Hoch gehandelt, dann leer ausgegangen: Irina Palm, der Film des belgisch-polnischen Regisseurs Sam Garbarski, war bei der Kritik beliebt, wurde von der Presse gefeiert und doch war mit dem Streifen in Berlin kein Bär zu gewinnen – wie die Macher der luxemburgischen Koproduktion (Samsa Film) feststellen mussten. Sogar die deutsche Aktrice Nina Hoss, Gewinnerin des Silbernen Bären als beste Schauspielerin, zeigte sich überrascht, dass sie und nicht Marianne Faithfull als Beste Darstellerin nach Hause fährt. Verdient hätte es der Film. Die Story: Die englische Hausfrau, liebende Mutter, seriöse Witwe und bodenständige Vorstädterin Maggie (Marianne Faithfull) braucht dringend Geld, um ihrem schwerkranken Enkel Olly eine kostspielige Behandlung im fernen Australien zu ermöglichen. Diese Therapie ist für dessen Eltern Tom (Kevin Bishop) und Sarah (Siobhán Hewlett) unerschwinglich. Maggie findet im Londoner Stadtteil Soho ein gut dotiertes Jobangebot im Schaufenster des Sexy World: "Hostesse gesucht". Die etablierte, naive Mittfünfzigerin bewirbt sich – und wird von Clubbesitzer Miki (Miki Manojlovic) aufgrund ihrer zarten Hände eingestellt. Vielmehr wegen ihrer zarten rechten Hand, mit der sie fortan Männer an so genannten Glory Holes bedient. Als "wanking widow", wie sie kalauernd sagt, oder: "Ich bin die beste rechte Hand von London". Schon bald genießt Maggie unter dem Künstlernamen Irina Palm in einschlägigen Kreisen einen legendären Ruf und hat mit der Berufskrankheit Penisarm zu kämpfen. Zu Hause, in der Trostlosigkeit und im Muff der englischen Vorstadt, weiß niemand von ihrem neuen Job. Maggie gewinnt neues Selbstbewusstsein. Doch die Vorstadt ist nicht weit von Sexy World entfernt. Der Film steht in der Tradition britischer Komödien wie The Full Monty oder Calendar Girls: Menschen machen aus irgendwelchen Umständen irgendetwas Schlüpfriges und haben dann auch noch Erfolg dabei. Doch wenn auch die Story sich diesem Muster fügt, versucht Irina Palm nicht diese Filme zu kopieren, ein x-beliebiges Sequel zu sein oder die Geschichte in ein anderes Sujet zu übertragen, sondern findet einen eigenen Weg: zartbitter, tragisch-komisch. Der dann ein wenig hölzern wird, wenn beide Welten aufeinander prallen. Maggie/Irina versucht nicht, vor ihrer Vorstadtlebenswelt ihren neuen Job zu verbergen, sie konstruiert keine Ausflucht, baut keine Lügenwelt auf. Sie versteckt sich ein wenig, wenn der Zug kommt, aber es gibt kein Konstrukt, das zusammenbricht, als ihr Sohn ihr ins Sexy World folgt. Es kann an der Naivität von Maggie-Irina liegen, dass sie diesen Zwiespalt gar nicht erst wahrnimmt. Getragen wird der Film vor allem von der Hauptdarstellerin Marianne Faithfull. "Ich muss gestehen, dass ich eher prüde bin", enthüllt die 60-Jährige in einem Interview der Berliner Morgenpost. "Ich weiß, dass es dieses wilde Image gibt, das man mit mir verbindet, aber unglücklicherweise hat es nichts mit der Realität zu tun. Ich bin sexuell tatsächlich eher prüde." Im Film spielt sie Maggie herzlich hausfraulich und Irina herzerfrischend liebevoll, beide konträr zu ihrem Image als Sexsymbol, Sängerin und Star. Sie habe viele Filmrollen abgelehnt, so Faithfull weiter. Diese Parts seien ihr alle zu nah an diesem Image dran gewesen. "Ich will das nicht mehr. Ich bin damit durch." Sie sei auch noch nie in einem Sexclub gewesen und habe noch nie einen schmutzigen Film gesehen. Was man dem Image Faithfull nicht glauben kann und nicht glauben mag, aber der Schauspielerin – nach ihrer Leistung in Irina Palm – gerne abnimmt, denn die Naivität, manchmal Trotteligkeit, der ungebrochene Wille zur heilen Welt überzeugt. Es sei die gleiche Naivität, so die Engländerin während der Berlinale-Pressekonferenz zur Premiere des Films, mit der viele Frauen in dieses Schicksal hineinschliddern. "Sicher ist es eine Ungerechtigkeit, dass Faithfull den Bären nicht bekam, aber es wäre eine ebenso große Ungerechtigkeit gewesen, wenn Nina Hoss leer ausgegangen wäre", schrieb die Berliner Zeitung. Was nicht stimmt, denn zwischen den Leistungen der beiden Damen lag ein erkennbarer Unterschied – ob Hoss von der Story getrieben oder Faithfull die Geschichte trägt. Das größte Manko des Films ist allerdings die Filmmusik, die weder zu Maggie noch zu Irina, weder zu Sexy World, vielleicht zur Backsteinatmosphäre der Vorstadt passen mag, dem Film aber absolut kein Gefallen tut. Hier sehnt man sich nach dem Zartbitter von Dusty Springfield oder Julie London.