„Dass immer welche nachwachsen, die nicht reinpassen“, beklagt Frau Margot und erinnert an jene Realitätsferne, die das SED-Politbüro angesichts des gärenden Volksaufstands in der DDR an den Tag legte. Realitätsfremd wie ihr Gatte Erich ist die Witwe Honecker bis zu diesem Tage, da sie mit den Autokraten-Frauen Imelda Marcos aus Manila und Leila Ben-Ali aus Tunis einer Presskonferenz anlässlich der Verfilmung ihrer Lebensläufe beiwohnt.
In ihrer Außenwahrnehmung vermissen Imelda und Leila Glamour und Erhabenheit, wie sie in ihren verklärten Rückblenden gepflegt und in der Dekadenz ihrer verschlissenen Barock-Roben verzerrt werden: „Die Schauspielerinnen, die mich hätten spielen können, sind ja leider schon alle tot. Die junge Liz Taylor hätte mich spielen können, Sophia Loren in jungen Jahren.“ Und: „Mein Leben gibt es als Oper (...) Imeldas Tod. Imeldas Beerdigungszug durch die Straßen von Manila. Was für eine Chance für große Chöre!“ Selbst das Todesszenario fällt der Selbstsucht zum Opfer: „Zu jedem bedeutenden Leben gehört auch ein Attentat.“ Margot Honecker hat noch immer die Uhr nicht umgestellt, beißt sich seit Jahren an den Entartungen ihrer selbstverherrlichenden Träumerei fest. Nicht einmal das Sprühen von Mottengift kann diesem Moder etwas anhaben.
Auf der Bühne inszeniert Heike M. Goetze Theresia Walsers Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel (2013) der Vorlage entsprechend als politische Groteske. Blutspritzer kleben an den Wänden, Konfekt und Trauben werden gierig verschlungen. Mit Anika Baumann, Anna Steffens und Catherine Janke brillieren die Darstellerinnen rhetorisch wie physisch. Walsers Wortakrobatik und Goetzes Regiearbeit verlangen ihnen sehr viel ab, auch weil die komische Form in ständigem Widerstreit mit dem amoralischen Hintergrund und den zynischen Figuren steht.
Zu diesem Trio Infernale gesellt sich der Dolmetscher Gottfried (Luc Feit), dessen Bestreben im Laufe der fortschreitenden Handlung unterschiedliche Formen annimmt: Er sucht den Wortschwall des Politsprechs zu „verschlanken“, diplomatische Brisanz zu glätten und Neutralität auf seine Fahne zu schreiben („Ich bin nichts als die Verlängerung ihrer Zungen“). Eigentlich jedoch bewertet er ständig, nimmt politischen Einfluss („Es ist zum Lachen“). Diese Figur, in herrlich staubige, potthässliche Lotterklamotten gekleidet, scheint in ihrem vermeintlichen Anspruch der Unparteilichkeit letztendlich der Wahrheit am nächsten zu kommen. Ähnlich der vermeintlichen Nebenfigur des Narren elisabethanischer Dramen gewinnt auch der Dolmetscher an Bedeutung und gerät schließlich zur Zielscheibe der sich gegen ihn solidarisierenden, völlig verblendeten Despotinnen.
Die Offenbarung der politischen Perversion durch Gottfried liefert dem Zuschauer neben dem schrillen Opernsänger (Alin Deleanu) eine willkommene Sympathiefigur als Ausgleich zu den Hasstiraden der Herrscherinnen. Die Flucht der Frauen in ihre jeweiligen Hassbilder muss jedoch genauso an deren Physis zehren. So gewährt Walser auch ihnen Ventile: abwechselnde Ausflüge in Völlerei, Klamauk und Sexorgien. Sie wirken formal bisweilen störend, mehrfach peinlich. Sie lassen sich jedoch konzeptuell rechtfertigen als einzig mögliches Ventil dieser herzkalten Misanthropen.
Goetze schafft ein naturgemäß nahezu unzumutbares, verstörend komisches Krankheitsbild, das selbst in seinem maßlos makabren Höhepunkt verteidigt werden kann: Margot Honecker, der nachgesagt wird, die Urne ihres Gatten im Wohnzimmer ihres chilenischen Exils aufzubewahren, versucht die am Bühnenboden verstreute Asche zu retten. Ikonografisch fischt sie die charaktertypische Hornbrille aus dem Staub, setzt sie auf, Minuten, nachdem sie noch beschworen hatte: „Es wird die Zeit kommen, da wird man sich meinen Mann wieder herbeisehnen.“