Anfang Oktober drückten die Finanzminister des G-20-Gipfels in Lima ihren Stempel auf die Abschluss-Berichte des Beps-Projektes der OECD. Beps ist die Abkürzung für base erosion and profit shifting, Ausdruck, der beschreibt, wie die multinationalen Konzerne – kleinere Firmen haben nicht die Mittel, dies zu organisieren – das versteuerbare Einkommen klein rechnen und Gewinne aus Ländern mit höheren Steuern in solche mit niedrigeren Steuersätzen verschieben. Finanzminister Pierre Gramegna (DP), der die EU-Länder als Ratsvorsitzender in Lima vertrat, bezeichnete die Beps-Vorschläge als „nichts weniger als eine Revolution in Sachen internationaler Unternehmensbesteuerung“. Die OECD arbeitet seit Jahren an diesem Projekt und legte 2013 einen ersten Zwischenbericht vor, dem die G-20 in Sankt Petersburg ihre Zustimmung gaben. Der Abschlussbericht setzt sich aus 15 einzelnen Berichten zusammen, Aktionen genannt. Ihr Inhalt wird maßgeblichen Einfluss auf den Inhalt der Steuervorbescheide haben, der Rulings, wie sie auch die Luxemburger Steuerverwaltung internationalen Konzernen ausstellte.
Aktion 1 beschäftigt sich mit den Herausforderungen der digitalen Ökonomie, welche das Beps-Phänomen verstärken durch die Fragmentierung von Geschäftsaktivitäten, immaterielle Anlagewerte, also geistiges Eigentum oder Schwierigkeiten bei der Erhebung der Mehrwertsteuer. Da es viele Überschneidungen mit anderen Aktionen gibt und der technologische Fortschritt die Steuerspezialisten vor immer neue Herausforderungen stellt, soll 2016 ein großer Beps-Monitoring-Prozess entwickelt werden und bis 2020 ein Bericht über die spezifischen Aspekte der Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle erstellt werden.
Aktion 2 zielt darauf ab, sogenannte „Hybride“ abzuschaffen, die entstehen, wenn Einkommensarten in den Ländern nicht gleichbehandelt werden. So kann es dazu kommen, dass beispielsweise eine Zinszahlung, die einer Firma steuerlich absetzbare Kosten in einem Land verursacht, einer Firma in einem anderen Land ein nicht versteuerbares Einkommen verschafft. Hybride Konstruktionen ermöglichen auch das Absetzen derselben Kosten in gleich mehreren Ländern oder das Ansammeln von Steuerkrediten in mehreren Ländern für diese Ausgabe. Künftig sollen solche Zins- oder Dividendenzahlungen nicht als absetzbare Ausgaben anerkannt werden, wenn sie auf der Gegenseite nicht als versteuerbares Einkommen ausgewiesen werden.
Aktion 3 setzt sich mit der effektiven Besteuerung von Zwischengesellschaften (controlled foreign companies) auseinander, in denen Konzerne ihre Gewinne parken und sie somit der Besteuerung entziehen können. Es geht also darum festzulegen, wann eine Zwischengesellschaft wirklich keinen anderen wirtschaftlichen Zweck hat und ihre Gewinne mit denen der Muttergesellschaft versteuert werden. Der Einfachheit halber schlägt der Bericht vor, die CFC-Regeln dann anzuwenden, wenn die Steuern im Land der Zwischengesellschaft niedriger sind als im Land der Muttergesellschaft.
Aktion 4 will die Erosion der Steuerbasis durch das Umverteilen von Konzernschulden in Länder mit hohen Steuersätzen verhindern, oder dass durch die sinnlose Vergabe von Krediten zwischen Konzerneinheiten eine artifizielle Schuldenlast entsteht, die von der Steuer abgesetzt werden kann. Die Arbeitsgruppe schlägt vor, eine Decke auf die Absatzmöglichkeiten pro Konzerneinheit einzuziehen, die sich in einem Korridor zwischen zehn und 30 Prozent des Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) bewegt.
Aktion 5 zielt darauf ab, den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen Ländern, beispielsweise durch Vorzugsregimes wie den IP-Boxen, zu bremsen, die Sondertarife auf dem Einkommen von geistigem Eigentum bieten. In der Arbeitsgruppe wurde sich auf eine „Nexus-Methode“ geeinigt, das heißt, es muss künftig einen Zusammenhang geben. Zwischen den Einkommen, die in einem Land steuerlich befreit werden (aus Patenten, Markeneintragungen, ...) einerseits und den Ausgaben zur Entwicklung dieser Patente und Marken andererseits, die im gleichen Land getätigt wurden. Anders gesagt: Damit es in einem Land Steuervorteile geben kann, muss auch die Forschung dort stattfinden. Damit dies alles übersichtlicher wird, sollen außerdem sechs spezifische Arten von Rulings ausgetauscht werden, das ist ein Kompromiss, weil sich die beteiligten Länder nicht auf den Austausch aller Rulings einigen konnten.
Aktion 6 dient der Bekämpfung des sogenannten treaty shopping. Im Zentrum stehen die bilateralen zwischenstaatlichen Abkommen, die eine Doppelbesteuerung verhindern sollen. Sie können auch andere Vorzüge bieten, beispielsweise einen Steuerrabatt auf Dividenden, die aus einem ins andere Land gezahlt werden. Aufgrund der Steuersouveränität sind die Länder nicht verpflichtet, mit anderen solche Abkommen zu schließen; werden sie gewährt, ist das ein Vorteil für Firmen und Investoren in beiden Ländern. Mit treaty shopping bezeichnen Experten den Missbrauch dieser Verträge. Beispiel: Land A und Land B haben ein Abkommen. Land C hat kein Abkommen mit Land A, aber mit Land B. Eine Firma aus Land C möchte von den Vorteilen des Abkommens zwischen den Ländern A und B profitieren und gründet dazu eine Firma in Land B, über die sie ihre Geschäfte in Land A abwickelt. Muss Land A dieser Firma die Steuervorteile gewähren, die einer Firma aus Land B zustehen oder nicht? Nicht wenn die Firma nur zu diesem Zweck gegründet wurde. Die Arbeitsgruppe hat deshalb Anti-Missbrauchsregeln festgelegt und Tests eingeführt, um zu klären, ob eine Firma einen legitimen Anspruch auf die Abkommensvorzüge hat.
Aktion 7 bekämpft das Vermeiden einer ständigen Niederlassung in einem Land und damit der Zahlung von Steuern dort. Das bewerkstelligen Firmen, indem sie Drittparteien mit dem Verkauf ihrer Waren und Dienstleitungen in einem Land beauftragen. Die Waren gehören der Drittfirma nicht, sie kann auf dem Verkaufsgewinn nicht besteuert werden, nur auf der Kommission, die sie dafür kassiert.
Aktionen 8 bis 10 beschäftigen sich mit den Transferpreisen, also den Kosten für die Lieferung von Waren und Dienstleistungen innerhalb einer Firmengruppe. Es gilt das Prinzip des Fremdvergleichs (arm’s length principle), das heißt, die zur Allokation von Kosten und Gewinnen benutzten Preise müssen denen entsprechen, die eine Drittfirma dafür berechnet hätte. Dieses Prinzip ist nicht neu, doch habe, wie die Arbeitsgruppen feststellten, der bisherige Fokus auf die vertraglichen Verbindungen zwischen Firmenfilialen das System leicht manipulierbar gemacht. Deshalb soll das Augenmerk nun von den vertraglichen Verbindungen – Firma A beliefert Firma B – auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten der Filialen gelegt werden – warum beliefert Firma A Firma B? Besonders im Blick hat die Arbeitsgruppe die Gebühren zur Nutzung von Patenten und Urheberrechten, die eingesetzt werden, um Einkommen in Länder zu schieben, wo es darauf Steuererleichterungen gibt. Oder die Verteilung von Risiken und Gewinnen zwischen den Einheiten eines Konzerns, die Vergütung von konzerninternen Darlehen beziehungsweise Transaktionen, die außer der Verschiebung von Gewinnen keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgen. Die OECD hat ihre Standards zur Berechnung der Transferpreise aktualisiert und verschärft. So reicht künftig der formal legale Besitz von Urheberrechten nicht aus, um diese in Gebühr stellen zu können. Und die Gewinne müssen bei den Firmen berechnet werden, welche die Risiken stemmen, die zur Erwirtschaftung dieser Gewinne notwendig waren. Außerdem müssen die „Gruppenvorteile“ den wirtschaftlich wichtigsten Einheiten eines Konzerns zugerechnet werden. Zum Beispiel Einsparungen durch den zentralisierten Einkauf.
Die Arbeitsgruppe der Aktion 11 versuchte zu ermitteln, ob es Beps überhaupt gibt und wie hoch der Schaden ist. Sie hat herausgefunden, dass die Gewinnraten von Filialen multinationaler Konzerne in Ländern mit niedrigen Steuersätzen im Schnitt zwei Mal höher sind, als in Ländern mit höheren Steuersätzen, sich in letzteren aber die Schulden anhäufen; die Schuldenlast der Filialen ist dort dreimal höher als in Ländern mit niedrigeren Steuern. Sie hat ermittelt, dass der effektive Steuersatz der Filialen von multinationalen Konzernen zwischen vier und 8,5 Prozentpunkte niedriger ist als der von Firmen, die ähnliche Aktivitäten auf nationaler oder lokaler Ebene durchführen. Dass sich die ausländischen Direktinvestitionen (FDI, foreign direct investments) immer stärker auf eine geringe Anzahl von Ländern konzentrieren, in denen das Verhältnis zwischen FDI und Bruttoinlandsprodukt über 200 Prozent steigt. Den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe zufolge übersteigen die Einnahmen aus Lizenz- und Nutzungsgebühren in Ländern mit niedrigen Steuersätzen die Forschungs- und Innovationsausgaben um das Sechsfache. Auf Basis der verschiedenen Indikatoren, welche die Arbeitsgruppe erstellt hat, schließt sie, dass der Schaden der durch Beps entsteht, zwischen vier und zehn Prozent des weltweiten Körperschaftssteuereinkommens entspricht, in Zahlen ausgedrückt sind dies zwischen 100 und 240 Milliarden Euro.
Aktion 12 fordert die Einführung einer Offenlegungspflicht. Die zuständige Arbeitsgruppe hat ein modulares System ausgearbeitet, um zu klären, wer wie wann was gegenüber den Steuerbehörden offenlegen muss. Das können die Steuerzahler selbst oder aber ihre Berater sein. Es bleibt den Ländern allerdings überlassen, ob sie eine obligatorische Offenlegungspflicht einführen oder nicht.
Im Rahmen der Aktion 13 hingegen wurden neue Standards ausgearbeitet, zu denen sich die Länder, die bei Beps mitmachen, engagieren sollen. Dabei geht es um die Transferpreis-Dokumentation, also jene Unterlagen, die belegen, wie die benutzten Transferpreise ermittelt wurden; dies auf zwei Ebenen: Die Multis sollen einerseits generelle Erklärungen über die Transferpreispolitik innerhalb des Konzerns abgeben, und zweitens detaillierte Angaben über den Einsatz der Transferpreise im jeweiligen Land machen. Außerdem sollen multinationale Konzerne eine länderspezifische Aufstellung machen, die folgende Angaben enthält: Umsatz, Vorsteuergewinn, angefallene Steuern, Anzahl der Mitarbeiter, Kapitalausstattung, angesammelte Gewinne und Sachvermögen. Zudem sollen sie aufschlüsseln, welche Filialen in welchem Land Geschäfte abwickeln und die Natur dieser Aktivitäten detaillieren. Dieses sogenannte country-by-country reporting soll durch einen automatischen Austausch zwischen den beteiligten Ländern geteilt werden. Ob dies klappt und ob die Länder die Informationen austauschen, soll 2020 überprüft werden.
Aktion 14 zielt darauf ab, die Schlichtungsmechanismen zu stärken. Während die meisten Aktionen des Beps-Plan bewirken sollen, dass multinationale Konzerne mehr Steuern zahlen, soll andererseits verhindert werden, dass sie doppelt besteuert werden. Das OECD-Modell für zwischenstaatliche Steuerabkommen sieht einen Schlichtungsprozess vor, falls Unternehmen der Ansicht sind, dass sie entgegen der in den Verträgen vorgesehenen Dispositionen besteuert wurden oder ihnen das Recht verweigert wurde, diese Dispositionen in Anspruch zu nehmen, durch die sie Doppelbesteuerungen verhindern oder von Vergünstigungen profitieren könnten. Der Zugang zur Schlichtung soll vereinfacht, administrative Hürden sollen aus dem Weg geschafft und ein Zeitrahmen eingesetzt werden. Ob die Länder das machen, soll ein Überwachungsmechanismus prüfen, der 2016 ausgearbeitet werden soll.
Aktion 15 stellt eine Art Meta-Aktion über den anderen Beps-Aktionen dar. Es geht darum, ein multilaterales Instrument auszuarbeiten, mit dem alle anderen Aktionen auf die meist zwischenstaatlichen Steuerabkommen übertragen werden. Spezialisten im internationalen Recht sollen also eine Art Super-Vertrag ausarbeiten, der alle anderen bestehenden Verträge abändert, und verhindern, dass die Umsetzung sich über Jahre hinzieht und wiederum ungleichmäßig erfolgt, indem die nationalen Parlamente aller an Beps teilnehmenden Länder jedes einzelne bilaterale Steuerabkommen, das ihr Land abgeschlossen hat, durch eine Abstimmung an die neuen Standards anpassen. Die Experten der Arbeitsgruppe haben bis Ende 2016 Zeit, dieses multilaterale Instrument zu erfinden. Die Teilnahme am Ausarbeitungsprozess ist für die Länder freiwillig und wer sich daran beteiligt ist dennoch frei, sich am Ende daran zu beteiligen. Oder auch nicht.