Das Gesetz über die Rettungsdienste macht politisch von sich reden. Ihre Neuausrichtung aber läuft schon, denn Freiwillige sollen auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen

In Zukunft heißt es nur noch Pompjee

Sapeurs-pompiers Ville de Luxembourg
d'Lëtzebuerger Land vom 10.02.2017

Am 1. Januar 2018 könnte sie in Kraft treten, die Neuausrichtung der Rettungsdienste. Schätzt Marc Mamer, der Präsident des nationalen Feuerwehrverbands FNSP. Anfang vergangener Woche hatte er in einem RTL-Radiointerview erklärt, „wir warten darauf schon 3 700 Tage“. Kurz zuvor hatte der Staatsrat zu dem Gesetzentwurf von Innenminister Dan Kersch (LSAP) mehr als 20 formelle Einwände gemacht. Was so aussah, als könnte die Rettungsdienste-Reform womöglich der nächsten Regierung vermacht werden. Doch dann fanden Innenminister und Staatsrat zu einem Kompromiss über die wichtigste strittige Frage im Gesetzentwurf, so dass Neujahr 2018 als Stichtag realistisch erscheint. Klappt das, wäre Kersch so etwas wie ein Held. Nicht nur hatte die aktuelle Regierung die Rettungsdienste-Reform von ihrer Vorgängerin übernommen. Die hatte sie ebenfalls von ihrer Vorgängerin geerbt. Den Zyklus endlich zu brechen, wöge ähnlich schwer wie die Auflösung der Kirchenfabriken.

Dabei ist die Rettungsdienste-Reform schon seit Jahren in vollem Gange. Das kann kaum anders sein, denn 95 Prozent der Feuerwehrleute und Ambulanzkräfte sind Freiwillige. Daran soll die Reform nichts grundsätzlich ändern. „Aber wenn man Freiwilligen sagt: ‚Ihr müsst!‘, dann wird es schwierig. Wenn man mit ihnen zusammenarbeitet, dann geht es“, sagt der Feuerwehrverbands-Vorsitzende. Ein gutes Beispiel, wie Arbeit mit der Basis Bottom-Up zum Ziel führt, ist sein Verband selber: Seit 2015 ist er nicht nur für die Feuerwehrleute zuständig, sondern für sämtliche Lebensretter. Was einen Paragrafen in Dan Kerschs Gesetzentwurf vorwegnimmt, nach dem es in Zukunft nur noch pompiers volontaires und pompiers professionnels als Sammelbezeichnungen für alle Rettungskräfte geben soll, auch wenn sie etwa Sanitäter oder Taucher sind.

Korpsgeist Noch vor zehn Jahren wäre so etwas unvorstellbar gewesen. Da trennte die Feuerwehrleute und die Rettungskräfte des Zivilschutzes, der „Protex“, ein Korpsgeist, der es in sich hatte und auch von oben her gepflegt wurde. Als im Dezember 2006 der Feuerwehrverband eine Pressekonferenz ausrichtete und erklärte, aus Mangel an Freiwilligen beim Zivilschutz dauere es mitunter „extrem lange“, bis eine Ambulanz aus einem der 25 landesweiten Zivilschutz-Zentren ausrücke, gab es Krach mit der Protex. Zumal die Basis der Pompjeeën anbot, einzuspringen, bis eine Ambulanz zur Stelle sei. Für die Protex kam das nicht in Frage.

Der Feuerwehrverband wiederum war misstrauisch gegenüber einem neuen Gesetz, das 2004 in Kraft getreten war. Es denkt Feuerwehren und Zivilschutz bereits als „Rettungsdienste“ zusammen und schuf für sie eine gemeinsame Verwaltung, die Administration des services de secours, die dem Innenminister untersteht. Doch während der Zivilschutz seit mehr als einem halben Jahrhundert eine Sache des Staates ist, ist die Feuerwehr seit der französischen Revolutions-Gesetzgebung von 1790 und bis heute eine kommunale Aufgabe. Nicht nur viele Bürgermeister waren alles andere als erbaut, weiterhin für ihre Feuerwehr verantwortlich zu sein und für sie zahlen zu müssen, sie aber „irgendwie“ dem Staat zu unterstellen. Auch die Basis der Pompjeeën fürchtete, das Gesetz stülpe ihr etwas über.

Heute seien solche Befürchtungen weitgehend ausgestanden, sagt Paul Schroeder, der Direktor der Rettungsdienste-Verwaltung, und Marc Mamer erkennt, „der gemeinsame Korpsgeist“ von Zivilschutz und Feuerwehren werde „immer größer“. Aber es ist auch schon sieben Jahre her, dass der damalige CSV-Innenminister Jean-Marie Halsdorf nach den Wahlen von 2009 zu einer tiefgreifenden Reform ansetzte und sich von einem Expertengremium empfehlen ließ, alle Rettungsdienste in einer von Staat und Gemeinden gemeinsam betriebenen öffentlichen Einrichtung zusammenzufassen. Zwar schrieb erst Dan Kersch 2015 den Gesetzentwurf zur Schaffung dieses „Corps grand-ducal d’incendie et de secours“ (CGDIS), aber seit 2012 besteht ein nationaler Plan zur Organisation der Rettungsdienste. Der wird seitdem nach und nach umgesetzt, damit ein nahtloser Übergang möglich ist, wenn das Gesetz über das CGDIS in Kraft ist.

Professionalisierung Aber einfach sei das nicht, räumt Paul Schroeder ein. Luxemburg versucht mit dem CGDIS eine Frage zu beantworten, die in manchen anderen Ländern schon vor Jahrzehnten geklärt wurde: Welche Rolle sollen die Freiwilligen spielen und wieviele hauptamtliche Rettungskräfte werden gebraucht?

Tatsache ist, dass die Zahl der Freiwilligen abnimmt. Bei den Feuerwehren sank sie zwischen 2001 und 2015 von 6 642 auf 5 178, bei den Protex-Ambulanzen von 2 250 auf 1 854. Gleichzeitig nahm die Zahl der Einsätze um fast ein Drittel zu, von 58 213 im Jahr 2001 auf 75 152 im Jahr 2015. Weil die meisten Rettungseinsätze Ambulanz-Einsätze sind, mache der Mangel an Freiwilligen sich vor allem dort bemerkbar: „Wenn eine Ambulanz nicht mit zwei Leuten besetzt werden kann, fährt sie nicht“, erklärt Paul Schroeder. Dann springt eine andere ein. Manchmal kommt die für die eigentlich zuständige Ambulanz nötige Besatzung mit Verspätung doch zusammen und rückt aus. Dann sind zwei Ambulanzen vor Ort.

Die Rettungsdienste-Reform soll deshalb mehrerlei leisten. Sie soll dafür sorgen, dass im Alarmfall nach 15 Minuten Rettungskräfte bereitstehen, ganz egal wo im Land. Sie soll die knappen Personalressourcen sinnvoll bündeln. Staat und Gemeinden sollen das neue Rettungskräfte-Korps CGDIS auf faire Weise gemeinsam finanzieren. Der Freiwilligendienst soll erhalten bleiben und gefördert werden – einerseits, damit kommunitäres Engagement in der Gesellschaft weiterbesteht, andererseits, weil das Kosten spart. Paul Schroe-
der reagiert mit einem regelrecht erschrockenen Nein auf die Frage, ob ausgerechnet worden sei, was eine Vollprofessionalisierung des CGDIS kosten würde. Die der Protex war vor zwölf Jahren simuliert worden. Der damalige Protex-Direktor hatte von „beeindruckenden Summen“ gesprochen (d’Land, 12.02.2004).

Geteiltes Risiko So, wie der für das Ambulanzwesen zuständige Staat sich derzeit nicht in allen Einsatzzentren rund um die Uhr einer ausreichenden Zahl an Rettungskräften sicher sein kann, gibt es Gemeinden, die keine eigene Feuerwehr mehr aufbieten können und einen Vertrag mit einer Nachbargemeinde abgeschlossen haben, um sich helfen zu lassen. Diese Risiken sollen durch das Pompjeescorps in der öffentlichen Einrichtung „vergemeinschaftet“ werden: In vier Regionen Norden, Zentrum, Süden und Osten sind insgesamt 14 „Groupements“ vorgesehen, von denen wiederum jedes eine Zahl Einsatzzentren der Kategorien 1, 2, 2bis, 3, 4 und 4bis enthält. Die Zentren sollen so zusammenwirken, dass in jedem Groupement Rettungskräfte binnen einer Viertelstunde den Einsatzort erreichen.

Die Struktur spiegelt die gewachsenen Probleme wider: Zentren der Kategorie 1 gibt es eigentlich nicht; damit sind die „nicht mehr aktiven“ Zen-
tren gemeint. Standard sind die freiwilligen Feuerwehren in den kleinen Gemeinden mit einem Zentrum der Kategorie 2: Sie sollten rund um die Uhr einen Feuerwehr-LKW mit sechs Mann Besatzung aufbieten können; ein Zentrum 2bis darüberhinaus noch ein Ambulanzfahrzeug mit zweiköfpiger Besatzung. Schafft ein solches Zen-
trum seinen Einsatz aus Freiwilligenmangel nicht oder nicht rechtzeitig, würde eines der Kategorie 3 einspringen: In jedem Groupement ist mindestens ein solches Einsatzzentrum vorgesehen; es würde auch über hauptamtliches Personal verfügen und garantiert rund um die Uhr schnell abrufbereit sein. In die Kategorie 4 fielen große Zentren mit mindestens zwei Feuerwehr- und zwei Ambulanz-Mannschaften. Die Berufsfeuerwehr der Hauptstadt betriebe in der Kategorie 4bis das größte Einsatzzentrum mit noch mehr Ambulanz-Ressourcen.

Auch in Zukunft, erläutert Paul Schroeder, würde stets zuerst das lokale, am nächsten liegende Zentrum alarmiert. Doch schon heute ginge, je nach Art des Notfalls, ein Alarm auch an größere Zentren. „Gibt es zum Beispiel in Steinsel einen Wohnungsbrand, bei dem Menschenleben in Gefahr sind, würde auch die Feuerwehr in Walferdingen oder in Lorenzweiler gerufen.“ Je nach den Alarmstufen soll das künftig systematisiert werden. „Der starke Regen im Ernztal im Juli war für uns eine Art Generalprobe für die Koordina-tion, wie wir sie uns vorstellen.“ Sie sei „ziemlich gut“ gelaufen. Einen Quantensprung an Organisation und Koordination habe die neue Einsatzleitstelle des Notrufs 112 erlaubt, die seit Sommer vergangenen Jahres in Betrieb ist: Durch das digitale System können die Rettungskräfte in Echtzeit „dispatched“ werden.

800 Profis Diese Konstellation ist durchaus delikat, wenn die Rettungsdienste auch in Zukunft auf Freiwillige nicht verzichten sollen: Paul Schroeder weiß, dass an der Basis auch nach den jahrelangen Gesprächen über die Reform noch die Meinung anzutreffen ist: „Eines Tages werdet ihr uns nicht mehr brauchen, dann hat der Mohr seine Schuldigkeit getan.“ Denn in dem nationalen Rettungsdiensteplan ist von 800 pompiers professionnels die Rede. Paul Schroeder betont, das sei „eine theoretische Zahl, die angibt, wie viel Personal das
CGDIS brauchen würde, um alle seine Funktionen zu erfüllen“. Bliebe es bei fast 7 000 aktiven Freiwilligen, die 2105 gezählt wurden, brauchte man sicherlich keine 800 Hauptamtlichen.

Doch wie viele Freiwillige man wird halten können, ist eine kritische Frage. Von 800 Professionellen ist die Rettungsbranche noch weit entfernt. Derzeit zählt sie 72 hauptamtliche ambulanciers, die 180 Stater Berufsfeuerwehrleute und die 50 am Flughafen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes ebenso wie die Feuerwehr von Luxemburg-Stadt dem großherzoglichen Korps zugeordnet werden sollen. Die Verfügbarkeit von Freiwilligen aber ist sehr verschieden je nach Region und Tageszeit. In Esch/Alzette erledigen Hauptamtliche schon heute fast den gesamten Ambulanzdienst. „Da fahren die Freiwilligen zur Unterstützung mit, da fährt man, wenn man Dienst hat, quasi ständig, so viel gibt es zu tun“, sagt Paul Schroe-
der. Die Feuerwehr der Hauptstadt ist mit ihren Ambulanzen schon lange im ganzen Zentrum des Landes unterwegs. Feuerwehrverbandspräsident Marc Mamer, der Kommandant der Feuerwehr in Leudelingen ist, weiß: „Wochentags ist es schwierig zwischen sieben Uhr und 16 Uhr, da brauchen wir das Backup aus der Hauptstadt im Rücken.“

Man dürfe aber nicht den Fehler machen, Freiwillige nur als „Gehilfen“ mitzunehmen. Das sei in der Hauptstadt geschehen, in der die Feuerwehr schon in den 1920-ern hauptamtlich wurde: „Da gab es vor Jahren noch über 300 Freiwillige, heute sind es noch 50.“ Dan Kerschs Gesetzentwurf warnt in seinem Motivenbericht regelrecht: Die Freiwilligentätigkeit verliere bei der Jugend an Attraktivität. Die Jugendsektionen des Feuerwehrverbands hätten im Jahr 2011 noch 1 359 acht- bis 16-jährige Mitglieder gezählt, halb so viele wie 2001. Auch wenn Maßnahmen ergriffen würden, diese Tendenz umzukehren, könne man sich leicht vorstellen, dass das wichtigste Reservoir zur Rekrutierung der pompiers volontaires noch weiter schrumpft. Und das bei einer Bevölkerung, die stark wächst und mehr Einsätze verlangt.

Dëppefester Gegensteuern wollen Regierung und Feuerwehrverband auf verschiedene Weise. Zum einen mit der Ausbildung, „die sich schon heute nicht zu verstecken braucht gegenüber der der Berufsfeuerwehrleute“, so Marc Mamer, aber künftig „flexibler“ ans Berufsleben der Freiwilligen angepasst werden soll. Andererseits durch „Entschädigungen“ und „Anerkennungen“. Ausdiskutiert ist das noch nicht: „Es kann nicht darum gehen, Freiwillige regelrecht zu bezahlen, denn dann sind sie keine Freiwilligen mehr“, sagt Marc Mamer. Dass die Protex vor Jahren den Vorschlag machte, jede Stunde, die ein Freiwilliger in Rufbereitschaft verbringe, mit einem Euro zu vergüten, sei eine Idee, die auch an der Basis Anklang fände. Das wäre eine „Anerkennung“. Die „Entschädigung“ dürfe damit aber nicht verwechselt werden: „Wenn ein Freiwilliger sich im Dienst seine Hose zerreißt, sollte er das ersetzt bekommen.“ Und nicht zu vergessen das Vereinsleben: Die lokalen Rettungsdienste lebten auch von Buergbrennen, Jahresendfeiern, Ausflügen und Dëppefester. Bekämen sie dafür eine Zuwendung, werde das Staat und Gemeinden, die die neue öffentliche Einichtung CGDIS gemeinsam finanzieren werden, vermutlich sehr hoch angerechnet.

Weil an der Rettungsdienste-Reform schon so lange gearbeitet wird und sie unter der Regie eines CSV-Innenminister gestartet wurde, dürfte die Diskussion des CGDIS-Gesetzentwurfs im parlamentarischen Innenausschuss vermutlich keine großen politischen Probleme bereiten, wenn es um die Rettungsdienste-Organisation selbst geht. Nachdem Innenminister und Staatsrat vergangene Woche überein kamen, den Bürgermeistern das Recht zur „Beschlagnahmung“ einer Feuerwehr zu geben, ähnlich wie seit der Fusion von Polizei und Gendarmerie eine Beschlagnahmung der eigentlich weiterhin dem Bürgermeister unterstehenden Polizei im Gesetz steht, scheint der öffentlichen Einrichtung CGDIS vor allem noch die Finanzierungsfrage im Wege zu stehen.

Kommenden Montag will der Syvicol-Vorstand sich zum CGDIS äußern. Anfang 2016 meinte er noch, den Gemeinden werde ein zu hoher Finanzierungsbeitrag abverlangt. Wie sensibel manche sind, zeigte sich 2015, als vereinbart wurde, die Berufsfeuerwehr von Luxemburg-Stadt trete dem
CGDIS vielleicht erst 2021 bei – einerseits, um diesem genug Zeit zu geben, so „professionell“ zu werden wie die Stater Pompjeeën, andererseits, weil kleine Gemeinden keine Lust hatten, der Hauptstadt die Feuerwehr zu bezahlen. Das größte politische Risiko für ein schnelles Vorankommen des CGDIS-Projekt könnte am Ende darin bestehen, dass Gemeinden, die sich durch die jüngste Kommunalfinanzreform benachteiligt fühlten, über das CGDIS die Verteilungsfrage neu stellen und die CSV sich das politisch zueigen macht.

Peter Feist
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