Mietzuschuss für „working poor“

Helfen und sparen

d'Lëtzebuerger Land vom 25.09.2015

Die vorige Regierung begann damit, die aktuelle führt das Vorhaben weiter: In Luxemburg soll ein Mietzuschuss für den freien Wohnungsmarkt eingeführt werden. Mit dem Gesetzentwurf darüber dürfte der parlamentarische Wohnungsbauausschuss sich demnächst befassen, ein Zeitplan in der Abgeordnetenkammer geht davon aus, dass der Text vor den Allerheiligenferien im Ausschuss zur Abstimmung gelangt. Dann könnte er wenig später vom Plenum des Parlaments angenommen werden und zum 1. Januar 2016 in Kraft treten, wie die Regierung sich das wünscht. Doch noch ehe die parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf begonnen hat, wird er von vielen Seiten kritisiert.

Auch hierzulande ein Instrument einzuführen, dass es in den meisten europäischen Staaten längst gibt und in Großbritannien Housing benefits, in Deutschland Wohngeld, in Frankreich Aide personnalisée au logement und in den Niederlanden Huursubsidie heißt, findet angesichts der hohen Mietpreise niemand eine schlechte Idee. Das war schon 2013 so, als der damalige CSV-Wohnungsbauminister Marco Schank die erste Fassung des Gesetzentwurfs im Parlament eingereicht hatte und Berufskammern und Staatsrat ihre Gutachten dazu schrieben. Doch sogar die Handelskammer fand die Subventionssätze „bescheiden“: Für einen Einpersonenhaushalt sollten maximal 70 Euro bereitgestellt werden, für einen Haushalt mit einem Kind 120 Euro. Den mit bis zu 221 Euro höchsten Zuschuss sollte ein Haushalt mit sechs Kindern oder mehr beanspruchen können.

Wo die „bescheidenen“ Beträge herrührten, verriet Schanks DP-Nachfolgerin Maggy Nagel Ende Februar 2014, als sie, keine drei Monate im Amt, den parlamentarischen Wohnungsbauausschuss besuchte: Die CSV-LSAP-Regierung habe geschätzt, der Mietzuschuss werde die Staatskasse 40 Millionen Euro jährlich kosten. Weil das zu viel schien, sei beschlossen worden, die Ausgabe auf höchstens 16 Millionen zu begrenzen. In Schanks Gesetzentwurf war von 14,33 Millionen Euro die Rede, die für an die 12 000 anspruchsberechtigte Haushalte bereitgestellt werden sollten. Dass die neue Regierung den Entwurf ihrer Vorgängerin überarbeiten wollte, weckte entsprechende Erwartungen. Als Wohnungsbau-Staatssekretär Marc Hansen (DP) Ende Mai dieses Jahres den nachgebesserten Text der Presse vorstellte, hieß es, nun stünden 28,8 Millionen Euro zur Verfügung. Die Subventionssätze sollen angehoben werden: zum Beispiel auf bis zu 124 Euro für einen Einpersonenhaushalt, auf maximal 149 Euro für einen Haushalt mit einem Kind und auf höchstens 273 Euro für einen mit sechs Kindern oder mehr.

Ist das genug oder zu wenig? CSV-Premier Jean-Claude Juncker war es, der in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 8. Mai 2012 die Mietsubvention ankündigte und von „95 Euro im Durchschnitt pro betroffene Familie pro Monat“ sprach. „Sie sagen mir, das sei nicht viel“, fuhr er fort, „ich sage Ihnen: Es gibt viele Leute und viele Haushalte, für die dieser Mietzuschuss eine ganz beachtliche Summe ist.“

Knapp hundert Euro mehr zu haben oder nicht, macht für „working poor“, jene Schicht in der Gesellschaft, der laut Motivenbericht zum Gesetzentwurf durch den Zuschuss geholfen werden soll, natürlich einen größeren Unterschied als für einen Haushalt, der zu den 20 Prozent mit dem höchsten verfügbaren Nettoeinkommen gehört. Laut dem Observatoire de l’habitat beim Belvaler Sozialforschungsinstitut Liser leidet keiner dieser am besten gestellten Haushalte unter einer „surcharge des coûts du logement“. Als „überlastet“ gilt ein Haushalt, der mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Nettoeinkommens für Wohnzwecke, in diesem Fall eine Mietwohnung, ausgeben muss. Von den 20 Prozent der Haushalte mit dem geringsten verfügbaren Einkommen waren dazu im Jahr 2012 immerhin 43 Prozent gezwungen.

Erklärtes Ziel der Regierung wie auch ihrer Vorgängerin ist es, mit dem Mietzuschuss dafür zu sorgen, dass dieser Aufwand, im Fachjargon taux d’effort genannt, „möglichst“ nicht höher wird als 33 Prozent. Der Caritas freilich ist aufgefallen, dass dieses Ziel bereits unter dem liegt, das Juncker 2012 im État de la nation nannte: den taux d’effort auf 30 Prozent „herab-zudrücken“. Dieser Wert gelte, schreibt die Caritas in einer Stellungnahme zum überarbeiteten Gesetzentwurf aus dem Hause Nagel-Hansen, „in der Literatur als das allgemein akzeptable Maximum“.

Doch wie schon der vorigen Regierung die Aussicht nicht gefiel, Jahr für Jahr 40 Millionen Euro aus der Staatskasse aufwenden zu müssen, um, wie damals geschätzt, für die gesamte in Frage kommende einkommensschwache Mieterschaft den taux d’effort auf tatsächlich maximal 33 Prozent zu begrenzen, liegt auch jetzt eine wichtige Nuance im Zusatz „möglichst“. Denn in jener Gleichung, mit der ausgerechnet werden soll, ob und wie viel Mietsubvention ein Haushalt beanspruchen kann, wird zum einen ein „Referenzeinkommen“ angenommen. Es entspricht dem Durchschnitt aus dem qualifizierten und dem unqualifizierten Mindestlohn, nachdem sämtliche Einkünfte, auch Sozialtransfers, berücksichtigt wurden und die Haushaltsgröße um „Verbrauchereinheiten“ multipliziert wurde, womit die Zahl der darin lebenden Personen je nach ihrem Alter gemeint ist.

Zum anderen soll die Höhe der Subvention auch davon abhängen, wie sich die Miete, die man auf dem privaten Wohnungsmarkt zahlt, gegenüber einer „Referenzmiete“ verhält. Die ist ein Kon-strukt. Sie soll angeben, was ein Haushalt, je nach der Zahl seiner Mitglieder, für ein Apartment zu zahlen hätte, das sich in einem zwischen 1981 und 2000 errichteten Gebäude befindet und „in einer urbanen Wohngegend mit mittlerer Bebauungsdichte (das heißt außerhalb von Luxemburg-Stadt, aber in deren Peripherie)“ liegt, wie das Wohnungsbauministe-rium die Komplexität des Parameters in Worte fasst. Diese landesweite Referenzmiete würde Jahr für Jahr in einer großherzoglichen Verordnung festgelegt. Der Verordnungsentwurf, der dem Gesetzentwurf beiliegt, geht davon aus, dass zum 1. Januar 2015 ein Einpersonenhaushalt in einem Referenz-Apartment 715 Euro zu zahlen hatte, ein Haushalt ohne Kinder 749 Euro, einer mit einem Kind 959 Euro, ein Haushalt mit zwei Kindern 1 249 Euro, und so fort.

An diesen Formeln könnten sich noch Diskus-sionen entzünden. Nicht nur Caritas und Salariats-kammer, sondern auch Handwerks- und Handelskammer nennen sie „undurchsichtig“. Die Handelskammer rechnet in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf vor, in bestimmten Fällen könnte ein eigentlich anspruchsberechtigter Haushalt keinen Mietzuschuss erhalten. Die Salariatskammer beanstandet, dass den antragstellenden Mietern auch die Familienbeihilfen ins verfügbare Nettoeinkommen eingerechnet werden sollen, während das bei den einkommensabhängigen Staatsbeihilfen für angehende Wohnungsbesitzer nicht so ist. Und sie warnt, da könne eine Innovation, für welche die Regierung sorgen will, den davon Betroffenen sogar schaden: Der Mietzuschuss soll – das hatte die CSV-LSAP-Koalition noch nicht so gesehen – auch für Empfänger des RMG und eines Schwerbehinderteneinkommens (RPGH) gelten. Die heute übliche majoration von RMG und RPGH, um damit einen Mietkostenzuschuss zu gewähren, würde ab 1. Januar für danach neu hinzukommende Empfänger abgeschafft. Doch während für die majoration bestimmte Renten nur zum Teil und die Familienbeihilfen gar nicht berücksichtigt werden, soll das für den Mietzuschuss stets und vollständig so sein.

Wie die Caritas hält auch die Salariatskammer das Konzept der Referenzmiete à la luxembourgeoise für nicht differenziert genug. Die Mietkosten über Land differierten stark und hätten Ende 2014 für ein Apartment in der Hauptstadt bei durchschnittlich 1 433 Euro gelegen, in Clerf bei 810 Euro. Sollte die Referenzmiete nicht besser nach Regionen gestaffelt werden, wie das etwa auch in Deutschland bei der Berechnung des Wohngelds geschieht?

Das wäre wohl sinnvoll. Und könnte vermeiden helfen, dass der Mietzuschuss in der Hauptstadt eher als Almosen, in einer Landgemeinde im Ösling dagegen eher als „beachtliche Summe“ empfunden wird, wie das Jean-Claude Juncker vor drei Jahren meinte. Allerdings will die Regierung, wie ihre Vorgängerin, die Mietsubventionierung einerseits nicht übertreiben, um die Staatskasse zu schonen, andererseits um zu verhindern, dass sie zu „perversen Effekten“ führt. Etwa, wenn ein Mieter knapp unterhalb der Subventionsschwelle bleibt und mit seinem Vermieter abmacht, die Miete gerade so weit zu erhöhen, dass beide von dem Zuschuss profitieren. In dem Fall könnte umso schneller eintreten, was vor allem die Handwerkskammer kommen sieht, die dem Mietsubventionsentwurf am kritischsten gegenübersteht: dass wegen der Knappheit von Sozialwohnungen der Zuschuss vom freien Markt eingepreist würde.

Verhindern ließe sich das, abgesehen von einer Großoffensive im sozialen Wohnungsbau, die zumindest angekündigt ist, nur durch fortlaufende Kontrollen der Mietverträge. Doch dass es dazu kommt, ist kaum zu erwarten. Zumal nun, RMG- und RPGH-Empfänger eingeschlossen, die Zahl der anspruchsberechtigten Haushalte auf rund 19 000 veranschlagt wird. Kontrolliert werden sollen, wie die Dinge liegen, allein die Einkommensverhältnisse der Mieter, wofür der Gesetzentwurf einen mit der Datenschutzkommission schon vereinbarten Zugang zu Verwaltungsdaten schaffen soll.

Letzten Endes verfolgt die Regierung mit dem Mietzuschuss einen doppelten Zweck: Einerseits die bedürftigsten Haushalte zu unterstützen, andererseits dafür zu sorgen, dass aus weiter steigenden Mieten möglichst kein politischer Grund für Mindestlohnerhöhungen erwächst. Konsequenterweise soll der Mietzuschuss allein auf Luxemburger Haushalte beschränkt sein. Schon die vorige Regierung hatte viel statistischen Aufwand betreiben lassen, um nachzuweisen, dass die Mieten in Luxemburg um 20 bis 70 Prozent höher lägen als in den Nachbarländern: Da sei es, schreibt der Gesetzentwurf, „höchst unwahrscheinlich“, dass auch Grenzpendler den Zuschuss für sich reklamieren könnten.

Peter Feist
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