Das statistische Samt Statec veröffentlichte vergangene Woche seinen Jahresbericht Travail et cohésion sociale. Er erntete kurz Aufmerksamkeit mit seinen Betrachtungen über die Armut. Aber nicht weniger interessant ist, dass neuerdings die Arbeitskräfteerhebung der Europäischen Union in diese Berichte einfließen. Denn auch wenn die alle drei Monaten durchgeführten Enquêtes sur les forces du travail nur auf Meinungsumfragen gründen, liefern sie, wie kaum eine andere Statistik, einen Überblick der Arbeitsverhältnisse in der Europäischen Union und damit auch in Luxemburg.
Diese Arbeitsverhältnisse sind aber seit drei Jahrzehnten ein heiß umkämpftes Terrain. Die Unternehmerverbände werden nicht müde, eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse zu verlangen, um die Arbeitskräfte möglichst kurzfristig an das Auf du Ab der Auftragslage anzupassen. Soll die Produktion steigen, wollen sie so rasch und unbürokratisch die Zahl der Beschäftigten erhöhen und die Arbeitszeit verlängern können, wie sie sich bei einem Rückgang der Nachfrage wieder von Beschäftigten trennen und die Arbeitszeit verringern wollen. Immer wieder weisen sie darauf hin, dass ihre Konkurrenten in den Nachbarländern von einem weniger strengen Kündigungsschutz und von weniger strengen Überstundenregelungen profitierten.
Die Gewerkschaften verteidigen dagegen nach Kräften das Normalarbeitsverhältnis, den unbefristeten Arbeitsvertrag über möglichst 40 Stunden die Woche. Denn es liefert den Lohnabhängigen die nötige Sicherheit, um ihr Leben zu planen, eine Familie zu gründen, ein Hypothekendarlehen aufzunehmen... Atypisch Beschäftigte genießen oft weniger arbeitsrechtlichen Schutz, fallen oft nicht unter die Kollektivverträge und haben oft geringere oder keine beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten. Daneben bedeutet die geringere Lohnmasse atypischer Arbeitsverhältnisse auch geringere Sozialabgaben und stellt somit eine Belastung für die Sozialversicherung dar.
Die Arbeitskräfteerhebung zeigt nun, wie das Normalarbeitsverhältnis seit Jahren zurückgedrängt wird. So hat sich binnen zehn Jahren der Anteil der befristeten Arbeitsverträge in der Wohnbevölkerung beinahe verdoppelt. Er ist von 4,8 Prozent im Jahr 2004 auf 8,1 Prozent im Jahr 2014 gestiegen. Der Anteil der befristeten Arbeitsverträge unter den 15- bis 24-jährigen Berufsanfängern machte vergangenes Jahr 45,4 Prozent aus und erreichte damit beinahe den EU-Durchschnitt. Mehr als verdoppelt binnen eines Jahrzehnts hat sich auch der Anteil jener, die unfreiwillig Teilzeit arbeiten, weil sie keine Vollzeitarbeit fanden.
Das Statec hebt in seinem Bericht wiederholt hervor, dass der Anteil der atypischen Arbeitsverhältnisse zwar steige, aber doch deutlich unter dem EU-Durchschnitt liege. Allerdings bezieht sich die Arbeitskräfteerhebung der Europäischen Union nur auf die Wohnbevölkerung, sie ignoriert also die Hälfte aller Erwerbstätigen in Luxemburg, jene, die in den Grenzgebieten der Nachbarstaaten wohnen. Und unter den Grenzpendlern, die zu Hause einem höheren Druck der Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind, sind atypische Arbeitsverhältnisse häufiger als unter der Wohnbevölkerung, von der zumindest ein Teil im öffentlichen Dienst arbeitet, wo atypische Arbeitsverhältnisse seltener als in der Privatwirtschaft sind.
Hinzu kommt, dass der Bericht über die Arbeit und den gesellschaftlichen Zusammenhang eine Reihe weit verbreiteter prekärer Arbeitsverhältnisse gar nicht erwähnt, wie die sowohl in der Industrie wie bei den Dienstleistungen verbreitete Leiharbeit, die im Transportgewerbe anzutreffende Scheinselbstständigkeit, die kaum oder nicht bezahlten falschen Praktikantenstellen. Und der Streit in Frankreich um die über Internet organisierte Schwarzarbeit der Uber-Fahrer, die Zero-hour contracts in Großbritannien zeigen, wo die Zukunft atypischer Arbeitsverhältnisse noch liegen kann.