Mannheim - New York

Auf'n Whisky mit Joy

d'Lëtzebuerger Land du 21.03.2002

Mannheim, das ist die Stadt, in deren Zentrum die Straßen keine Namen haben. Schachbrettartig verlaufen sie und heißen A1 oder F9. Ein wenig erinnert das schon an die USA mit ihren 1st Streets und 7th Avenues. Mit ihrem Dokumentarfilm Mannheim-New York geht die deutsche Regisseurin Elke Baur allerdings anderen Verbindungen zwischen der Metropole am East River und Mannheim an Rhein und Neckar nach: Die starke Präsenz von US-GIs habe unter anderem dazu beigetragen, dass Mannheim eine der interessantesten Musikszenen Deutschlands birgt, in der innovativer Rock und Jazz gemacht und von einem hochinteressierten und ausgehfreudigen Publikum in zahlreichen Clubs und Bars vernommen wird. Gut zehn Protagonistinnen und Protagonisten der lokalen Szene lässt Elke Baur in Konzertausschnitten und Gesprächen auftreteten. Überwiegend sind es Ältere: von der deutschlandweit bekannten Jule Neigel bis zur legendären Joy Fleming, die ihr durchaus afroamerikanisch klingendes Falsett in den 50-ern in US-Army-Clubs trainierte, jahrelang Catherina Valente vergötterte und die Diva in den 60-ern bei einem gemeinsamen TV-Auftritt in Grund und Boden sang. Oder Sänger wie Hans Reffert und Bernd Köhler, die in engen Bars zu bisweilen improvisierten Piano- und Gitarrenklängen linksintellektuelles Rock-Kabarett machen, das in seiner Aussage klar, im musikalischen Stil aber schwer in Schubladen unterzubringen ist.

So viel deutlich personifizierte Nachkriegszeit und 68-er-Aufbruch haben Mannheim-New York menschlich angenehm, aber eben auch stark retrospektiv geraten lassen. Und bisweilen melancholisch: Man bekommt Lust, mit diesen sympathischen Leuten, die so viel von früher zu erzählen haben, in einer Bar beim Trunke einzubrechen, und vergisst darüber beinahe zu fragen, weshalb Mannheim noch heute ein kreativer Pol ist. Elke Baur will darauf durchaus antworten, will Mannheim in seiner Tradition als Arbeiterstadt fassen, die in der Revolution von 1848 eine wichtige Rolle spielte und noch immer eher als Standort von Großunternehmen wie ABB oder BASF (in Ludwigshafen, auf der anderen Rheinseite) bekannt ist oder als wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Doch so wenig schlüssig, wie sie gleich zu Beginn Soundcheck-Szenen Mannheimer Bands mit einer Zugfahrt zur Behauptung montiert, die meisten Leute führen im ICE an dieser oft verkannten Stadt einfach vorüber, so plötzlich wirken ihre Versuche, gegen Ende doch ein wenig stadtsoziologische Bebilderung zu liefern, desto verlorener erscheinen die wenigen jungen Künstlerinnen und Künstler in ihrem Film. Mannheim-New York ist als Porträt Älterer sehr wohltuend. Als Versuch, das Porträt einer Stadt aus ihrer kulturellen Tradition und über das Wirken auch jener Kulturschaffenden von heute zu zeichnen, die in zehn Jahren im Zenit ihrer Laufbahn stehen dürften, hat der Film nicht nur ein Montage- sondern auch ein Rechercheproblem. Trotzdem sollte man sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, diesen Film, der in Deutschland wohl nur im Fernsehen gezeigt werden wird, hier zu Lande auf der großen Leinwand zu erleben. Dass Mannheim-New York von Paul Thiltges koproduziert wurde, macht es möglich.

 

Peter Feist
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