Was Luxemburgs Rifkin-Studie über die Umsetzung der dritten Industriellen Revolution beispielsweise der für Nordfrankreich voraus hat? Es gibt tatsächlich ein Kapitel „Industrie“ – das hatten Rifkins Leute in Frankreich vergessen, was die Franzosen gegenüber den Luxemburger Kollegen, die sich bei ihnen über den Ablauf ihrer Studie informieren wollten, verständlicherweise bedauerten. Weil, wie Marc Wagener von der Handelskammer, der Hansdampf in allen Gassen, von 2030.lu bis Idea, erklärt, es nur schlecht vorstellbar gewesen wäre, eine Studie über die Luxemburger Wirtschaft zu erstellen, ohne die wichtigste Wirtschaftsbranche zu berücksichtigen, musste Jeremy Rifkin sogar noch extern Finanzexperten anheuern, weil er niemanden mit dem notwendigen Wissen in seinem Team hatte.
Dass Rifkin „sehr energielastig“ ist, wie Wagener sagt, und auch sehr Internet-lastig, merkt man nicht nur daran, dass die Kapitel Industrie und Finanzen vergleichsweise dünn ausfallen, sondern auch jeweils an der Kapitel-Übersicht, in der Rifkins Leute die immer gleiche Idee ein wenig anders formulieren. So erfinden sie für den Finanzbereich den Begriff „Finternet (the financial internet of things)“, damit sich die Bankiers nicht ausgeschlossen fühlen, wenn andere Branchen ein „renewable energy internet“ erhalten oder ein „automated transport and logistics internet“ oberhalb der „internet of things infrastructure“ – insgesamt 289 Mal fällt in der Studie der Begriff Internet.
Für die Industrie entwarf die entsprechende Arbeitsgruppe dann auch einen Leitspruch: „Luxembourg: an internationally recognized platform fo sustainable industrial excellence through innovative solutions“, eine Vision, wie unterstrichen wird, die ein „unique statement only applicable in the context of the Luxembourgish environment“ ist. Vertreter anderer Industriestandorte weltweit, die für sich selbst beanspruchen, x-beliebige Schrottprodukte mit veralteter Technik zu produzieren, würden das ohne Zweifel unterschreiben. So gibt es in den Kapiteln jeweils den Rifkin-Teil, in dem von Milliardenmärkten die Rede ist, die durch die Energiewende und die Digitalisierung entstehen, und die sehr lokal eingefärbten Schlussfolgerungen. Dabei ist längst nicht klar, warum die Manager in den Entscheidungszentren der Industriebetriebe und Banken im Ausland sich dazu entschließen sollten, ausgerechnet ihre Luxemburger Filialen für das digitale Zeitalter aufzurüsten, statt andernorts zu investieren. Das Problem bei der Anwendung der rifkinschen Revolution auf die Luxemburger Industrie und das Finanzwesen ist einerseits, dass die Entscheidungen außerhalb des Staatsgebietes fallen und andererseits, dass Betriebe, die im internationalen Wettbewerb miteinander konkurrieren, wenig geneigt sind, sich gegenseitig ihre Rezepte zu verraten, die ihnen erlauben, sich den durch die technischen Neuerungen entstehen Herausforderungen zu stellen, beziehungsweise, die dadurch entstehenden Chancen in Bares zu verwandeln.
So wird zum Beispiel die Goodyear-Konzeptstudie über kugelförmige, magnetisch aufgehängte, 3-D-gedruckte Reifen, mit denen selbstfahrende Autos seitwärts einparken können, als Beispiel der anstehenden Entwicklung genannt. Goodyear forscht zwar in Luxemburg, stellt in der Landesmitte allerdings Lastwagen- und Traktorenreifen her. Ob diese Sparte mal kugelförmige Reifen herstellen wird? Im Ausbau der Windkraft sehen Rifkins Leute eine Riesenchance für die Stahlindustrie, weil die Windmühlen mit Rotorblättern ausgestattet werden müssen. Das klingt in der Theorie gut. Doch obwohl ein Arcelor-Mittal-Manager Präsident der Handelskammer und damit Auftraggeber der Studie ist, geht daraus nicht hervor, ob der dafür notwendige Stahl hier hergestellt, gewalzt und weiterverarbeitet werden könnte.
Im Finanzkapitel werden Crowdfunding und Regionalwährungen als basisdemokratische Superinstrumente der neuen Ära gefeiert. Dabei bleibt nicht nur außer Acht, dass die erste luxemburgische Crowdfunding-Plattform nach der ersten Projektfinanzierungsrunde aufgeben musste, weil es an der kritischen Masse von Geldgebern fehlte. Sondern auch, dass es wahrscheinlich sinnvoller wäre, statt weiterer Beki-ähnliche Gutscheine die Franken wieder einzuführen, weil das Staatsgebiet kleiner ist als das Verteilungsgebiet erfolgreicher Regionalwährungen im Ausland.
Was den Industriearbeitern blüht, die riskieren, ihre Jobs in den kommenden Jahren an Roboter zu verlieren, darüber bleibt die Studie mehr als vage: „Attracting, retaining and training of high-qualified workers will be key for a sustainable development across all of Luxembourg industry. However, the whereabouts of less qualified personnel should not be neglected in the transition phase and should retain the attention of the stakeholders as well.“
Auch über den sozialen Umbau des Finanzsektors, in dem Bitcoin-Protokolle und Investitionsalgorithmen in Zukunft die Arbeit erledigen sollen, bietet die Rifkin-Studie nur wenige Zeilen: „One possible scenario is that many who now work in these evolving sectors can be re-deployed through Luxembourg’s aggressive push to support new technology development in the entrepreneurial sector, feeding the very change that is being created in an extropic value loop.“ Übersetzt woll das wohl heißen, dass die Bankangestellten künftig als Scheinselbstständige Computer-Applikationen schreiben sollen.
Blendet man die pseudowissenschaftliche Fantasiesprache aus, die in den Vorschlägen bemerkenswert sinnfreie Blüten treibt, à la „Engage in a quadruple helix knowledge network between business, government, academia and key stakeholders to identify and prioritize the national, regional and EU-wide changes that Luxembourg’s leaders should promote“, bleiben am Ende einige wenige konkrete Maßnahmen. Für die Industrie soll zum Beispiel das Hohe Komitee einen neuen Status erhalten, ein Komitee, zu dem die Gewerkschaften keinen Zutritt haben. In den Schlussfolgerungen ist die Rede von einem neuen Start-up-Programm für herstellende Betriebe, doch am wichtigsten scheint die deutlich ausgedrückte Forderung, dass die öffentliche Forschung weniger Ressourcen mit der Grundlagenforschung verschwenden und ihre Arbeit auf die Bedürfnisse der Privatwirtschaft ausrichten soll. Angesichts solch drastischer möglicher Einschnitte in die Forschungsfreiheit, wäre es nützlich zu wissen, ob Vertreter der Uni und der öffentlichen Forschungszentren diese Vorschläge mit ausgearbeitet haben und sie mittragen. Doch die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind mehrheitlich unbekannt.
Zu den wichtigsten Vorschlägen im Kapitel Finanzen gehören wohl nicht die beiden, die bei der Vorstellung am Montag hervorgehoben wurden – Die Luxembourg Sustainable Development Finance Platform (LSDFP) und die Gelderziehung an den Schulen –, sondern diejenigen, die das in den vergangenen zwei Jahren ein wenig ins Hintertreffen geratene Finanzministerium dazu auffordern, mit der Regulierung in Europa Schritt zu halten, beziehungsweise dabei aufs Gaspedal zu drücken, damit die vielen neuen Finternet-Gesellschaften gefälligst den gleichen Sicherheits- und Bürokratieaufwand betreiben müssen wie die traditionellen Akteure und Letzteren nicht durch unlautere Wettbewerbsvorteile die Geschäfte vermiesen. Die in die Vitrine gestellte LSDFP soll Investoren und die Träger von grünen, nachhaltigen Projekten vernetzten und dabei eine gemeinnützige Struktur sein. Deshalb läuft sie Gefahr, ebenso eine Randerscheinung zu bleiben wie die Mikrofinanz, die bisher trotz aller Bemühungen immer noch das Pflaster auf dem schlechten Gewissen jenes Teils der Finanzbranche ist, der richtiges Geld verdient.