„Je salue l'accord conclu auj @EU_Commission sur les #taxRulings pour + de transparence entre pays membres @pierremoscovici @pierregramegna“, twitterte der sogenannte „Jäger der Steuerparadiese“ und Direktor der Steuerpoltik der OECD, Pascal Saint-Amans, am Dienstag. @pierregramegna, Finanzminister (DP) „favorisierte“ sofort. Dazu hatte er allen Grund; es war ein guter Tag für ihn. Denn kurz zuvor hatten er und EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici in Luxemburg (Ha!) bekanntgegeben, dass sich die EU-Finanzminister, nur elf Monate nach den Luxleaks-Enthüllungen (Ha!!) unter Luxemburger Präsidentschaft auf den automatischen Austausch von Rulings geeinigt hatten (Ha!!!). Dabei lag der Richtlinienvorschlag erst seit März vor – in 20 Jahren habe er noch keinen dermaßen schnellen Kompromiss in Steuerfragen gesehen, lobte Moscovici. Pierre Gramegna war die Bescheidenheit selbst, beantwortete wortgewandt, souverän und zweisprachig alle Fragen, machte den Eindruck, als ob er endlich ein politisches Mandat bekleide, obwohl er nicht gewählt ist und sich selbst lieber als Techniker denn als Politiker bezeichnet.
Dass es so schnell ging, dafür gibt es viele gute Gründe. Vielleicht lag es daran, dass Luxemburg, durch den Luxleaks-Skandal unter zu großem Druck, anders als in den letzten 20 Jahren keinen Kompromiss blockierte. Und welch ein Glück, dass Luxemburg die Präsidentschaft innehat und als Chef-Unterhändler „neutral“ bleiben, also keine Position einnehmen musste, sondern die anderen streiten lassen konnte. Dass grenzt, eine Woche nachdem die fehlende Seite des Krecké-Berichts aufgetaucht ist, die der ehemalige Abgeordnete und spätere Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) Mitte der Neunziger entfernt hatte, um Luxemburgs Neutralität während der Ratspräsidentschaft 1997 nicht zu gefährden, an Ironie. Zumal Krecké damals explizit auf die Niederlande verwies, Vorreiter in Sachen Steuerrulings, „qui ont récemment introduit des innovations pour le financement des groupes afin d’améliorer le climat fiscal d’investissement et de concurrencer des régimes attrayants proposés hors des Pays-Bas“.
Kein Wunder demnach, dass auch diesmal die Niederländer gegen die Richtlinie Widerstand leisteten, die am 1. Januar 2017 in Kraft tritt. Vor allem, was die Rückwirkung betrifft. Die Juncker-Kommission hatte zehn Jahre vorgeschlagen. Die Minister einigten sich darauf, dass sie fünf Jahre zurück wirken soll, also alle Rulings betrifft, die ab 2012 ausgestellt wurden und, um auch ältere Rulings zu erfassen, alle die Vorbescheide, die am 1. Januar 2014 – also vor Luxleaks – gültig waren. Durch den langen Rückwirkungsgrad sollte der Eindruck vermieden werden, man wolle die politischen Entscheidungsträger von damals schützen, etwa den aktuellen Kommissionspräsidenten und ehemaligen Luxemburger Staatsminister Jean-Claude Juncker, was eher ein Anliegen der Kommission als der aktuellen Luxemburger Regierungskoalition sein dürfte.
Aber nicht nur die Niederlande, die besonders vielen KMU Rulings ausgestellt haben sollen, wehrten sich dagegen, tausende von Dokumenten aus den Aktenschränken zu holen, um sie mit den anderen Mitgliedstaaten zu teilen. Überraschen mag auch, dass Deutschland, dessen Minister und Abgeordnete, würde die Geschichte das nicht verbieten, sonst gerne die Kavallerie in kleinere Nachbarländer schicken würden, um Steuerhinterziehung, -flucht, -optimierung und -planung den Garaus zu machen, sich dagegen sperrten, dass die EU-Kommission alle Rulings samt Inhalt erhält. „Das wollen die Bundesländer ja nicht“, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, und er verwies auf das Steuergeheimnis. Dadurch wird es die Kommission wesentlich schwerer haben, herauszufinden, ob ein Unternehmen durch den Inhalt seines Vorbescheids in den Genuss einer illegalen Staatsbeihilfe kommt oder nicht.
Dass die 28 EU-Staaten sich dennoch so schnell einigen konnten, liegt aber vielleicht auch daran, dass durch den Ruling-Austausch nicht direkt etwas auf dem Spiel steht. Zumindest sagt das Pierre Gramegna. Denn obwohl die EU-Kommission, Nicht-Regierungsorganisationen und internationale Medien gerne fantastisch große Milliardenbeträge zitieren, die den europäischen Regierungen durch die aggressive Steuerplanung der multinationalen Großkonzerne durch die Lappen geht, konnten die beiden Pierres am Dienstag nicht sagen, wie sich die gerade beschlossene kleine „Revolution“ auf die öffentlichen Kassen auswirken könne. Beziehungsweise, sie mussten einräumen, dass der Austausch nichts bringen würde. „Normalerweise dürfte es gar keine Auswirkungen haben“, so Pierre Gramegna auf den Luxemburger Haushalt angesprochen, „wir nehmen ja keinem Steuern weg.“ Pierre Moscovici wollte dazu lieber erst mal gar nichts sagen. Räumte dann aber ein: „Wir kennen die Situation ja gar nicht. Vielleicht werden sich schädliche Rulings in nützliche Rulings verwandeln.“ Und später: „Wir werden das entdecken.“
Man dürfe den automatischen Austausch nicht als isolierte Maßnahmen betrachten, mahnte deshalb der Luxemburger Finanzminister, sondern im Rahmen der allgemeinen Veränderung der internationalen Steuerlandschaft, die derzeit stattfinde. „Sonst kann er als sinnlose Übung erscheinen“, verwies Gramegna auf die am Vortag vorgestellten Schlussfolgerungen der OECD-Arbeitsgruppen, die unter dem Titel Beps für base erosion and profit shifting Änderungsvorschläge gemacht hat, die darauf abzielen, dass Konzerne in Zukunft die Lücken zwischen den nationalen Steuerregeln und internationalen Verträgen nicht mehr ausspielen können, um ihre Steuerrechnung fast auf Null zu reduzieren. Pascal Saint-Amans selbst hatte via Live-Übertragung im Internet – „Guten Morgen, guten Mittag und gute Nacht, je nachdem von wo sie zugeschaltet sind“ – den Aktionsplan mit einem „very happy and relieved“ Grinsen präsentiert. Den „political circles“ würde OECD-Chef Angel Gurría das „holistic package“ beim G-20 Treffen in Lima während eines „dinner dedicated to tax matters“ zum Abendessen servieren, so Saint-Amans.
Insgesamt 15 Punkte beinhaltet dieses holistische Paket. Von besonderem Interesse sind: die Abschaffung der „Hybride“, die Änderung der Spielregeln in Bezug auf die steuerliche Behandlung der Einnahmen aus geistigem Eigentum und neue Spielregeln für die Bestimmung der Transferpreise. Hybride Konstruktionen kann man grob wie folgt erklären: Ein Unternehmen A aus einem Land zahlt einem Unternehmen B in einem zweiten Land Zinsen, kann dadurch seine Steuerlast senken. Bei Unternehmen B kommen die Gelder in Form von Dividenden an, die nicht besteuert werden, alles im Einklang mit der jeweiligen Steuergesetzgebung. Das soll künftig so nicht mehr möglich sein. Die Einnahmen aus der Verwertung von geistigem Eigentum wie Patenten oder Marken sollen künftig nur noch dann in großem Maße von der Steuer befreit sein, wenn das geistige Eigentum auch in dem Land entwickelt wurde, in dem sie zum Billigtarif versteuert werden sollen. Neue Transferpreisregeln sollen verhindern, dass die Einheiten eines Konzerns in verschiedenen Ländern sich durch das Verrechnen konzerninterner Dienstleistungen fiktiv hohe Kosten schaffen, die dann von der Steuer abgesetzt werden können.
Das betrifft auch den Inhalt Luxemburger Rulings: Gegenstand der Steuerbescheide von Amazon und Fiat Finance and Trade, die noch von der EU-Kommission wegen des Verdachts auf illegale Beihilfen untersucht werden, sind die Einnahmen aus geistigem Eigentum beziehungsweise die angewandten Transferpreise. Dennoch ist Pierre Gramegna ziemlich unbesorgt, wenn es um die Folgen dieser Änderungen für die Luxemburger Wirtschaft und die Steuereinnahmen geht. „Die Attraktivität von Luxemburg ist jetzt weniger gefährdet als vorher, weil die Spielregeln sich in allen Ländern ändern“, so der Finanzminister. Und: „Noch vor Luxleaks haben wir die Ruling-Prozedur ins Gesetz aufgenommen und eine Kommission geschaffen, die diese Vorbescheide analysiert, um eine harmonische Anwendung zu gewährleisten. Deshalb sind wir gut aufgestellt und brauchen keine Angst zu haben, dass durch den Austausch größere Probleme auftreten.“ Wie viele Rulings die neue Kommission bisher erstellt hat, sagte Pierre Gramegna nicht.
Diese Einschätzung – dass Ruling-Austausch und Beps-Neuerungen ohne größere Konsequenzen bleiben – teilen längst nicht alle. Am wenigsten die, die sich mit Rulings und Beps-Regeln auskennen. Zwar hätten viele Firmen auch in der Vergangenheit schon anderen Steuerverwaltungen auf Nachfrage ihr Luxemburger Ruling vorgelegt oder Informationen dazu gegeben. Doch wenn die Verwaltungen nun systematisch „Notizen vergleichen“ könnten, wie Pierre Gramegna es nennt, könnte es sein, dass ihnen mitunter Inkohärenzen auffielen, die vorher nicht ersichtlich waren. Zumal bei den Transferpreisen nicht alles schwarz und weiß sei und der Spielraum für Interpretationen groß. Darüber würde auch heute schon, beispielsweise im Rahmen von Steuerprüfungen ausländischer Mutterkonzerne von Luxemburger Filialen diskutiert und die Steuerrechnung gegebenfalls revidiert, so ein Steuerberater. Ein anderer gibt zu bedenken: „Nach der Veröffentlichung der Luxleaks-Rulings ist erstaunlich wenig passiert.“ Was wohl daran liegt, dass deren Inhalt weder der Öffentlichkeit noch den Steuerverwaltungen gefällt, in den meisten Fällen aber nur schwierig vor Gericht anfechtbar ist.
Viel weiter reichende Folgen, warnen die Steuerberater eindringlich, habe die aktuelle Haltung der von Pierre Gramegna eingeführten Ruling-Kommission. Dafür finden sie hinter vorgehaltener Hand äußerst deutliche Worte. „Es ist eine Katastrophe.“ Man sei dabei, das Ruling-System zu ruinieren, die Frage sei, „ob das politisch beabsichtigt ist oder nicht?“ „Die Kommission schafft sich bald selbst ab, wir fragen weniger Rulings an, weil es entweder keine Antwort gibt oder eine Antwort, die man nicht versteht.“ „Es gibt keinen Dialog mehr. Außer der Direktor selbst schaltet sich ein.“ Oft komme es vor, dass die Kommission Rulings ablehne, weil sie einen Missbrauch vermute. „Aber es gibt keine Erklärung, worin der Missbrauch besteht. Dann kann man auch keine Lehren daraus ziehen für den nächsten Antrag, den man einreicht. Man kann den Kunden nicht sagen, wie die Regeln sind.“ „Es grenzt an Missbrauch der Missbrauch-Notion.“
„Gut so!“, mögen viele denken, die im eigenen Portemonnaie spüren, dass die Aufteilung der Steuerlast zwischen Firmen und Haushalten sich zu Ungunsten Letzterer entwickelt. Oder diejenigen, die aus Prinzip dafür kämpfen, dass Luxemburg endlich eine weiße Weste anlegt. Dabei geht es den Steuerberatern nicht darum, ihren Kunden von gesetzeswegen unberechtigte Vorteile zu verschaffen, betonen sie, sondern darum, überhaupt klare Antworten zu bekommen. Weil es „keinen Dialog mehr“ gebe, wanderteten die Kunden ab. Zuerst die, die ohnehin wenig „Substanz“ in Luxemburg hatten, das scheint nicht strittig zu sein, ihnen weint nicht wirklich jemand eine Träne nach. Danach die, die mehr als einen Briefkasten hier betrieben. Die stünden angesichts der ganzen Änderungen vor der Entscheidung, ihre Aktivitäten hier ab- oder auszubauen. Doch derzeit gebe es keinen Anreiz, sie auszubauen.
Das Pendel sei zu weit umgeschlagen. Von einer Situation, in der man es mit den Rulings übertrieben habe, in eine Situation in der „guer näischt méi geet“, weil den Image-Schaden zu reparieren Priorität über die Standortattraktivität genommen habe. „Diese Kritiken sind uns bekannt“ sagt Guy Heintz, Direktor der Steuerverwaltung, „und wir haben darauf reagiert“. Man versuche, die negativen Bescheide besser zu motivieren und eine Frist von drei Monaten zur Rückmeldung einzuhalten. Wenn das nicht gelinge, sei dass nicht immer die Schuld der Steuerverwaltung, sondern liege auch schon mal daran, dass die Unterlagen nicht vollständig seien. „Es werden weniger Rulings beantragt als in der Vergangenheit“, sagt Guy Heintz, wie viele genau, darüber werde der Jahresbericht informieren. Die Prozedur, erklärt er, sei einfach komplexer geworden. Vorher hätten sich ein oder zwei Beamte mit einem Ruling beschäftigt. Nun müssen sie erst vorbereitet und dann von der Kommission besprochen werden. Weil das auch die immergleichen Leute sind, erklärt er, sei die Zeit zwischen der Bearbeitung der Bescheide und dem „Dialog in Sitzungen“ mit Steuerberatern und -pflichtigen einfach begrenzt.
Dabei, beschwert sich ein Steuerberater, sei Luxemburg immer etwas aus dem Takt mit der internationalen Entwicklung. Vergangenen Dezember, Tage bevor mit dem Haushaltsgesetz die neue Ruling-Prozedur Gesetz wurde, veröffentlichte auf der anderen Seite des Ärmelkanals Her Majesty’s Revenue and Costums neue Richtlinien für den Umgang mit den 2 000 größten Firmen in Großbritannien. Ihnen sollen Customer relationship manager zur Seite gestellt werden, „a model based on mutual trust, transparency and resolving issues in real time“, das unter anderem darauf abzielt, „a non-statutory business clearance process to provide customers with pre-filing decisions on the tax treatment of transactions to increase certainty“. Im Klartext: Während Luxemburg das Modell Marius Kohl abschaffte, nahm die britische Steuerverwaltung sich vor, 2 000 Großunternehmen ihren persönlichen Marius Kohl zuzuweisen.
Die Frage, ob es in Luxemburg politisch gewollt ist, die Rulings zurückzufahren, ist durchaus relevant. Denn auch wenn Finanzminister Pierre Gramegna sich bisher sträubt, anzuerkennen, dass die größere Steuertransparenz und die neuen Spielrgeln durchaus Folgen auf die heimische Wirtschaft und die Steuereinnahmen haben werden, haben seine Beamten im Compendium im Hinblick auf die Steuerreform eine Zahl darauf gesetzt: 446, 777 Millionen Euro. Soviel Steuern zahlten die Beteiligungsgesellschaften (Soparfi) 2014 an Steuern, erstmals mehr als die Banken. Wenn sie gehen, erklärt ein Berater, verkauften die Airlines weniger Tickets, weil die Verwaltungsratsmitglieder nicht mehr anreisten, die Immobilienfirmen vermieteten weniger Büros, die Hotels hätten weniger Übernachtungen.
„Was davon nicht durch die Ruling-Kommission verschwindet“, sagt ein Steuerberater, „verschwindet durch Beps.“ „Es wird auch danach noch Steuerplanung geben. Doch die Frage ist, was Luxemburg zu bieten hat.“ Ob man das alles mit qualifiziertem Personal und anderen Standortvorteilen wett machen kann? Deshalb schlagen die Steuerberater nicht erst seit dieser Woche vor, den nominalen Firmensteuersatz zu senken, um dies als Vorteil in die Vitrine stellen zu können. Das ist ein lange gehegter Wunsch der Branche und erklärt vielleicht auch, warum ihre Kritik an der Ruling-Kommission dermaßen vehement ausfällt.