Der nationale Frauenrat (CNFL) ahnte es schon im März: „Die angekündigte Steuerreform deblockiert die Situation verheirateter Paare ein wenig.“ Was Premier Xavier Bettel (DP) und Finanzminister Pierre Gramegna (DP) kurz zuvor als Grundzüge der Reform publik gemacht hatten, deute auf einen „Schritt in die richtige Richtung“ hin zur Individual-besteuerung von Paaren. Er reiche aber „nicht weit genug“. Der CNFL forderte die Regierung auf, die Individualbesteuerung zur Norm zu erheben und sie „als treibendes Element der Gleichberechtigung von Männern und Frauen aktiv zu fördern“.
Davon kann angesichts des nun vorliegenden Reformentwurfs keine Rede sein. Für verheiratete Paare soll auch weiterhin die Kollektivbesteuerung in der Steuerklasse 2 die Norm bleiben. Genauso wie in einer eingetragenen Partnerschaft Zusammenlebende auch künftig von Amts wegen individuell in Klasse 1 besteuert und nur auf Antrag zusammenveranlagt werden und sie dann in Klasse 2 fallen.
Neu ist, dass Verheiratete in Zukunft beantragen könnten, individuell nach Klasse 1 besteuert zu werden. Neu ist außerdem für Verheiratete wie für „Gepacste“ neben der reinen Individualbesteuerung die Option „Individualbesteuerung mit Reallokation der Einkünfte“. „Damit“, sagt Finanzminister Pierre Gramegna dem Land, „lassen wir allen die freie Wahl und keinem wird etwas weggenommen“. Ganz gleich ob ein Paar sich für die Kollektiv- oder die Individualbesteuerung entscheide, bleibe die Wirkung „neutral“ auf die Einkünfte ihres Haushalts, betont der Minister. Wie viele am Ende die Individualbesteuerung wählen könnten, möchte er aber nicht schätzen. Das sei „ganz schwer“.
Weil der Wechsel in die Einzelbesteuerung ein verheiratetes Paar eine Stange Geld kosten könnte, wurde diese Änderung am System nicht als Vorhaben ins Koalitionsprogramm aufgenommen, sondern nur angekündigt, diese „Möglichkeit zu prüfen“. Die Steuerverwaltung hatte während der Koalitionsgespräche gewarnt, wegen der starken Progression der Steuertabelle für mittlere Einkommen führe das aktuelle System zu einem „sehr bedeutenden Einkommenstransfer“ zugunsten von Hausfrauenehen in dieser Einkommensschicht. Ginge man zur Individualbesteuerung über, wäre damit für diese Haushalte ein ebenso bedeutender Einkommensverlust verbunden.
Die gemeinsame steuerliche Veranlagung von Verheirateten war 1913 eingeführt worden. Um Haushalte zu entlasten, die mit einem einzigen Lohn auskommen müssen, wird die Einkommensteuer Verheirateter nach dem Ehegattensplitting berechnet: Das Gehalt des Alleinverdieners wird nur zur Hälfte besteuert, wenn auch die Ehefrau davon leben muss. Falls beide Partner arbeiten, aber sehr unterschiedlich hohe Einkommen beziehen, entlastet das Splitting den Haushalt ebenfalls.
Die damit verbundene Subventionierung der Hausfrauenehe ist schon seit längerem in Verruf. Was sich unter anderem daran zeigt, dass im Vergleich der EU-Staaten abgesehen von Luxemburg heute nur noch in Deutschland, Frankreich, Irland und Portugal der Haushalt als Besteuerungsgrundlage dient, Ehepaare von Amts wegen zusammen veranlagt werden und ein Splitting oder ein ähnlicher Mechanismus gilt. Auch in Luxemburg wurde schon während der Diskussion der Steuerreform von 1991 darüber nachgedacht, ob es nicht an der Zeit sei, zur Einzelbesteuerung überzugehen. Denn ist einer der Ehepartner nur „Nebenverdiener“, dann wird er oder sie durch das Ehegattensplitting verhältnismäßig hoch besteuert und kann den Eindruck haben, nur für die Steuer arbeiten zu gehen.
Ein Rechenbeispiel des Finanzministeriums verdeutlicht das: Bezieht ein Steuerpflichtiger A ein steuerpflichtiges Jahreseinkommen 50 000 Euro, werden in der Steuerklasse 1 darauf 9 743 Euro Einkommensteuer fällig. Ein Steuerpflichtiger B mit 20 000 Euro Jahreseinkommen müsste in Klasse 1 darauf 921 Euro abführen. Lebten beide in einem Haushalt zusammen, was dem Fall entspricht, wenn zwei Gepacste nicht beantragt haben, in Klasse 2 zusammen veranlagt zu werden, dann addiert die Einkommensteuerlast dieses Haushalts sich auf 10 664 Euro.
Kollektiv besteuert nach Klasse 2 wären dagegen auf 70 000 Euro an gemeinsamem Jahreseinkommen nur 8 286 Euro abzuführen. Die Steuerlast des Haushalts wäre um 2 378 Euro kleiner. Doch während die monatlich einbehaltene Lohnsteuer sich für A am Jahresende auf 3 437 Euro summierte, läge sie für „Nebenverdiener“ B bei 3 000 Euro – wohlgemerkt auf nur 20 000 Euro steuerpflichtiges Jahreseinkommen. Hinzu kämen für den Haushalt 1 849 Euro an Nachzahlungen und in der Summe die 8 286 Euro Einkommensteuer.
Die vergleichsweise hohe Steuerbelastung der Nebenverdiener, die meist Nebenverdienerinnen sind, widerspricht nicht nur dem Gedanken der Gleichstellung von Männern und Frauen. Sie erzeugt auch kaum ökonomischen Druck auf Hausfrauen, erwerbstätig zu werden. Luxemburg aber hatte sich schon in der Lissabon-Strategie der EU und hat sich danach in deren Nachfolgerin Europa 2020 verpflichtet, den Erwerbstätigenanteil an der Bevölkerung zu erhöhen und dabei vor allem die Frauenerwerbsquote zu steigern – auch um weniger von Grenzpendlern abhängig zu sein.
Simulationen, die vergangenes Jahr das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) vornahm, bestätigten: Eine Individualbesteuerung würde die Steuerlast zwischen den Ehepartnern umschichten. Der Erstverdiener müsste mehr Steuern zahlen, der Zweitverdiener weniger; das Gesamteinkommen des Haushaltes sänke obendrein. Das könnte einen Anreiz für mehr Frauenerwerbstätigkeit bilden, fand die Liser-Wissenschaftlerin Karina Doorley, verbunden damit wäre aber ein Einkommensausfall von Ehepaaren in sämtlichen Einkommenskategorien. Am stärksten fiele er mit 4 885,78 Euro im Jahr ausgerechnet für Haushalte mit einem Bruttoeinkommen von 86 299,60 Euro aus – den Mittelschichtenfamilien (d’Land, 28.10.2015).
Grund dafür ist die Beschaffenheit der Steuertabelle: Der Spitzensteuersatz setzt bereits bei rund 45 000 Euro Jahreseinkommen ein; die Steuerprogression endet dann. Auf eine „echte“ Individualbesteuerung aller Paare überzugehen, die obligatorisch wäre und nicht nur fakultativ, und nicht nur eine Option neben noch einer anderen, hätte vorausgesetzt, die Steuertabelle grundlegend zu überarbeiten und sich ohne Vorbehalte der Frage nach der Steuergerechtigkeit zu stellen. Dagegen soll die Steuerreform am oberen Ende der Steuertabelle lediglich zwei Mal einen Prozentpunkt mehr Steuerbelastung für Bezieher sehr hoher Einkommen einführen. Das ändert weder etwas am starken Umschichtungseffekt, der sich beim Übergang eines Paares aus Klasse 2 in Klasse 1 ergäbe, noch daran, dass ein solcher Übergang Paare mit sehr hohen Einkommen weniger kosten würde als einen Mittelschichtenhaushalt: Das Liser hatte ermittelt, die Einzelbesteuerung führe im sechsten Einkommenszehntel, den Mittelschichtenfamilien, zu 7,5 Prozent Einkommensverlust, im oberen Zehntel zu 2,5 Prozent Einbuße.
Um weder die Steuertabelle grundsätzlich reformieren, noch den besonders umworbenen Mittelschichtenwählern hohe Belastungen zumuten zu müssen, enthält der Reformentwurf die „Individualbesteuerung mit Reallokation der Einkommen“. Gemeint ist damit, dass Ehepartner beziehungsweise Gepacste in ihrem Antrag auf eine solche Besteuerungsart festlegen können, wie ihre Einkünfte aufzuteilen sind. Äußern sie keine speziellen Wünsche, wird das zu versteuernde Einkommen gemittelt. Für ein Paar, in dem A ein Jahreseinkommen von 50 000 Euro hat und B 20 000 Euro, wären das 35 000 Euro für beide.
Während die Gesamtsteuerbelastung für den Haushalt mit 8 286 Euro gleich hoch wäre wie bei Zusammenveranlagung in Klasse 2, hinge das verfügbare Einkommen jedes Partners davon ab, wie das Paar seine Einkommen zu „reallokieren“ entscheidet. Im einfachsten Fall, der Durchschnittsbildung, zahlten beide die gleiche Steuer auf den halben Einkommensanteil, ohne dass die Nebenverdienerin aber unbedingt über die Hälfte des Einkommens verfügt. Im Beispiel des Finanzministeriums wären das für A und B jeweils 4 143 Euro.
Dagegen würden bei der klassischen Zusammenveranlagung in Klasse 2 von Person A im Laufe des Jahres 3 437 Euro Lohnsteuer vom Gehalt einbehalten und von B 3 000 Euro. Außerdem blieben dem Paar nach der Steuererklärung noch 1 849 Euro zu zahlen. Die Einkommens-Reallokation hingegen soll dafür sorgen, dass sich zumindest falls ein Paar keine weiteren nennenswerten Einkünfte neben denen aus lohnabhängiger Arbeit hat, nichts mehr nachzuzahlen bliebe: „Im Prinzip zahlt jeder dann nicht mehr als das, was auf der Steuerkarte steht“, sagt Guy Heintz, der Direktor der Steuerverwaltung. In dem Beispiel der Regierung wären das 5 918 Euro für A auf ein Jahreseinkommen von 50 000 Euro, während von B 2 367 Euro auf 20 000 Euro einbehalten würden.
Weil es den Paaren überlassen sein soll, über die Einkommensumschichtung zu entscheiden, die bei einem obligatorischem Übergang auf die Einzelbesteuerung bei Beibehaltung der Steuertabelle ein politisches Problem für die Regierung wäre, sind die neuen Regeln allenfalls ein Einstieg in den Einstieg in die Einzelbesteuerung. Absehbar ist jedoch, dass Steuerberater sich auf viele abrechenbare Stunden freuen können, die sie mit ihren Kunden auf der Suche nach der optimalen Lösung verbringen. Immerhin würde die Nebenverdienerin auf 20 000 Euro Jahreseinkommen bei „reiner“ Individualisierung wie eine Junggesellin 921 Euro Euro Steuern zahlen, als Individualisierte mit Reallokation des halben Haushaltseinkommens 2 367 Euro, als gemeinsam wie nach dem aktuellen System Veranlagte rund 3 950 Euro und als gemeinsam Veranlagte nach Reallokation und mit Steuererklärung 4 143 Euro. Was das Paar davon hält und ob es vielleicht anders realllokiert, ist seine „individualisierte“ Sache.
Damit Zeit zum Überlegen bleibt, tritt die fakultative Individualisierung erst Anfang 2018 in Kraft. Grenzpendler und deren nichtansässige Partnerinnen oder Partner sollen unter den verschiedenen Optionen ebenfalls auswählen können, sofern sie ihre Einkommenslage gegenüber der Luxemburger Steuerverwaltung ausreichend darlegen. Ob der Aufwand dafür nicht zu hoch wäre, ist für den Finanzminister nicht die Frage: „Wer die Individualbesteuerung nicht will oder nicht genug Angaben macht, für den ändert sich ja nichts.“