"Schnell essen, schnell kommen!", schnarrt es aus dem Lautsprecher. Der Dorfvorsteher ist ganz aufgeregt. Einen Film kündigt er an über die Tonanlage in dem kleinen chinesischen Dorf Beisuzha in der Provinz Hebei, 400 Kilometer südlich von Beijing. "Der Film wurde hier im Dorf gedreht, die Schauspieler seid ihr!" Und schon strömen die Menschen zum Dorfplatz. Per Video-Beamer wird "der Film" auf eine improvisierte Leinwand geworfen. "Der Film" ist Ergebnis eines europäischen Forschungsprojekts zur Situation der Landbevölkerung im heutigen China. "Der Film" ist aber auch Teil der Dokumentation Jeder siebte Mensch der österreichischen Filmemacherinnen Elke Groen und Ina Ivanceanu, der von der luxemburgischen Minotaurus Film koproduziert wurde. Beim Wiener Filmfestival Viennale wurde er jetzt uraufgeführt und soll im Frühjahr in die Kinos kommen. Eine ungewöhnliche, leise, gleichwohl spektakuläre Produktion, denn sie zeigt China dort, wo kaum eine westliche Kamera hinkommt: in die kargen, schmucklosen Bauernhäuser in entlegenen Regionen, an Küchentische, Schulen, Büros der Dorfkommittees. Und sie zeigt die Volksrepublik auch von innen: mit Aufnahmen, die die Menschen vor Ort bei Workshops selbst angefertigt haben, sich mit digitalen Kameras vor der eigenen Haustür, im eigenen Dorf umsehend, kleine Details erklärend, die Zehntausende Kilometer weiter westlich, einen kleinen Einblick in die große Unbekannte "China" geben. Zensur fand, da die Aufnahmen im Rahmen des genehmigten Projektes angefertigt wurden, keine mehr statt. Da erzählt eine Frau unverblümt von einer Schlägerei, die bei der geplanten Wahl des Dorfkomitees im Jahr zuvor entstanden war, als sich einzelne Bewohner gegen Manipulationen wehr- ten: "Die Wahl wurde abgesagt, und bis heute hat es keine Wahl gegeben." Da berichtet eine ältere Frau: "Ich war dabei, in der Roten Garde, wir sind in die Häuser gegangen und haben den Menschen alles weggenommen: Schriften, Kultgegenstände, alles." Und an anderer Stelle verfolgt die Kamera zwei junge Männer, die ein buddhistisches Heiligtum besuchen –"Also, wenn sie mich fragen, ich finde die Statue schön." Und allmählich, am Rande des Gesprächs, wird deutlich, dass die Statue durchaus öfter Besuch bekommt im atheistischen Staat. Ein Dorfvorsteher erklärt, wo ein Investor ein Rehgehege errichten will. Touristen sollen kommen. Die Dorfgemeinschaft hat Grund verkauft. Ob sich das lohnt – vor allem, ob die Auflagen in Sachen Umweltschutz eingehalten werden? Der Dorfvorsteher lacht verlegen. Blickt lange von dem Hügel über die Weite, auf der sich wie Fleckenteppiche die Felder ausbreiten. Dazwischen eine riesige Baustelle. Dann: Verwitterte Bauten mit verblichenen Agit-Prop-Sprüchen zeugen von einem ehemaligen Appellplatz, an den man sich nicht gerne erinnern will; am Küchentisch beugt sich eine junge Frau über ein Schreibheft – "Was schreibst du?" – "Die alten Sprüche", sagt die junge Frau, und sie schreibt nicht in chinesischen Zeichen, sondern in den Zeichen der alten Naxi-Kultur. In solchen Momenten macht Jeder siebte Mensch die gewaltige Spannung zwischen Erbe der Kulturrevolution und allmählicher Rückkehr zu eigenen Traditionen im heutigen provinziellen China deutlich, zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft, zwischen traditioneller Handarbeit und größer werdender Armut, die Heerscharen von Wanderarbeitern in die Industriegebiete führt. Der Titel verweist auf ein Zahlenspiel: Jeder siebte Mensch, der heute auf dieser Erde lebt, ist in einem dieser Dörfer zu Hause; im Musterdorf Beisuzha, im schwer zugänglichen San Yuan, in Jiangjiazhai in Zentralchina. China, Synonym für Billigarbeit, für Aufschwung, für Neuen Absatzmarkt, zeigt hier sein bäuerliches Gesicht. Ob, so die optimistische These des Films, diese Dörfer auch tatsächlich zu "Testfeldern für Demokratie und Selbstbestimmung" werden, bleibt offen. Aber die Dokumentation gibt einen Einblick ins Innere eines Landes, das auch unsere Zukunft mit beeinflusst.