Wenn einer der Führungsleute der florierenden Steuerberatungsindustrie zuerst am Steuer-Kapitel im Wahlprogramm der Demokratischen Partei mitarbeitete, dann das Steuer-Kapitel im Koalitionsprogramm mitverfasste, schließlich in der Arbeitsgruppe des Ministeriums zum Gesetzentwurf über die geplante Steuerreform beitrug und nun das Gutachten des Staatsrats über diesen Gesetzentwurf schrieb, kann man selbstverständlich so viel Fleiß Hochachtung zollen. Und dies um so mehr, als das gleichzeitig verabschiedete Gutachten des Staatsrats zum Haushaltsentwurf ebenso kurz wie lustlos ist und sich weitgehend auf Zitate aus dem Gutachten des Conseil national des finances publiques beschränkt. Auch gehört es zur Tradition des Staatsrats, dass dort Ärzte über Gesundheitspolitik, Anwälte über Justizpolitik und Bankiers über den Finanzplatz schreiben; die Kollegen winken die anonym veröffentlichten Gutachten durch, um nächstes Mal ebenso ungehindert eigene Standesinteressen verteidigen zu können. Wenn der Staatsrat solche Praktiken zulässt, ist dies weniger ein Skandal; vielmehr zeigt er damit, dass seine Meinung für das Funktionieren der staatlichen Institutionen so unwichtig ist, dass er sie nicht einmal vor dem Verdacht der Befangenheit schützen muss.
Doch über diesen Zwischenfall hinaus machen das Gutachten des Staatsrats beziehungsweise das weitgehend deckungsgleiche der Handelskammer noch einmal deutlich, dass die Steuerreform nicht nur Zufriedene schafft. Die anfangs kostenneutral geplante und nun eine halbe Milliarde Euro jährlich kostende Reform soll nämlich vor allem die gegen die Regierungskoalition aufgebrachten Wähler besänftigen. Aus diesem Grund geht die Hälfte dieses Steuerausfalls auf das Konto einer Einkommensteuersenkung der Haushalte. Die Reform senkt aber auch die Körperschaftsteuer und verbessert eine Reihe Abschreibungsmöglichkeiten für die Unternehmen. Trotzdem klagen Staatsrat und Handelskammer unisono, dass dies nicht ausreiche. Der Körperschaftsteuersatz solle unter Vorwegnahme einer einheitlichen Bemessungsgrundlage weiter in Richtung des irischen von 12,5 Prozent und des britischen von 20 Prozent und demnächst 17 Prozent gesenkt werden, und zwar „in naher Zukunft“, wie der Staatsrat fordert (S. 8). Der Staatsrat verlangt auch, dass Tantiemenzahlungen abgesetzt werden können und bringt zusammen mit der Handelskammer die seit zwei Jahren tot geglaubte Forderung wieder vor, fiktive Zinsen von den Steuern absetzen zu können, die berüchtigten Intérêts notionnels aus Belgien.
Der Staatsrat und die Handelskammer erinnern Finanzminister Pierre Gramegna noch einmal daran, dass er einen Ersatz für die Abschaffung der Patent Box versprochen hatte, mit der ziemlich willkürlich bewertetes geistiges Eigentum abgesetzt werden konnte, und der Staatsrat empfiehlt dem Minister gleich das Vorbild der Schweiz, wo solche Kosten auf Kantonalebene bis zu 150 Prozent abgesetzt werden könnten. Die Handelskammer verlangt darüber hinaus mehr Doppelbesteuerungsabkommen für Investitionsfonds, die Abschaffung der Quellensteuer auf Dividendenzahlungen von Beteiligungsgesellschaften aus Luxemburg, steuerbefreite Rücklagen mittelständischer Unternehmen sowie Steuersenkungen für eingewanderte Führungskräfte und Experten. Doch bei diesen Kritiken an der DP teilweise aus den eigenen Reihen macht niemand Angaben, wie hoch der Steuerausfall durch all diese zusätzlichen Maßnahmen würde. Was umso bedauerlicher ist, als die gleichen Körperschaften der Regierung einen neuen Laxismus in der Finanzpolitik und ein Anwachsen des Staatsdefizits vorwerfen, seit DP, LSAP und Grüne ihr mittelfristiges Haushaltsziel eines Überschusses von 0,5 Prozent aufgegeben haben und sich mit einem Defizit von 0,5 zufriedengeben.