Landschaft und Raum, Raum und Zeit, Zeit und Wahrheit, Wahrheit und Sprache, Sprache und Mensch, Mensch und Landschaft… Die Motive reihen sich aneinander, geben einander die Stichworte, drehen sich im Kreis. Komplex und assoziativ, künstlerisch gestaltet und wissenschaftlich gedacht wie Bady Mincks Film Im Anfang war der Blick (d'Land, 8. November 2002) ist nun auch das Buch geraten, das den Film weiter denkt, weiter führt und (im Kopf) weiter spinnen lässt, nicht aber: weiter erklärt. Zum Glück nicht. Denn nicht als nachgeschobene Erklärung für vielleicht nicht Verstandenes, oder als nachgereichte Rechtfertigung für irritierend Experimentelles präsentiert sich Im Anfang war der Blick. Ereignishorizont eines Films, der rund 160 Seiten starke Band der Nachhaltigkeitsforscherin Heidi Dumreicher und des Filmjournalisten Olaf Möller, der nun im österreichischen Sonderzahl Verlag erschienen ist.
Bady Mincks experimentell-poetisch-wissenschaftliche Arbeit Im Anfang war der Blick wurde nach jahrelanger Vorbereitung von der österreichisch-luxemburgischen Filmfirma Minotaurus in den Jahren 1999/2000 gedreht und hatte seine internationale Premiere bei der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes 2003. Seitdem ist er auf 91 Festivals gelaufen, hat diverse Preise eingestrichen und über 752 000 Zuschauer erreicht. Gedacht und entstanden als filmische Form, die Gedanken und Ansätze der Wissenschaft und der Kunst verschmilzt und dabei ein eigenständiges Neues entwickelt, hat Im Anfang… naturgemäß einen untypischen Weg genommen. Ausgehend von wissenschaftlichen Erkenntnissen eines österreichischen Projektes zur Kulturlandschaftsforschung, entwickelt Bady Minck die absurd-poetische Geschichte eines Dichters auf der Suche nach Bildern.
Der Sprach-Experimentator Bodo Hell ist dieser Dichter, der aus der Welt der Worte ausbricht und versucht, sich die tatsächliche Welt einzuverleiben – eine Odyssee durch Postkartenbilder und Klischees, bis ihm der Schritt zur Imagination einer eigenen Welt und schließlich der Sprung in die tatsächliche Landschaft gelingt. Doch geht dabei seine eigene Dreidimensionalität verloren; flach und körperlos geworden, wird er hilflos durch die Landschaft geweht. Eine dichte, amüsante und hoch komplexe Reflexion über Sprache und Bild, Ursprünglichkeit der und menschliche Eingriffe in die Natur, das Verhältnis von Mensch und Landschaft. Dabei wählt der Film ein technisch aufwändiges Trickverfahren, das in Zeiten digitaler Eingriffe fast anachronistisch scheint.
Dies begründet, weshalb die Einladungen der Arbeit zu künstlerisch orientierten Festivals überwogen. So wie der Film selbst, der sein eigener Weg ist, auch seinen eigenen Weg durch den Film- und Kinobetrieb genommen hat, so sucht auch die jetzt entstandene Publikation eine eigene Form. Sie ist eben nicht schriftliches Making-Of oder Hintergrundbericht über Technik, Dreharbeiten und zugehörige Anekdoten. Es ist ein Begleit- und Weiterführungsbuch geworden, das in Form von Essays, persönlichen Berichten, Gesprächen und Bildern Motive und Gedanken aus der Filmarbeit aufgreift und weiterentwickelt. Es stellt dabei auch Beteiligte am Werk vor, von der wissenschaftlichen Vor- und Mitdenkerin Heidi Dumreicher über den dichtenden Darsteller Bodo Hell bis hin etwa zum Kurator Sergio Fant.
Augen zeigt der Umschlag, Nahaufnahmen von unterschiedlich geschnittenen Augen – und im Inneren präsentiert die Publikation Sichtweisen. Da kommen viele (noch) einmal zur Sprache, die mitgewirkt haben an der Entstehung des Filmes, an seiner Verbreitung, an seiner Rezeption. Und entsprechend ihrer jeweiligen Profession zeigen sie Deutungsmöglichkeiten wie die Landschaftsarchitektin Lilli Licka in ihrem Essay „Landschaft, bewegt“, beleuchten Hintergründe, etwa Christoph Huber in seinem Exkurs über den Erfinder der Zeitlupe August Musger, lassen nachdenken wie der Filmwissenschaftler Michael O’Pray mit seinen Überlegungen zu „Zeit, Animation und Metaphorik“ oder benennen Seitenaspekte wie Johannes Moser in seinem Beitrag über Zwangsarbeit am Erzberg.
Entstanden ist ein erhellender Blick hinter die Kulissen, aber auch der Kreis hin zum Zuschauer wird geschlossen, wenn etwa der cinephile Philosoph Burghart Schmidt mit der Nachhaltigkeitsforscherin Dumreicher und der Filmemacherin diskutiert und aus dem Blickwinkel der Rezeption die Produktion neu beleuchtet. Im Gespräch begründet Bady Minck noch einmal, weshalb sie ein scheinbar aufwändiges Trickverfahren verwendet und sich nicht auf digitale Kniffe verlässt. Amüsantes und scheinbar Nebensächliches kommt dennoch nicht zu kurz, wenn ein Storyboard etwa Aufschluss gibt über das „Hügelcasting“ – und ein scheinbares Detail verrät, wie komplex, sorgfältig und auch mit welchem Sinn für Humor Im Anfang war der Blick gedacht und realisiert ist.
Heidi Dumreicher, Olaf Möller (Hrsg.): Im Anfang war der Blick. Ereignishorizont eines Films; Sonderzahl Verlag Wien, 2009, 160 Seiten, mit Unterstützung von Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie Filmfonds Luxembourg; ISBN 978 3 85449 293 1; 19,90 Euro; www.sonderzahl.at