Renaissance

Déjà vu, wie schade

d'Lëtzebuerger Land vom 23.03.2006

Renaissance – das ist ein mit Hintersinn ausgewählter Titel für Christian Volckmans abendfüllenden Animationsfilm, denn er transzendiert ein Konzept. Die französisch-britisch-luxemburgische Koproduktion, an der das Luxanimation-Studio in Doncols beteiligt war, will im Genre innovieren und tut es auch. Kaum ein Animationsfilm war bisher derart expressionistisch im Duktus: Renaissance ist ein Film von Licht und Schatten, ein Experiment in Schwarz-Weiß, das beinah ohne Grautöne auskommt. Menschliche Gesichter sind entweder schwarze Schatten, die von weißen Flecken aufgehellt werden, oder lichte Weißflächen, die eine subtile schwarze Kontur umgibt. Motion capture hat dafür gesorgt, dass trotz aller grafischen Abstraktion die Figuren dennoch "leben": Sämtliche Szenen wurden von echten Schauspielern dargestellt, deren Bewegungen mit Digitalkameras aufgenommen und anschließend die Trickfiguren dadurch am Computer animiert. Die Technik ist verhältnismäßig neu, war zuletzt in Robert Zemeckis Polar Express zu sehen und wurde zuvor beispielsweise zur Belebung der Figur des Kobolds Gollum in der Lord of the Rings-Trilogie benutzt. Verglichen damit wird das Verfahren in Renaissance regelrecht Epoche machend eingesetzt: Die Animation durch Motion capture verleiht hier sogar grafisch extrem reduzierten Figuren einen Charakter.

Das funktioniert um so besser, als bei der Darstellung von Landschaften und Interieurs ebenfalls Zurückhaltung im Stil waltet. Obwohl ein Science-Fiction-Thriller aus dem Paris des Jahres 2054 erzählt und eine Metropole skizziert wird, die überbevölkert ist, deren Bauten in die Höhe gewachsen sind; obgleich eine Gesellschaft entworfen wird, in der selbst das Privatleben der Menschen unter Videoüberwachung steht und der eigentlich mächtige Staat im Staate ein Biotechnologiekonzern ist, gerieten die Bilder von Stadt und Gesellschaft nicht zu einem futuristischen Schickschnack. Dank einer Beschränkung auf das Wesentliche hat Renaissance eine sehr stimmige Atmosphäre erhalten, sind seine Bilder von um so größerer Sogwirkung und gleichzeitig von einigem intellektuellen Anspruch. Formal betrachtet, haben die sieben Jahre Produktionszeit zu einem großen Wurf geführt.

Da ist es geradezu jammerschade, dass die Möglichkeit verschenkt wurde, die hochinteressanten Mittel zur grafischen Charakterstilisierung zu nutzen, um die Filmfiguren mehr durchleben zu lassen als eine Plot-orientierte Zukunfts-Politkrimi-Story. Zentralgestalt der Geschichte ist ein auf die Lösung von Entführungsfällen spezialisierter Polizeibeamter. Er erhält den Auftrag, eine Biowissenschaftlerin zu finden – dass sie gewaltsam entführt wurde, war zuvor zu sehen gewesen. Die junge Frau, so stellt sich heraus, ist die große Hoffnung des mächtigen Biotech-Konzerns namens Avalon, dessen Werbespots auf überdimensionalen Bildwänden in der Stadt omnipräsent sind und dessen Produkte so etwas wie immer währende Jugend versprechen. Die Arbeit der entführten Wissenschaftlerin enthält möglicherweise den Schlüssel zur tatsächlichen Allmacht für Avalon: eine Technologie zur Bereitstellung der Unsterblichkeit.

Renaissance zeigt nicht wenige politische und ökonomische Interessen hinter dem Entführungsfall und dem Wunsch nach dessen Aufklärung; sein Plot ist ziemlich komplex, lässt den Polizisten zum Einzelkämpfer gegen Wirtschaftsinteressen werden,  und die Story bietet am Ende eine überraschende Lösung à la Hitchcock. Wenig ist das nicht, doch es  hat schon viele Filme über an den Verhältnissen tragisch zu scheitern drohende Polizisten gegeben. Das Problem von Renaissance ist, dass seine Figuren Stereotypen bleiben, dass er bei aller Innovation ein Stück Popkultur sein soll und bei aller grafischen Eigenwilligkeit unübersehbar aus Filmen wie Minority Report, I, Robot oder Blade Runner zitiert. Und hat man sein gestalterisches Prinzip durchschaut, ist er nicht viel mehr – aber auch nicht weniger – als eine höchst originell animierte bande dessinée, wie sie Enki Bilal oder Moebius gezeichnet haben könnte.

Peter Feist
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