Als vor drei Jahren die Regierung stürzte, vorgezogene Wahlen stattfanden und eine noch nie gesehene Koalition zustande kam, hatten die politischen Parteien Schwierigkeiten, mit der neuen Lage umzugehen. Und wenn Parteien in Schwierigkeiten stecken, neigen sie dazu, dies den Strukturen anzukreiden. Denn das fällt leichter, als die Politik der Partei oder gar deren Politiker für das Missgeschick verantwortlich zu machen. So kam in manchen Parteien die Forderung nach Statutenreformen auf.
In den Volksparteien machte der im Ausland aufgegriffene Vorschlag die Runde, künftige Spitzenkandidaten durch Vorwahlen zu bestimmen. In der CSV war das jahrzehntealte dynastische Prinzip gestört, weil Premier Jean-Claude Juncker weder als „natürlicher“ Spitzenkandidat zur Verfügung stand, noch einen Nachfolger bestimmt hatte. Insbesondere ein aus der Jugendorganisation im Ösling hervorgegangener Diskussionskreis warb dafür, „primaries“ in die Statuten zu schreiben, um Außenseitern den Aufstieg zu ermöglichen und den vom Parteiapparat vorgesehenen Spitzenkandidaten in Bedrängnis zu bringen. In der LSAP hatte man zwar den „natürlichen“ Spitzenkandidaten Jean Asselborn handstreichartig durch den neuen Hoffnungsträger Etienne Schneider ersetzt, trotzdem suchte man nach Mitteln, um die demobilisierten Mitglieder mit dem Versprechen auf eine verstärkte demokratische Einbindung wieder zu interessieren.
In den zurückliegenden Monaten wurden im Ausland viele Erfahrungen mit der Veranstaltung von Vorwahlen gesammelt. Es zeigte sich, dass sie meist nicht organisiert wurden, um das Funktionieren von Parteien tatsächlich zu demokratisieren, sondern sie waren vielmehr Ausdruck der Ausweglosigkeit und Zerstrittenheit einer Partei. Und in den seltensten Fällen haben sie die Probleme der Partei gelöst: In Großbritannien wurden mit Jeremy Corbyn durch eine Art „primaries“ ein linker Parteivorsitzender gewählt, der seither vom blairistischen Parteiapparat sabotiert wird. In den USA kandidierte plötzlich der lebenslang parteilose Sozialdemokrat Bernie Sanders bei den Demokraten, und die nach rechts abgedrifteten Republikaner machten einen rassistischen Kindskopf zum Präsidenten. Bei der französischen Rechten sorgten die Vorwahlen nicht für die versprochene politische Erneuerung, sondern sie tritt im Mai mit einem Kandidaten an, der seit 40 Jahren Berufspolitiker ist. In der französischen Linken ersetzen Vorwahlen nach dem Untergang des amtierenden Präsidenten eine Diskussion über den politischen Standort der Partei durch eine Personaldebatte. In fast allen Fällen wurden Vorwahlen nur noch zu für die Medien und Meinungsumfragen organsierten Schönheitswettbewerben, während die Parteien darauf verzichteten, eigenständige Wahlprogramme auszuarbeiten. Die Grenzen zwischen Mitgliedern und Sympathisanten verschwanden, Mitglieder einer Partei wählten bei der anderen mit.
Mit den vergangenes Jahr verabschiedeten Statuten einigte man sich bei der CSV darauf, dass ein „Parteikonvent“ den vom Parteivorsitzenden und Nationalrat ausgesuchten Spitzenkandidaten ratifizieren darf. Bei der LSAP findet eine „Urabstimmung“ unter den Mitgliedern über höchstens vier vom Generalrat vorgeschlagene Bewerber statt. Die Demokratische Partei heißt sowieso nur so, da zwar alle Mitglieder Parteitagsdelegierte sein dürfen, aber die wichtigen Entscheidungen im kleinsten Kreis getroffen werden. Und die Grünen wollen nach angeblichen Kinderkrankheiten wie imperatives Mandat und Rotationsprinzip nur noch seriöse und verantwortungsbewusst wirken. Wenn sich also hierzulande Vorwahlen von Spitzenkandidaten nicht durchsetzen konnten, heißt das nicht, dass die Parteien weniger demokratisch sind, sondern bloß, dass ihre Führungskrisen nicht ausweglos genug waren.