Mit ihrem Antrag zu einer Parlamentsdebatte zur Wettbewerbsfähigkeit fiel die CSV nicht nur dem Staatsminister in den Rücken, sondern legte noch mal offen, wie zerstritten Koalition und Partei sind

Foulspiel

d'Lëtzebuerger Land vom 01.07.2010

„An Jean-Claude Juncker, einen guten Freund, richte ich folgende Worte: Herr Staatsminister, Sie waren ein großer Premierminister in Zeiten, da alles rund lief, und man das Geld mit der Schaufel verteilen konnte. Zeigen Sie jetzt, dass Sie auch dann ein großer Premierminister sind, wenn es in schlechten Zeiten heißt, dem Luxemburger Land in den kommenden Generationen eine Zukunft und den Unternehmen wieder eine Perspektive zu geben. Damit setzen Sie sich hierzulande ein Denkmal, wie Europa keines bieten kann.“ Die 500 bis 700 Unternehmer, die am Dinestagabend zur Patronsmanif auf den Krautmarkt gekommen waren, spendeten Norbert Geisen, Präsident des Handwerkerverbandes, für diese Worte am Dienstagabend kurz vor sechs begeisterten Beifall.
Eine halbe Stunde zuvor hatte es Pfiffe und Buhrufe gegeben, als der CSV-Abgeordnete und LCGB-Vorsitzende Robert Weber die Treppe des Parlamentsgebäude hinabstieg. „Es ist ja auch schon nach fünf. Seine Zeit, um Feierabend zu machen“, rief ein Firmenchef sarkastisch in die hämisch lachende Menge. Weber zeigte ungeahnten Mut, trat den Spießrutengang durch die Unternehmermenge vors Rednerpodium an, harrte aus, während Geisen den Gewerkschaften vorwarf, von  vornherein nicht verhandlungsbereit gewesen seien und ihnen die Schuld für das Scheitern der Tripartite zuschob. Geisen beklagte die steigenden Lohnkosten und, dass es sich für Unternehmer bald nicht mehr lohne, das finanzielle Risiko zur Gründung und Leitung einer Firma einzugehen.
Man könne nicht akzeptieren, dass die Politik  nach dem Scheitern der Tripartie alles stehen und liegen lasse, so Geisen weiter. So langsam kam das anfangs zurückhaltend klatschende, kundgebungsunerfahrene Publikum auf Touren. Ein Ziel habe man bereits erreicht, so der Vorsitzende des radikalen Arbeitgeberverbands. Nämlich dass am folgenden Tag das Parlament über die Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Wirtschaft debattieren werde. „Hoffentlich ziehen die Abgeordneten die richtigen Schlüsse, dann erübrigt sich die Tripartite-Debatte im Herbst vielleicht“, meinte Geisen und nahm die Politik in die Verantwortung. Denn, so fügte er hinzu, „als Resultat werden wir keine Antwort akzeptieren, die erstens lautet: ‚Die Sozialpartner sollen das regeln’ und zweitens, ‚wenn es so weit ist, dass vier Indextranchen jährlich erfallen, dann unternehmen wir etwas’.“ Die Unternehmer klatschen begeistert.
Ihnen musste deswegen auch gefallen haben, was das CSV-Fraktionstrio, bestehend aus einem ehemaligen Minister – Jean-Louis Schiltz, Fraktionsvorsitzender –, einem ehemaligen Bankenlobbyist – Lucien Thiel, Vizefraktionsvorsitzender –, und einem ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär Marc Spautz, ebenfalls Vizefraktionsvorsitzender –, bereits am Dienstagmorgen auf einer Pressekonferenz gefordert hatte. Zwanzig/21 Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Wirtschaft stellten sie vor, allesamt mehr oder weniger deckungsgleich mit den 65 Vorschlägen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die Wirtschaftsminister Jeannot Krecké im Rahmen der Tripartite-Verhandlungen gemacht hatte. Von Bürokratieabbau, über Transportinfrastrukturen, Forschung und Entwicklung, der Entwicklung neuer Nischen für die Finanzbranche, bauten Schiltz, Spautz und Thiel die Spannung auf, in Wort und via Powerpoint bis hinzu zur Maßnahme Nummer 21: der Indexfrage.
Nummer 21, führten die CSV-Fraktionsmitglieder weder in den schriftlichen Unterlagen aus, noch wollte Schiltz die Haltung der parlamentarischen Gruppe mündlich wiederholen. Lediglich ein clin d"oeil sollte es sein, um zu zeigen, dass viele Maßnahmen unabhängig von der Indexfrage umgesetzt werden könnten. Ein Zwinkern, das zur Folge hatte, dass alle Beteiligten Position beziehen mussten. Seit den Debatten über die Rede zur Lage der Nation habe sich daran nichts geändert. Damals hatte Schiltz am Rednerpult des Parlaments gesagt, man wolle eine Diskussion über die Art und Weise, wie der Index in Krisenzeiten zu regulieren sei. Eine Einigung darüber müsse bis in den Herbst gefunden werden und im Dezember Form annehmen. Die CSV-Fraktion sei flexibel, was eine Index-Deckelung und die Veränderung des Warenkorbs betreffe.
Vielleicht hatte Schiltz das Gefühl, im Mai nicht richtig verstanden worden zu sein. Mit Nachdruck forderten die drei CSV-Vertreter von der CSV-LSAP-Regierung wiederholt und ausdrücklich einen detaillierten Zeitplan zur Umsetzung der Maßnahmen. Die müsse sofort erfolgen. Man könne weder bis zum Herbst noch bis in den Dezember warten. Je nachdem müssten die Maßnahmen bei der Aufstellung des Haushalts für 2011 berücksichtigt werden, der werde bereits im Sommer vorbereitet, so der Budgetberichterstatter Thiel. Schlussfolgerung: In den Zeitplan der Fraktion, der vorsieht, dass zur Haushaltsvorbereitung im Sommer bereits alles entschieden sein muss, passt eine neue Tripartite-Runde im Herbst nicht hinein.
Offenes Foulspiel, Blutgrätsche an Staatsminister Jean-Claude Juncker, auf den der Vorschlag zur neuen Dreier-Verhandlungsrunde im Herbst zurückgeht? Nicht unbedingt. Vielleicht wurden Schiltz, Thiel und Spautz in Absprache nicht nur mit den CSV-Parlaments-, sondern auch den CSV-Regierungsmitgliedern vorgeschickt, um den Druck auf die Sozialpartner zu erhöhen. Um der Regierung eine Vorlage zu bieten, im Alleingang vorgezogene Entscheidun­gen zu treffen und durchzusetzen, wie es Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) in Bezug auf die Arbeitslosengeldbestimmungen und Hochschulminister François Biltgen hinsichtlich der Studentendarlehen (siehe Seite 5) ohnehin bereits tun.
Denn während der von der CSV beantragten Debatte über Kreckés 65-Punkte-Programm sprach das CSV-Trio ausschließlich über eigenen 21 Punkte und den vorgezogenen Zeitplan. Die Strategie der Vorhut, sollte es eine gewesen sein, ging nicht auf. Die CSV bot erneut, gewollt oder ungewollt, das Bild einer zerstrittenen Partei, deren Abgeordneten unverhohlen den von ihr gestellten Staatsminister angreifen. Noch dazu boten die Christlich-sozialen den LSAP-Vertretern eine Steilvorlage, um ihrerseits zu demonstrieren, dass die Fronten in der Koalition nach dem Eklat im Frühling unverändert verhärtet sind.
LSAP-Fraktionsvorsitzender Lucien Lux nutzte prompt die Gelegenheit, um, Siegerlächeln im Gesicht und ein Zwinkern in den Augen, die korrigierten Wirtschaftsdaten nach Art des Gewerkschaftlers zu interpretieren. Der Anstieg der Steuereinnahmen innerhalb der ersten fünf Monate, die optimistischeren Wirtschaftsprognosen und die verbesserte Haushaltslage zeigten: „So manches muss relativiert werden“, so Lux. Er sehe für die kommenden Wochen und Monate fünf Baustellen: den Bürokratieabbau, darunter die Kommodo-Inkommodo-Prozedu­ren, das Gemeinde- und das Landesplanungsgesetz, die Verbesserung der Infrastrukturen, die wirtschaftliche Diversifizierung, die Bildung und die Bekämpfung der Inflation.
Angesichts der wachsenden Beschäftigungsraten habe sich aber auch gezeigt: „Der Index hat unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt (...), deswegen gibt es keinen akuten Handlungsbedarf.“ Erst wenn zu sehen sei, dass die Inflation dramatisch zunehme, und man feststelle, dass man sich zwei bis drei Indextranchen jährlich nicht erlauben könne, sei man bereit zu diskutieren: „Deswegen muss im Herbst der Sozialdialog gesucht werden.“ Der Fraktionsvorsitzende der LSAP unterstützt, im Gegensatz zur CSV, den Zeitplan des Premierministers.
Die Opposition ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Henri Kox, déi Gréng, stellte fest: „ Es gibt keine gemeinsamen Vorschläge der Regierungsparteien. Die Regierung will im gleichen Chaos weitermachen wie bisher. Diese Regierung ist am Ende.“ DP und ADR kommentierten ähnlich. Das fiel ihnen nicht schwer. Zumal der CSV-Abgeordnete undLCGB-Vorsitzende Robert Weber während der Debatte der eigenen Partei mittels Pressemitteilung dazwischenfunkte, sich persönlich und formal von den Fraktionspositionen distanzierte, die er Lucien Thiel ankreidete. Die Opposition zitierte genüsslich aus seiner Mitteilung – auch Weber hält an Junckers Zeitplan fest. Der Mut vom Vortag hatte ihn verlassen, er trat nicht selbst ans Rednerpult. Ein sichtlich genervter Schiltz musste sich fragen lassen, ob er im Namen aller 26 CSV-Abegeordneten gesprochen habe. „26“, kam die Antwort. Dieser Bluff wäre schnell entlavrt, wenn es, wie die Fraktionssprecher fordern, im Parlament zur Abstimmung über eine nicht von den Sozialpartnern gemeinsam beschlossenen Indexmodulation oder -deckelung kommen sollte.
Dass es so weit kommt, schloss Wirtschaftsminister Jeannot Krecké implizit aus. Erst vergangenen Freitag habe man in der Kabinettssitzung die Zuständigkeiten für die 65 Wettbewerbsfähigkeitsverbesserungspunkte geklärt. Für Punkt 49 seines Programms – „Revoir le système en place relatif à l’indexation automatique des salaires, et notamment la modification du panier de référence. En cas de dérapage de l’inflation, il y a lieu de mettre en place un système de décalage temporel en matière d’application des tranches indicières“ vepflichteten die Ministerkollegen Krecké selbst. Er habe, so Krecké, den Auftrag erhalten, im frühen Herbst die dafür nötigen Messinstrumente vorzulegen. Was dafür spricht, dass die Regierung am Junckerschen Zeitplan festhalten will. „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“, motzte Jean-Louis Schiltz, als die LSAP-Deputierten über die Pressemitteilung Robert Webers losprusteten. So blieb Gast Gibéryen (ADR) die Feststellung: „Hier geht es nur noch darum, welche Partei das Gesicht wahren kann.“ Für die CSV empfiehlt sich, das ihrige bis auf weiteres hinter einer dunklen Sonnenbrille zu verstecken.

Michèle Sinner
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