Als eine von zwei großen Herausforderungen für die Zukunft nannte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Mittwoch neben dem Austritt Großbritanniens aus der EU das Beps-Projekt der OECD zur Bekämpfung der Erosion der Besteuerungsgrundlage von und der Gewinnverschiebung durch multinationale Konzerne. Beide Entwicklungen, so Gramegna, würden für Luxemburg Risiken bergen, aber auch Chancen.
„Durch den Beps-Aktionsplan der OECD und der G20 verändert sich das steuerliche Umfeld weltweit grundlegend“, so der Finanzminister. „Das alles passiert mit einer Geschwindigkeit, die vor ein paar Jahren noch nicht denkbar gewesen wäre.“ Eine der Folgen von Beps (und von Luxleaks) ist die Wiederbelebung der Idee einer gemeinsamen harmonisierten Besteuerungsgrundlage für Unternehmen in der EU, die, wenn sie kommt, dazu führt, dass die Konkurrenz unter den EU-Ländern um einen möglichst attraktiven nominalen Körperschaftsteuersatz steigt. Weil dadurch aber auch der politische Druck auf die Länder mit sehr niedrigen Sätzen zunehmen wird, warnte der Finanzminister: „Wir müssen deshalb auch in Luxemburg davon wegkommen, die Attraktivität des Standortes allein daran messen zu wollen, ob wir in allen Bereichen die niedrigsten Steuern haben oder nicht. Luxemburg hat viele andere Vorteile und die zählen auch.“ Das ist normalerweise der Moment in der Rede, in dem Luxemburger Politiker die gut ausgebildete, mehrsprachige Arbeitnehmerschaft ins Feld führen. Doch im ICT-Bereich fehlen die Fachkräfte und die Sprachendebatte nimmt immer groteskere Züge an. Vielleicht zog Pierre Gramegna es deshalb vor, neben dem hohen Wirtschaftswachstum und dem AAA den großen sozialen Zusammenhalt im Land als Standortvorteil aufzuzählen. Aber ganz darauf verlassen, dass internationale Investoren dem Charme des Index unterliegen, will sich der Finanzminister dann doch nicht. Deshalb versicherte er den Arbeitgebervertretern am Mittwoch noch einmal, künftige Folgen von Beps durch weitere Steuersenkungen ausgleichen zu wollen: „Durch die Umsetzung von Beps wird die Steuerbasis der Unternehmen weltweit breiter werden. Die Regierung ist geneigt, und das will ich hier noch einmal unterstreichen, zusammen mit der Privatbranche nach Wegen zu suchen, um diese Verbreiterung zu kompensieren.“ Um gleich wieder zu relativieren: „Es geht hierbei nicht darum, Steuererleichterungen zu gewähren, sondern nur darum, den Impakt von Beps zu neutralisieren.“
Denn, deutete der Finanzminister, dessen ehemaliger Arbeitgeber über die Mitgliederbeiträge einer der großen Nutznießer des Phänomens war, an: „Die Zeit der Briefkastenfirmen, die nur aus steuerlichen Gründen bestanden, geht langsam, aber sicher dem Ende zu.“ In Zukunft werde das Kriterium der Substanz immer wichtiger. Investoren fragten ihn heutzutage nicht mehr: „Was können wir tun, um in Luxemburger weniger Steuern zu zahlen?“ Sondern: „Wie viele Arbeitsplätze müssen wir schaffen, wie viel Substanz müssen wir nach Luxemburg bringen, um in Einklang mit den internationalen Regeln in Luxemburg besteuert zu werden?“ Dass dies im Endeffekt ein und dieselbe Frage ist, war Gramegna nicht aufgefallen. Dennoch bemühen er und seine Beamten sich in Sachen internationale Firmenbesteuerung, den Rückstand gegenüber anderen Ländern aufzuholen. Wie viel Substanz eine Firma in Luxemburg haben muss, die keine reine Schatzamtsfunktionen ausübt, um von der günstigen Besteuerung in Luxemburg profitieren zu können, wird in der Haushaltsvorlage zwar nicht definiert. Aber Artikel 3 der Vorlage führt den Fremdvergleichsansatz ins Luxemburger Steuerrecht ein. Demnach müssen ab dem 1. Januar 2017 alle Unternehmen, die bei der Steuerverwaltung eine Vorabentscheidung, auch Ruling genannt, beantragen, belegen, dass sie einen solchen Fremdvergleich erbracht haben – wenn es sich bei ihrem Ruling um ein Advance price agreement (Apa) handelt, das klären soll, wie viel sich die verschiedenen Firmen der Gruppe für die Lieferung von Waren oder Dienstleistungen gegenseitig in Rechnung stellen. Durch den Fremdvergleichsbeleg soll klargestellt werden, dass die so genannten Transfer- oder Verrechnungspreise, wie sie Firmen wie Fiat Finance and Trade oder Amazon einsetzen, durch den Vergleich mit Preisen zustande kommen, die fällig würden, falls die besagten Dienstleistungen oder Waren von unabhängigen Drittfirmen erbracht oder geliefert würden.
Welch ein Riesenschritt in Richtung internationale Steuerkonformität dies ist, deutet sich schon dadurch an, dass der Titel des betreffenden Artikels im Gesetz von „Fixation forfaitaire du bénéfice“ in „Principe de pleine concurrence“ umgewandelt wird.
Mit dem neuen Artikel 56bis werden die Grundbegriffe des Fremdvergleichs eingeführt und die „Vergleichsmethode“ als Standard bei der Ermittlung der Transferpreise festgelegt. Dadurch werden die Beps-Aktionen acht bis zehn umgesetzt, obwohl der Beps-Prozess noch nicht ganz abgeschlossen ist.
Von einem Vorpreschen kann dennoch kaum die Rede sein. Eher war der Aufholbedarf von Luxemburg groß. In ihrem Zukunftspak hatte die Regierung vor zwei Jahren versucht, diskret und unter ferner liefen kurz vor der Veröffentlichung der Luxleaks-Akten den Vorabentscheidungen überhaupt erst eine rechtliche Basis zu geben, die Ruling-Kommission geschaffen, die den Steuerbeamten Marius Kohl ersetzt, und außerdem eingeräumt, dass Luxemburgs Gesetzgebung den internationalen Transferpreisregeln nur unvollständig Rechnung tragen würden, und eine Referenz auf die OECD-Regeln eingeführt.
Durch den Artikel 56bis wird festgelegt, welche Angaben die Vergleichsanalyse im Apa enthalten muss: „identifier les relation commerciales ou financières entre les entreprises liées et déterminer les conditions et circonstances économiquent significatives qui se rattachent à ces relations de manière à délimiter de façon précise la transaction controlée“, und „comparer les conditions et les circonstances économiquement significatives de la transaction contrôlée, délimitée de façon précise, avec celles des transactions comparables sur le marché libre.“ Davon abgesehen, dass die Luxemburger Regierung der EU-Kommission die Kompetenz dafür abspricht, zu untersuchen, ob die Luxemburger Apas der Vergangenheit konform zu den Luxemburger Gesetzeslage der Vergangenheit waren, haben die EU-Wettbewerbsbehörden im Fall Fiat just die Vergleichsführung bei der Ermittlung der Transferpreise kristiert, weil die Steuerberater für ihren Geschmack ein wenig zu viel gefreestylt hatten.
Die neue Ruling-Kommission hat sich 2015, ihrem ersten Jahr, 46 Mal getroffen und 6,3 Millionen Euro Bearbeitungsgebühren – auch die wurden mit dem Zukunftspak eingeführt – in Rechnung gestellt, wobei im Haushalt für 2017 500 000 Euro für Anwaltshonorare vorgesehen sind, um die Staatsbeihilfeentscheidungen der EU-Kommission anzufechten. Laut Aktivitätsbericht der Steuerverwaltung bearbeitete die Kommission 2015 insgesamt 187 Apas, von denen 145 stattgegeben wurde.
Die Einführung des Fremdvergleichs ins Luxemburger Gesetz sei ein „positiver Schritt in die richtige Richtung“, sagt ein Steuerberater, der nicht genannt werden will. Dass Apas in Luxemburg für internationale Firmen weniger attraktiv würden, glaubt er nicht, weil die neuen Bestimmungen international ohnehin Standard seien. In Zukunft, meint er, werde es eher so sein, dass Unternehmen ihr Apa nicht nur dem Luxemburger Fiskus, sondern auch den Steuerverwaltungen der anderen Länder vorlegen, in denen sie Filialen betreiben, die an den im Apa beschriebenen Transaktionen beteiligt sind.