nicht genug Planungssicherheit, und das ist in zwei Legislaturperioden nicht besser geworden.“ Wahlkampfaussagen gegen den zuständigen Minister und LSAP-Spitzenkandidaten für den Urnengang am 20. Oktober? Sicherlich auch das, aber nicht nur. Es stimmt ja, was der Vizepräsident des Mouvement écologique, Paul Polfer, feststellt: „Hinter der Windkraft steht eine ganze Industrie.“ Da müsse man sich um diese Form der Grünstromproduktion eigentlich die wenigsten Sorgen machen.

Sorgen aber hat die Industrie. Sogar solche, die es denkbar erscheinen lassen, das Windkraftziel aus dem Aktionsplan der Regierung könnte womöglich verfehlt werden. Die „Industrie“ sind Enovos Luxemburg und die Société électrique de l’Our (SEO). Seit drei Jahren sind sie mit ihrem Joint venture Soler S.A. gemeinsam in Sachen Grünstrom tätig. Vorher war die SEO, die neben dem Pumpspeicherwerk Vianden auch die Wasserkraftwerke am Stausee Obersauer, in Rosport und in Ettelbrück betreibt, ab den Neunzigerjahren die industrielle Windkraft-Pionierin hierzulande. Dadurch hält Soler heute an drei anderen Windkraft-Betreibergesellschaften Mehrheitsbeteiligungen und ist hauptverantwortlich für 87 Prozent der heimischen Windstromproduktion. Wegen ihres Knowhows, aber auch wegen ihrer Finanzkraft – ein Megawatt Windkraft kostet über den Daumen gepeilt rund 1,5 Millionen Euro an Investitionen – ist Soler nicht wegzudenken aus der Konzeption neuer Windparks.

Die aber sei „schwierig“, sagen Enovos-Manager Christnach und Paul Zeimet, der Generalsekretär der SEO. Sie können aufzählen, dass nächstes Jahr der Wandpark Kehmen-Heischent ausgebaut, dass 2015 bis 2016 einer in Wiltz und einer in Huldange fertiggestellt würde. Für die Zeit danach werden ihre Prognosen vorsichtiger. 2017 würden „weitere“ Parks folgen. Projekte in Garnich und Dalheim können Christnach und Zeimet noch erwähnen, „weil die schon öffentlich vorgestellt wurden“.

Der Grund für die Zurückhaltung: „Aus jedem zweiten Vorhaben wird am Ende nichts, weil irgendein K.O.-Kriterium auftaucht“, so Zeimet. Sei es, dass sich herausstellt, dass eine Windmühle wahrscheinlich doch nicht den erhofften Ertrag bringt. Sei es, dass sich ergibt, dass der Schallpegel ihrer rotierenden Schaufeln zu stark wäre für eine nahe gelegene Wohnsiedlung, oder dass er Fledermauskolonien oder brütende Vögel stört.

Oder sei es, dass die lokale Bevölkerung aufbegehrt. Jahrelangen Widerstand habe es gegen den geplanten Windpark Hosingen-Pütscheid gegeben, berichtet Zeimet, bis sich das vor zwei Jahren änderte. Dass der Park, mit sechs Maschinen zu je 2,3 Megawatt ein für Luxemburg großer, nun doch nicht realisiert werden könne, entschieden unlängst Innenminister Jean-Marie Halsdorf und Transportminister Claude Wiseler (beide CSV): Im Umkreis von bis zu sechs Kilometern um einen Flugsicherungsradar seien Windmühlen nicht erlaubt. In diesen Radius fiele der Windpark Hosingen-Pütscheid – falls in Hosingen tatsächlich jene Radaranlage installiert würde, die vor sechs Jahren eingekauft wurde, aber noch immer nicht einmal ausgepackt ist (siehe nebenstehenden Text). „Ein Glück“, kommentiert Zeimet trocken, „dass sich das nicht erst während der definitiven Genehmigungsprozedur ergeben hat – dann hätten wir noch mehr Geld und Zeit umsonst investiert.“

Das klingt, als sei auch für den Windkraftausbau eine Simplification administrative überfällig. Dass sich die beiden Manager eine „Karte“ wünschen, die alle günstigen Windstandorte enthält „und dazu wenigstens noch den Vermerk, wo keinesfalls gebaut werden darf“, leuchtet ein.

Ihr Wunsch ist aber nicht nur einer nach besserer Zusammenarbeit staatlicher Verwaltungen. Er ist auch ein Hinweis darauf, dass die Energiepolitik des seit neun Jahren LSAP-geführten Wirtschaftsministeriums an einen Scheideweg geraten ist.

Denn in den Neunzigerjahren war von der Agence de l’énergie, einem Gemeinschaftsunternehmen des Staates und der damaligen Cegedel, ein Wandatlas der besten Standorte veröffentlicht worden. Ein Update des Atlas, in den man auch Lärm-, Natur- und Vogelschutzrestriktionen hätte eintragen können, aber war vom Wirtschaftsministerium nicht gewollt. Unter Minister Jeannot Krecké und seinem Ersten Regierungsrat Etienne Schneider, der dem Verwaltungsrat der SEO vorsaß, wurde lieber ihr die Erstellung eines firmeneigenen, nicht öffentlichen Windkatasters überlassen. Das vermied, dass auf potenziellen Windkraftstandorten die Grundstücksspekulation anziehen konnte, und schützte Soler vor der Konkurrenz ausländischer Windkraft-Investoren. Immerhin: Mag die Fachliteratur Luxemburg auch einen „Schwachwindstandort“ nennen, ist das grenznahe Ausland nicht unbedingt besser gestellt. Die garantierte Einspeisevergütung pro Megawattstunde Windstrom ermöglicht dennoch, dass eine Investition in einen Windpark sich nach rund acht Jahren amortisiert hat. Weil der Einspeisetarif für 15 Jahre garantiert ist, produziert eine Windmühle für sieben Jahre neben Strom noch eine schöne Rendite von um die acht Prozent im Jahr. Wenngleich die auch davon abhängt, wie viel Wind bläst.

Doch wie die Dinge liegen, rächt sich nun, dass der Staat nicht mal in Ansätzen den Windkraftausbau nach Standorten plant, sondern alles den Akteuren am Markt überlassen ist. Obwohl die Umweltverwaltung Windkraftprojekte mit Priorität prüft, dauert es vier bis fünf Jahre, ein Dossier genehmigungsfähig zu bekommen. In Deutschland sind es nur zwei Jahre.

Politisch unumstritten war dieser Ansatz nie. Nicht nur von Verbänden wie dem Mouvement écologique – „Wir haben dem Wirtschaftsministerium immer gesagt, eine umfassende und öffentliche Windkraft-Kartografie müsse her“, so Paul Polfer – oder Eurosolar. Auch aus den Fraktionen der Grünen, der DP und sogar von Koalitionspartnerin CSV wurde nach einem staatlichen Plan sectoriel für Windmühlen verlangt. Seit Etienne Schneiders Amtsantritt häufen sich parlamentarische Anfragen dazu. Seine Antwort lautete bisher stets, der Staat lege lediglich über die Einspeisetarife Rahmenbedingungen fest. Nun aber fänden es Enovos und SEO gar nicht schlecht, wenn ein landesweiter Konsens in der Bevölkerung, „wie viel Windkraft wir wollen“, hergestellt würde. Wer aber sollte diese Diskussion anstoßen, wenn nicht die Regierung?

Er finde trotzdem nicht, dass eine „weitergehende Windkraftpolitik nötig“ sei, meint der vom Land darauf angesprochene Wirtschaftsminister. Am 1. Januar 2014 sollen die Windstrom-Einspeisetarife um elf Prozent steigen, da könnten auch weniger attraktiver Standorte erschlossen werden. Und in der Bevölkerung werde die Windkraft-Akzeptanz zunehmen, wenn Gemeinden einen „Klimapakt“ mit dem Staat abschließen, wie das seit letztem Jahr möglich ist, glaubt Schneider. Um festzustellen, ob der Windmühlenbau womöglich abkommt vom Kurs, den der Aktionsplan festlegt, werde aber ein „Monitoring“ eingeführt.

Mit der Vermutung, dass die Windkraft-Akzeptanz bei den Bürgern zunehmen werde, könnte der Minister aber womöglich stärker Recht behalten, als ihm lieb sein kann mit seiner Absage an staatliche Standortplanung. Keine öffentliche Diskussion darüber zu führen, wie viele Windmühlen man wo will, und stattdessen die Planung den Marktakteuren zu überlassen, hat bislang zum Nebeneffekt, dass Windkraft öffentlich als ein Übel wahrgenommen wird, mit dem man klarkommen muss, weil EU-Vorgaben für erneuerbare Energien das verlangen – und das letztlich teuer zu stehen kommt.

Vielleicht aber ändert sich das schon bald. Enovos und SEO wissen schon jetzt aus Erfahrung, dass in der Bevölkerung die Akzeptanz von Windmühlen in der Nachbarschaft steigt, wenn Gewinnbeteiligungen winken. Bereits 1998, als die SEO half, den Wandpark Hengischt als einen der landesweit ersten zu realisieren, wurde ein Fünftel des Kapitals der Betreibergesellschaft für Bürgerbeteiligungen geöffnet. Zwar wurden erst fünf Jahre später von 2 560 möglichen Aktien lediglich 827 Stück an 23 Einwohner verkauft. Doch heute, da die Wandpark Hengischt S.A. eine Erweiterung der Anlage plant, seien die Bürger „gar nicht mehr so zurückhaltend, wie sie es vor zehn Jahren trotz aller Businesspläne und der Risikobroschüre der Finanzmarktaufsicht CSSF waren“, sagt Émile Eicher (CSV), der Bürgermeister der Fusionsgemeinde Clerf, die die Nachfolgerin von Heinerscheid im Kapital des Windparkbetreibers wurde: „Wer 2003 Anteile kaufte, sagt heute, das war das Gescheiteste, was ich tun konnte.“ Acht Prozent jährliche Rendite im Schnitt seien schließlich „enorm“.

Dass der Kauf von Windkraft-Aktien sich lohnt, könnte sich herumsprechen. Der Wandpark Kehmen-Heischent, der in der ersten Ausbaustufe 2004 ans Netz ging, war der zweite, in dem Soler eine Bürgerbeteiligung anbot. Der Park in Binsfeld, mit 15 Megawatt ein großer, der 2012 fertiggestellt wurde, wird der dritte sein. Soler öffne prinzipiell bis zu 20 Prozent des Kapitals für Gemeinden und Bürger, erklärt Paul Zeimet, und mit Enovos denkt die SEO schon weiter: An die Gründung eines „Windfonds“, in dem nicht nur Einlagen von Bürgern gesammelt würden, die dort wohnen, wo ein Windpark gebaut wird, sondern der allgemein offen steht.

Henri Kox von Eurosolar fände das gut: „Das könnte einen Aufschwung bewirken.“ Abgesehen davon entstand 2012 in Junglinster die erste Genossenschaft, die erneuerbare Energien und Energieffizienz fördern will. 142 Mitglieder hat sie schon. Initiator ist der frühere Grünen-Präsident Christian Goebel, der aber betont: „Bei uns geht es nicht ums Geldverdienen, sondern in erster Linie um die gute Sache.“ Anteile würden nur zu zwei Prozent verzinst – immerhin mehr, als derzeit auf jedes Sparkonto zu haben ist –, und egal wie viele Anteile man erwirbt, gelte: ein Genossenschafter, eine Stimme. Die Kooperative mit dem etwas schwer leserlichen Namen Equinercoop, deren erstes Projekt eine Solarstromanlage in Junglinster ist, könne ohne Weiteres landesweit aktiv werden, falls sie das beschließt. Anfragen potenzieller Nachahmer gebe es ebenfalls, sagt Goebel. „Auf jeden Fall bringt man damit die Leute der Problematik von Energieerzeugung und Energiesparen näher, tut etwas für die heimische Wirtschaft und beugt vielleicht vor, dass wir in zehn Jahren, wenn Energie allgemein teurer wird, in eine Preisfalle tappen.“

Mit solchen Entwicklungen von unten her folgt Luxemburg einem Trend, den es in Deutschland und Belgien schon länger gibt. In Deutschland ist laut Statistik jeder sechzigste Bürger Energieproduzent. Dass die Energieversorgung auch hierzulande „immer dezentraler“ werde, steht für Enovos fest: Unternehmensintern werde bereits diskutiert, wie man sich darauf strategisch einstellt, sagt Daniel Christnach.

Grünstromerzeugung, die auch für die Bürger immer interessanter wird, brächte in Luxemburg aber eine politische Zäsur mit sich. „Ausdrücklich“ würde er die Einrichtung eines allgemein zugänglichen Windfonds begrüßen, sagt Etienne Schneider, weil das „die Akzeptanz der Windkraft steigern“ werde. Was der Minister nicht anspricht, Henri Kox von Eurosolar aber kommen sieht, ist „die Kostendiskussion“.

Denn die erhöhten, auf 15 Jahre garantierten Einspeisetarife, aus denen sich auch eine Rendite für Windmühlen ergibt, werden aus dem Kompensa-tionsfonds finanziert, in den die Verbraucher anteilig pro Kilowattstunde jeglichen verbrauchten Stroms einzahlen. Dass der Kompensationsfonds möglichst nicht zu groß werde und der Strompreis dadurch zu stark steige, war bisher eine der größten energiepolitischen Sorgen aller Wirtschaftsminister, die am Ende lieber Unternehmen mit hohem Stromverbrauch schützten, als viel Reklame für grünen Strom zu machen. Was aufgrund von EU-Vorgaben gemacht werden musste, überließ man vorzugsweise den großen Energiebetrieben mit dem Staat, RWE oder E.on im Aktionariat.

Nun beginnt die Situation sich zuzuspitzen. Während offensichtlich das Interesse an grüner Energie wächst, wird der dieses Jahr 38 Millionen Euro schwere Kompensationsfonds nicht nur deshalb mit 13 Millionen aus dem staatlichen Kio-to-Fonds – und damit vor allem von ausländischen Tanktouristen – bezuschusst, um die Industrie und vor allem Arcelor-Mittal mit ihren Elektroöfen zu schonen. Sondern auch eine mittelständische Branche wie den IT-Sektor mit seinen Serverfarmen. Wer sich dort umhört, kann erfahren, dass die im EU-Vergleich niedrigen Luxemburger Strompreise ein Riesenvorteil seien – und nicht wenigen Cloud-Computing-Firmen kann der bessere Anschluss Luxemburgs an das französische Netz und billigen Atomstrom gar nicht schnell genug gehen. Vielleicht kommt schon die nächste Regierung nicht umhin zu fragen, „was wir wollen und was uns das wert ist“, sagt Henri Kox. „Denn wenn die meisten das Atomkraftwerk in Cattenom doch nicht wollen und Kohlekraft ebenfalls aus der Mode kommt, muss man ja fragen: Was kommt dann?“

Peter Feist
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