Es war ihr erster Auftritt auf europäischer Bühne: Nachdem sich Ursula von der Leyen, designierte Chefin der EU-Kommission, Anfang der Woche mit den Parlamentariern der europäischen konservativen EVP-Fraktion und der Delegation der CDU/CSU-Abgeordneten in Straßburg getroffen hat, trat die derzeitige Bundesverteidigungsministerin für ein kurzes Statement vor die Presse. Sie sprach wenige Sätze in Englisch und Deutsch. Fragen waren nicht zugelassen. Sie sei „überwältigt, dankbar“ und fühle sich sehr geehrt, benannt worden zu sein. „Mir war es sehr wichtig, dass ich sofort als allererstes hier nach Straßburg gekommen bin, um das Parlament zu treffen, mit den Abgeordneten zu sprechen. Hier im Europaparlament schlägt das Herz der europäischen Demokratie.“
Es klang, als wolle sie abheilen, was die europäischen Staats- und Regierungschefs als Personalpaket ausgekungelt hatten. Zwar hatten die einzelnen Fraktionen des EU-Parlaments sich zur letzten Europawahl auf Spitzenkandidaten geeinigt, doch von diesen sollte nun keine oder keiner Erster Europäer in der Union werden. Stattdessen Ursula von der Leyen, in den letzten Wochen und Monaten eher glücklose Anführerin der Bundeswehr. Sie hat nun zwei Wochen Zeit in Brüssel und Straßburg wie in anderen europäischen Hauptstädten zu antichambrieren und gute Stimmung für sich zu machen. „Mir ist wichtig, dass ich viel zuhöre, viel mitnehme“, schloss von der Leyen.
Vor allem in Berlin wird sie auf Gut-Wetter machen müssen. Denn der EX-SPD-Vorsitzende und ehemalige Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte dort den Vorwurf erhoben, bei der Nominierung von der Leyens sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen: „Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel Ursula von der Leyen ohne Kabinettsbeschluss benennt, ist das ein klarer Verstoß gegen die Regeln der Bundesregierung – und ein Grund, die Regierung zu verlassen. Die Nominierung sei ein „beispielloser Akt der politischen Trickserei“. Demnach hätte die Verteidigungsministerin erst von Deutschland als EU-Kommissarin benannt werden müssen. Jedem Mitgliedsstaat der EU stehe nur ein Mitglied in der Kommission zu. Die nationale Nominierung müsse aber durch die Bundesregierung erfolgen, so Gabriel. Was die Bundesregierung, in Person des Regierungssprechers Steffen Seibert, sofort zurückwies: Der Europäische Rat habe die Pflicht, dem Europaparlament einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorzuschlagen. Die anderen Mitglieder der EU-Kommission hingegen müssten nach den Regeln der Europäischen Verträge zunächst von den nationalen Regierungen ernannt werden. Bei der Nominierung von der Leyens am Dienstag dieser Woche hatte sich Kanzlerin Merkel enthalten, weil die SPD als Koalitionspartner in Berlin diese Entscheidung nicht teilte. Immerhin: Im Baltikum freute man sich über die Nominierung von der Leyens und in einer gemeinsamen Erklärung äußerten die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius ihre Unterstützung für die Deutsche. Man verwies dabei vor allem auf ihre pro-europäische Haltung und ihre Rolle bei der Stärkung der Sicherheit der drei EU- und Nato-Staaten im Nordosten Europas.
Am 16. Juli soll sich von der Leyen im Parlament zur Wahl stellen. Dann wird sich zeigen, ob der mühsam ausverhandelte Personalpakt Bestand hat. Mit der Wahl des David Sassoli holperte dessen Umsetzung am Mittwoch dieser Woche los. Immerhin brauchte der italienische Sozialist zwei Wahlgänge und das Versprechen, nur eine halbe Legislaturperiode das Amt innehaben zu wollen, um zum Präsidenten des EU-Parlaments gewählt zu werden. Die Französin Christine Lagarde soll Chefin der Europäischen Zentralbank werden, womit der französische Präsident Emmanuel Macron sein Gesicht wahren durfte. Und so reiht sich nach dem langen Personalpoker von Brüssel ein glückliches Siegerlächeln an das nächste.
Dennoch gibt es auch Verlierer. Da ist zum einen das Europäische Parlament, das zwar durchsetzen konnte, dass es das Modell des gemeinsamen Spitzenkandidaten gebe und sich davon mehr Demokratie und mehr Begeisterung für Europa erhoffte. Doch ließ das Parlament eine entscheidende Frage unbeantwortet: Was ist eine Spitzenkandidatur überhaupt wert, wenn diese Person nicht von allen Bürgerinnen und Bürgern der EU gewählt werden kann? Das ist der eigentliche Grund dafür, dass etwa Manfred Weber von der konservativen EVP seinen Anspruch auf den europäischen Spitzenposten nicht untermauern konnte und das Europäische Parlament sich das Heft des Handelns völlig aus der Hand nehmen ließ. Die Fraktionen im EU-Parlament gut beraten gewesen, ob dem Wahlausgang sich rechtzeitig zusammenzuraufen und auf eine Anwärterin oder einen Anwärter zu einigen – und diesen selbstbewusst gegen den Europäischen Rat zu positionieren. Hier scheiterte das Parlament an sich selbst.
Verlierer sind auch die drei Spitzenkandidaten Margarethe Vestager, Frans Timmermans und Manfred Weber. Allen voran letzterer. Er traute sich selbst zu, was kaum ein anderer ihm zutraute, dass er tatsächlich das Format und die Statur habe, EU-Kommissionspräsident zu sein. Er wurde nun, wie Vestager und Timmermans auch, zur Seite geschoben und wegmoderiert. Vielleicht wird er mit irgendeinem Posten im Brüsseler Betrieb entschädigt, doch der Nimbus wird nun immer an ihm hängen, dass er der Mann war, der wollte, aber nicht durfte, weil er es nicht konnte. In Deutschland wird die Große Koalition an der Personalie von der Leyen nicht scheitern. Letztendlich wird auch sie – unter dem Aspekt der höchsten Gesichtswahrung – nach Brüssel weggelobt, weil sie im Bundesverteidigungsministerium ob der Vielzahl der Skandale kaum noch zu halten war. Ihr Nachfolger im Amt soll nun Jens Spahn werden.