Bis Mittwoch stand er noch in einer Ecke im Bloc opératoire in der ersten Etage des Hôpital Kirchberg (HKB), danach wurde er fertig aufgebaut: der Operationsroboter vom Typ Da Vinci Si, den das Kongregationsspital sich vor kurzem angeschafft hat. Wie stolz es darauf ist, teilt es gleich zu Beginn seiner Homepage www.hkb.lu mit: Man sei damit zum „Pionier“ in der Roboterchirurgie hierzulande avanciert. Für die Patienten habe ein Eingriff per Roboter nur Vorteile, und ehe jemand diese Frage stellt, beantwortet die Kommunikationsabteilung des Krankenhauses sie gleich selber: „Une intervention par robot Da Vinci ne donne pas lieu à un surcoût pour l’assuré de la Caisse nationale de santé (CNS).“ Am 22. September, dem Tag der Offenen Tür im HKB, werde der Da Vinci Si zu bestaunen sein. Dann stünden auch „des chirurgiens qui opèrent avec le robot“ dem interessierten Publikum Rede und Antwort.
Freude über den Einkauf und Vorfreude auf die bevorstehende Inbetriebnahme des Da Vinci Si aber herrscht, wie die Dinge liegen, derzeit nur im Hôpital Kirchberg und seinem Träger, der Kongregationsstiftung François-Élisabeth. In den anderen Krankenhäusern ist man entrüstet, in der Verwaltung der Gesundheitskasse CNS regelrecht verzweifelt. Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) bleibt auf Fragen zum Thema „Roboter“ stumm.
Dabei muss er es sein, den die jüngste Anschaffung am HKB am meisten interessieren muss. Sie ist ein offener Verstoß gegen das Krankenhausgesetz, in dessen Artikel 9 unmissverständlich geschrieben steht, jeder Einkauf von schwerer Technik, deren Kostenpunkt 80 000 Euro übersteigt, bedürfe der Genehmigung des Ministers und müsse vorher von der Commission permanente du secteur hospitalier (CPH) begutachtet werden. Mit einem Preis von rund 1,5 Millionen Euro hat der Da Vinci Si diese Schwelle locker überschritten. Die HKB-Direktion aber hatte das Projekt weder der CPH und dem Minister unterbreitet, noch, wie es seit der Gesundheitsreform von 2010 üblich ist, der gemischten Investi-tionskommission von Spitälern und CNS. Mit den anderen Klinikdirektionen im Krankenhausverband FHL diskutierte sie darüber ebenfalls nicht.
Warum? „Weil es uns illusorisch erschien, grünes Licht zu erhalten“, erklärt HKB-Generaldirektor Paul Wirtgen dem Land. Wirtgen betont jedoch, die 1,5 Millionen Euro habe das HKB alleine aufgebracht. Man habe also weder eine Subvention aus der Staatskasse benötigt, noch einen Zuschuss der CNS. Der Roboter werde dazu beitragen, dass diffizile chirurgische Eingriffe, die bisher ins Ausland überwiesen werden – etwa an die Universitätskliniken in Nancy, Liège oder Homburg/Saar, wo die nächsten Da-Vinci-Maschinen stehen –, in Zukunft in Luxemburg vorgenommen werden können. Beziehungsweise am HKB natürlich. „Si vous devez subir un traitement pour le cancer de la prostate, interrogez votre médecin sur la chirurgie Da Vinci“, rät die HKB-Homepage schon. In einer „ersten Phase“ werde der Roboter für Prostata- und Nierenkrebs-Operationen genutzt. Später kämen auch gynäkologische Eingriffe in Betracht.
Was daran schlecht sein soll, wenn ein Krankenhaus aus eigener Kraft eine Millionenausgabe stemmt, um hypermodernes Gerät anzuschaffen und damit seine Patienten besser zu versorgen, ist auf den ersten Blick gar nicht ohne weiteres einzusehen. Da kann eine Bestimmung wie Artikel 9 des Krankenhausgesetzes sogar wie ein bürokratischer Anachronismus einer Staatsmedizin erscheinen.
Schwer zu übersehen ist jedoch, welchen Kommunikationsaufwand das HKB betreibt, um den Roboter zu vermarkten, der zweifellos eine beachtliche technische Innovation ist (siehe nebenstehenden Artikel). So viel Marketing würde in ein Gesundheitssystem passen, in dem freie Konkurrenz und freie Preisbildung herrschen. In ein System, das komplett öffentlich finanziert ist, in dem die staatliche Planung der Krankenhauslandschaft und ihrer schweren technischen Ausrüstung nun mal Gesetz ist und wo, des knappen Geldes wegen, seit der Gesundheitsreform für alle Spitäler ein „Globalbudget“ gilt, das die Regierung festlegt, passt es schlecht. „Einen Roboterkauf hätten wir offen zur Diskussion gestellt“, sagt CHL-Generaldirektor Romain Nati ebenso wie Michel Nathan, der Generaldirektor des Süd-Klinikums Centre hospitalier Emile Mayrisch (Chem). Was wahrscheinlich nur eine diplomatische Umschreibung dafür ist, wie sauer die anderen großen Spitäler wegen des Alleingangs des HKB sind.
Denn mag das HKB die Millioneninvestition in den Roboter alleine finanziert haben – damit ist die Rechnung noch nicht zu Ende. Mehr als 120 000 Euro Wartungskosten im Jahr laufen für den Roboter auf. Und für den Einsatz der chirurgischen Instrumente an den Roboterarmen, muss Generaldirektor Wirtgen einräumen, entstehen Mehrkosten von 1 800 Euro pro Operation. Erlaubt der Hersteller doch nur einen zehnmaligen Einsatz der Instrumente, danach müssen neue gekauft werden. Das erkennt der Roboter automatisch, bei einem elften Einsatzversuch verweigert er den Dienst. Diesen „surcoût“ werde man weder der CNS, noch dem Patienten in Rechnung stellen, versichert Wirtgen. „Wir bezahlen das, wir machen da Verlust.“ Wie lange sich das HKB dies wird erlauben können, kann oder will er nicht sagen, klar sei aber: „Je weniger wir operieren, desto preiswerter wird es.“ Ein ziemlich merkwürdiges Geschäftsmodell für eine teure Maschine, von der man eigentlich annehmen müsste, dass sie viele Fälle übernehmen soll.
Da ist es gar nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der Zusatzkosten doch bei der CNS ankommt, wenn das HKB sein Jahresbudget mit ihr aushandelt, und dass dieses Geld dann im Globalbudget für die anderen Spitäler fehlt. Bei der CNS sieht man diesem Fall schon mit einem unguten Gefühl entgegen: „Wir werden natürlich analysieren, wie der Roboter sich auswirken wird“, sagt CNS-Präsident Paul Schmit. Ob die Kasse sich weigern könnte, Kosten aus der Roboterbehandlung zu übernehmen – da ist der CNS-Präsident sich sehr viel weniger sicher. Müsste der Patient etwas davon tragen, wäre das Zwei-Klassen-Medizin und gegen alle geltenden Regeln der solidarischen Krankenversicherung hierzulande.
Den Eindruck, das HKB werde mit dem Roboter zur Belastung für die CNS und zur Zumutung für die anderen Kliniken, versucht Paul Wirtgen mit grobem Geschütz zu bekämpfen: „Jedes Spital macht, was es will, nicht nur wir.“ Nur „zurzeit“ werde „mit dem Finger auf uns gezeigt“, weil die Spitäler der Kongregationsstiftung, die neben dem Hôpital Kirchberg und der Bohler-Klinik noch die kleine Clinique Sainte-Marie in Esch/Alzette unterhält, auf Betreiben des Erzbistums dabei ist, mit der Zithaklinik zu einem großen „privaten“ Kongregationskrankenhaus zu fusionieren. Allerdings wurde in Luxemburg noch nie schweres Gerät ohne vorherige Konsultation mit den anderen Kliniken und dem Ministerium angeschafft. Und am Ende gibt Wirtgen zu, dass der Sinn der Aktion darin bestand, vollendete Tatsachen zu schaffen und das künftige Giganonnespidol als potenzielles „Zentrum“ für urologische Behandlungen zu etablieren.
Ob es aber sinnvoll ist, den Roboter in erster Linie für Prostatakrebs-Operationen nutzen zu wollen, wie die Marketingaktion des HKB suggeriert und es auch geplant ist – diese Frage muss man sich stellen. Einerseits ist Prostatakrebs der häufigste Krebs beim Mann; 2010 wurden in Luxemburg 272 neue Fälle registriert. Und Operationen an der Prostata sind diffizil und heikel: Wenigstens jeder zweite Patient leidet anschließend an Impotenz, in zwei bis zehn Prozent der Fälle kommt es zu Inkontinenz. Ein Roboter, der besonders präzise zu operieren erlaubt, kann da wie ein Segen erscheinen.
Andererseits aber gibt es Alternativen zum chirurgischen Eingriff. Strahlentherapie und Curietherapie – eine Strahlenbehandlung auf ganz kurze Distanz – hätten „exzellente Resultate“ vorzuweisen, sagt Chem-Generaldirektor Nathan, der Facharzt für Urologie ist. Die offiziellen Zahlen scheinen ihm Recht zu geben: Fanden 2009 landesweit noch 104 Prostata-Operationen statt, waren es 2010 nur 70 und 71 im Jahr 2011. Das sei ein wichtiger Grund gewesen, weshalb man sich im Chem, in dem die meisten urologischen Fälle im Lande operiert werden, „aus fachlichen und wirtschaftlichen“ Erwägungen gegen einen Roboterkauf entschieden hat, erklärt Nathan.
Und wer weiß: Womöglich wird die Zahl der Prostata-OPs noch weiter sinken: Am Strahlentherapiezentrum François Baclesse in Esch/Alzette ist man dabei, einen Cyberknife zu installieren – ein hochmodernes Gerät zur ganz gezielten computergesteuerten Bestrahlung von Tumoren. Die Inbetriebnahme ist für März 2014 vorgesehen. Der Cyberknife erlaube es, höhere Strahlendosen bei insgesamt kürzerer Behandlungsdauer zu verabreichen, erläutert Baclesse-Direktor Michel Untereiner. Dauere die klassische Strahlentherapie sechs Wochen, werde sie mit dem Cyberknife schon nach fünf Tagen abgeschlossen sein können. In erster Linie sei die Anlage zur Bestrahlung von Hirntumoren und für Lungen- und Leberkrebspatienten gedacht, so Untereiner, aber zur Prostatakrebsbehandlung könne sie natürlich ebenfalls eingesetzt werden, „falls sich das als die für einen Patienten geeignetste Methode erweist“.
All das gibt zu denken. Denn wenn die Zahl der Prostata-OPs in Luxemburg sinkt, weil andere Therapien geeigneter sind, könnte die Gefahr bestehen, dass das HKB sich für den Da Vinci Si einen Prostatakrebsmarkt schafft und das nicht jedem Pa-tienten nützt. Dass es beim letzten Stand der Dinge nicht viele Prostatakrebse zu operieren geben könnte, geht auch aus den Zahlen des HKB hervor: 2012 seien 36 Prostatakrebs-OPs auf dem Kirchberg vorgenommen worden, vier in der Clinique Sainte-Marie und fünf in der Zithaklinik. Macht 45 Eingriffe jährlich für das künftige Fusionskrankenhaus und nicht mal einen pro Tag für den Roboter. Wirtgen hofft, „die anderen Spitäler“ könnten Pa-tienten zu OPs auf den Kirchberg schicken. Aber so etwas ist gar nicht üblich im Luxemburger Belegarztsystem, in dem ein Krankenhausfacharzt seine Patienten aus der ambulanten Praxis in die Klinik mitnimmt, mit der er einen Dienstleistervertrag hat. Sollte sich am Ende in Luxemburg bewahrheiten, was vor einem Jahr die Agence canadienne des médicaments et des technologies de santé ermittelt hat: dass Prostata-Operationen den unrentabelsten Eingriff mit einem Roboter darstellen?
Das wäre schlecht. Aber zum hohen Anschaffungspreis, den Wartungs- und den Instrumentenkosten kommt noch eine Klausel, die der Hersteller der Da-Vinci-Apparate als derzeit weltweiter Monopolist seinen Kunden auferlegt: Gibt es einen Roboter der nächsten Generation, muss dieser gekauft werden – wenngleich mit Rabatt und kostenloser Rücknahme der alten Maschine –, sonst übernimmt der Hersteller an dem alten Modell keine Wartungsarbeiten mehr. Aus diesem Grund waren 2011 drei Pariser Spitäler gezwungen, ihre elf Jahre zuvor gekauften Da Vincis zu ersetzen, ohne recht zu wissen, wie sie das bezahlen sollten (Le Monde, 16.11.2011).
Ob man am HKB schon damit begonnen hat, für diesen Fall Geld auf die Seite zu legen, ist nicht zu erfahren. Aber die „vollendeten Tatsachen“, die das HKB geschaffen hat, würden Probleme an anderer Stelle verstärken, sagt CHL-Generaldirektor Nati. „Wir denken derzeit nicht daran, einen Roboter anzuschaffen, verfolgen aber die Entwicklungen.“ Denn am Nationalen Herzchirurgiezentrum INCCI, das seinen Sitz in den Räumen des CHL hat, halte man die Herzchirurgie per Roboter für einen wichtigen Ansatz, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Dass das INCCI sich einen Roboter zulegen könnte, kann Nati sich allerdings schwer vorstellen: „Ein zweiter wäre sicherlich eine Überbewaffnung für Luxemburg.“ Pikant daran ist, dass das INCCI, genauso wie das Baclesse-Zentrum, ein Joint venture sämtlicher großer Spitäler im Lande ist, auch des HKB. Dass sich für Herzchirurgie ein Roboterbedarf abzeichnet, war dem HKB demnach genauso bekannt wie der Umstand, dass der Cyberknife, eine öffentliche Investition von vier Millionen Euro, womöglich den Bedarf an Prostata-Eingriffen noch weiter senkt. Aber eine Diskussion mit den anderen Kliniken um den Roboter hatte das HKB ja nicht gewollt.
Und leider sind Alleingänge des Kongregationskrankenhauses auf dem Kirchberg nichts wirklich Neues. In der Vergangenheit „nahm“ es sich schon Krankenhausdienste, ohne zu fragen. Obwohl das CHL laut staatlichem Spitalplan den Service natio-nal für Neurochirurgie innehat, baute das HKB eine Rückenmarkchirurgie auf und nannte sie „Neurochirurgie“. Eine Pädiatrie und eine Betreuung für Frühgeborene in der ihm angeschlossenen Bohler-Klinik errichtete es jeweils als Konkurrenz zur CHL-Kinderklinik. Einfach so. Kein Gesundheitsminister schritt dagegen ein – weder der Liberale Carlo Wagner, noch der Sozialist Mars Di Bartolomeo. Es galt offenbar stets, was die CSV in den Neunzigerjahren gegenüber dem damaligen Koalitionspartner LSAP durchgesetzt hatte: Dass das Hôpital Kirchberg als „private“ Konkurrenz zum öffentlichen CHL aufzubauen sei. Ohne sich der Rückendeckung durch Bistum und CSV bewusst zu sein, hätte das HKB sich höchstwahrscheinlich kaum einen Operationsroboter am Krankenhausgesetz vorbei angeschafft.
Damit aber wird die teure Anschaffung zu mehr als nur einem Ausrutscher. Sie ist ein Signal, dass in Zukunft tatsächlich jedes Krankenhaus tun könnte, was es will, und koste es die CNS, was es wolle. Damit liegt sechs Wochen vor den Wahlen die Krankenhauspolitik Mars Di Bartolomeos mit staatlicher Planung, Globalbudget und freundlichen Aufforderungen zur „Kompetenzbündelung“ in Trümmern. Die nächste Regierung könnte vor der Alternative stehen, entweder staatsmedizinisch durchzugreifen oder im Gesundheitswesen sehr viel mehr Markt zuzulassen. Daran dürfte es liegen, dass der an sich so redselige Di Bartolomeo zum Thema Roboter einfach nicht zu sprechen ist. Klar ist aber auch, dass ein Minister von der CSV es nach den Wahlen schwer hätte. Einen Verstoß gegen das Spitalgesetz und die Abmachungen der Gesundheitsreform stillschweigend toleriert zu haben, wird der Partei mam Premier anhängen. Das Gesundheits- und Sozialressort haben das HKB, die Kongregationsstiftung und das Bistum für die CSV verbrannt.