Am Dienstag fand in der Abgeordnetenkammer eine kurzweilige Diskussion statt: Die Oppositionsparteien, angeführt von der CSV, lieferten sich mit dem grünen Mobilitätsminister François Bausch eine Auseinandersetzung darüber, ob das Gratisprinzip im öffentlichen Transport nächstes Jahr auch auf die Adapto-Ruftaxis auszudehnen sei, die Behinderten zur Verfügung stehen. Bausch hielt die Frage für zu komplex, um darüber anhand einer Motion abzustimmen, wollte sie lieber in Ruhe im zuständigen Ausschuss besprechen. Denn die Adaptos seien Taxis, keine Busse. Der CSV warf er vor, ein „politisches Spiel“ zu inszenieren.
Aber Oppositionsarbeit ist eben, die Chance zu ergreifen, einen Minister vorzuführen, wenn sie sich bietet. In einer solchen Lage finden gerade die grünen Regierungsmitglieder sich viel häufiger wieder als in der vorigen Legislaturperiode. Die Wahlgewinner vom 14. Oktober 2018, die ihren Stimmenanteil von zehn auf 15 Prozent ausbauten und ihre Sitzzahl von sechs auf neun, so dass nur noch ein Mandat sie von der LSAP trennt, sind keine Außenseiter mehr. Sondern die Partei, die durch ihr gutes Abschneiden eine zweite Runde „Gambia“ ermöglichte und bei den Europawahlen im Mai nur zwei Stimmenprozente schlechter abschnitt als die CSV. Und wenn deutsche Medien den Grünen dort seit den Europawahlen das Etikett „Volkspartei“ anheften, dann wundert es nicht, dass Déi Gréng, die sich gern an ihrer Schwesterpartei orientieren, sich auf demselben Weg hierzulande sehen. Dass sie dabei von der Politik heimgesucht werden, von politischen Spielen, ist ganz normal.
Hinzu kommt freilich, dass Déi Gréng zwar schon lange die Radikalität ihrer Gründerzeit hinter sich gelassen haben, aber in den langen Jahren in der parlamentarischen Opposition immer wieder dadurch auf sich aufmerksam machten, in vielen Politikbereichen – mit Ausnahme der Wirtschaft und im Sozialen auch nicht immer – ziemlich gut die Lage der Dinge zu beschreiben und Lösungvorschläge anzubringen. Wer der Partei nahe stand, konnte das für eine erfreuliche Analysefähigkeit halten, wer ihr nicht nahe stand, für Besserwisserei sich moralisch überlegen Dünkender. So richteten die Grünen sich mit ihrer Stammwählerschaft in einer Nische ein und empfahlen sich als die besseren Liberalen.
Daran liegt es vielleicht, dass grüne Minister besonders empfindlich reagieren, wenn ihnen vorgehalten wird, keine besseren Liberalen zu sein oder ihr Ressort nicht in diesem Sinn zu steuern.Justizminister Félix Braz und François Bausch als Polizeiminister inszenierten sich vor knapp zwei Wochen in einem „offenen Brief an die Luxemburger Presse“ als Opfer allein schon weil die Medien die Frage gestellt hatten, ob es bei Polizei und Justiz geheime Datenbanken gibt. Damit würden nicht nur „überflüssige und unhaltbare pauschale Beschuldigungen gegenüber Polizei und Justiz“ in die Welt gesetzt, sondern auch „parteipolitische Spielchen und Polemiken“ gefördert. Mittlerweile hält Bausch es dem Vernehmen nach für einen Fehler, den Eindruck von Presseschelte erweckt zu haben. Das Zeug zum Politikum hat die Affäre natürlich, der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar behauptete, sie sei „schlimmer als die Srel-Affäre“ vor sechs Jahren. Aber die trotzige Haltung fleißiger Technokraten, die sich auf Inhalte konzentrieren und politische Spiele nicht mitspielen zu wollen behaupten, können die Grünen sich nicht mehr leisten. Zum einen gehörten sie der vorigen Regierung an, zum anderen trug die Neuauflage der Koalition mit DP und LSAP ihnen neben der Justiz noch vier weitere Ressorts ein, die nicht zum grünen Politikfundus gehören, und Ministerinnen und Minister müssen „liefern“, wenn das Bild von der Volkspartei stimmen soll.
Der erfahrene Stratege François Bausch weiß das vermutlich besonders gut. Innerhalb nur weniger Tage beantwortete er als Polizeiminister eine parlamentarische Anfrage der CSV-Abgeordneten Gilles Roth und Laurent Mosar, die nach der „Ju-Cha-Datenbank“ schon die nächste „wackelige Lage“ im Visier hatten, denn die Datenschutzkommission nannte im März die legale Basis für das Kameraüberwachsungssystem Visupol schwach. Ausführlich erläuterte Bausch diesen Montag in seiner Antwort, wie er die Kameras schon als Hauptstadt-Schöffe kritisch gesehen, als Minister „gegen den Druck bestimmter Parteien“ die Ausweitung der Überwachung auf Bonneweg unterbunden und „als eine meine ersten Amtshandlungen“ bei der Generalinspektion der Polizei eine Studie über den Nutzen der Kameraüberwachung in Auftrag gegeben habe. Dass er sich damit sowohl vom früheren Schöffenrats-Koalitionspartner DP abgrenzen konnte, als auch von der CSV, war natürlich politisch nützlich.
Dass große Teile der CSV aus den Verlusten bei den Kammerwahlen schlussfolgerten, die Oppositionspolitik müsse aggressiver werden, bis hin zur Verhinderung der Verfassungsreform (siehe S. 6), belebt das Spiel selbstverständlich. Dass die Grünen dabei besonders herausgefordert werden, liegt einerseits daran, dass sie ihre Zugewinne bei den Kammerwahlen nicht zuletzt dem Umstand verdanken, dass ihre im grünen Kerngeschäft tätigen Regierungsmitglieder durch ihren Fleiß auffielen und ökologische Anliegen glaubwürdig repräsentierten. Andererseits machen nicht mehr nur grüne Stammwähler sich über den Klimawandel oder den Wasserschutz Sorgen und erwarten, dass die Politik sich dieser Probleme annimmt. Das ruft die CSV herbei, die mit ihrem Spitzenkandidat Claude Wiseler ab Oktober 2016 in einer Wachstumsdebatte Ängste von Überfremdung und drohender Ressourcenknappheit geschürt und als konservatives Gegenmittel einen „Plang fir Lëtzebuerg“ versprochen hatte.
Solche Konfrontationen könnten den Grünen womöglich gefährlich werden. Natürlich schlug einige Wellen, dass Kulturministerin Sam Tanson den Abriss von Häusern im Limpertsberg wegen Denkmalschutzbedenken stoppen ließ, obwohl er rechtens wäre laut dem kommunalen Generalbebauungsplan, den sie 2016 als Erste Schöffin mitgetragen hatte. Mehr politisches Potenzial hätten Vorstöße wie etwa der, angesichts der Trinkwasserknappheit die Nachhaltigkeitsminister der vorigen Legislaturperiode, Carole Dieschbourg und François Bausch, an den Wahlkampf zu erinnern und an ihre Kritik am Wachstum und der Fage-Joghurtfabrik mit ihrem Wasserverbrauch.
Doch bisher macht die CSV sich mit Kritik an der Regierungsökologie von Déi Gréng ziemlich lächerlich. Erstaunlicherweise äußert sich für die CSV-Fraktion dazu nicht Marco Schank, der Ex-Umweltminister, sondern neben Fraktionspräsidentin Martine Hansen neuerdings Gilles Roth, der frühere finanzpolitische Sprecher, der sich mit Ökologie bislang nie abgeben hatte. Dann kommt es vor, dass Roth behauptet, die Grünen täten in der Regierung nicht genug für den Klimaschutz, wie in einer Parlamentsdebatte im April geschehen, während Hansen sie für zu ideologisch und nicht pragmatisch genug erklärt und im Gegenzug sich als „Lobbyistin für die Menschen“ empfiehlt. Das „Wachstum als übergeordnetes Thema ansprechen“ will sie auch, „denn das liegt am Ursprung von den Problemen“, wie sie am 28. Juni dem Luxemburger Wort sagte.
In Wirklichkeit weiß die CSV nicht, wo sie hin will mit Wachstum, Großprojekten und Ressourcenschutz. Der Bissener Bürgermeister, der aus der Partei ausgetreten ist, unterstellt ihr zwar, gegen das Google-Datenzentrum zu sein. Tatsächlich aber sorgten sich am 7. März die CSV-Vertreter im parlamentarischen Wirtschaftsausschuss, die Regierung müsse in der Angelegenheit „mit einer Stimme sprechen“, sonst könne das Vorhaben scheitern wie die Steinwollefabrik von Knauf.
Dass heute kein grüner Minister auf „nachhaltigen“ Firmenansiedlungen besteht wie im Wahlkampf, liegt natürlich an der Koalitionsdisziplin. Dann macht die Umweltministerin gute Miene zum Fage-Projekt und sagt, es befinde sich in der Prozedur, die müsse man absolvieren und es gegebenenfalls verbessern lassen. Obwohl es nun heißt, die Fabrik solle so groß werden wie eine in den USA und nicht nur den Benelux-Markt beliefern, sondern auch Großbritannien.
Mehr als die CSV könnten die Koalitionspartner den weiteren Aufstieg der Grünen bremsen. Dass aus den sehr anspruchsvollen neuen Klimazielen so etwas folgen könnte wie das förderierende Projekt von „Gambia II“, nachdem die erste Koalition eine gesellschaftspolitische Reformagenda abgearbeitet hatte, ist nur eine theoretische Möglichkeit. Ihren öffentlichen Aussagen nach setzen die grünen Minister auf Technologie und Rifkin, um den CO2-Ausstoß bis 2030 gegenüber 2005 zu halbieren. Reichen wird das kaum.
Doch zu Steuern zu greifen oder radikal ans Tankstellengeschäft zu rühren – was wiederum die Frage nach sich zöge, wie man den Einnahmenausfall für die Staatskasse ausgleicht –, ist bei DP wie LSAP nicht nur unpopulär. LSAP-Präsident Franz Fayot hat mit seiner Geländewagensteuer-Idee die Partei mehr verstört als inspiriert, und der OGBL hat es der Regierung schriftlich gegeben, seiner Meinung nach sei es fürs Klima egal, ob in Luxemburg oder im Ausland getankt würde. Die für die Grünen entscheidenden Konflikte dürften hinter verschlossenen Türen stattfinden. Differenzen zwischen Koalitionspartnern nach draußen zu tragen, gehört nicht zur politischen Kultur hierzulande. Am Ende könnten die Grünen gerade an der Ökologie scheitern.