Als annus horribilis für die Luftfahrtbranche hatte Marc Hoffmann das Jahr 2009 bezeichnet. Da war er noch Verwaltungsratspräsident von Luxair und Cargolux. Posten, auf denen er in der Zwischenzeit von Paul Helminger und Albert Wildgen abgelöst wurde. Nun ist 2011 für das Luxair-Liniengeschäft ein noch fürchterlicheres Jahr als 2009 geworden. So dass weder der alte noch der neue Präsident die Resultate bisher vorgestellt hat. Über 16 Millionen Euro Defizit verbucht Luxair im Liniengeschäft. „Ein trauriger Rekord“, wie es in der Bilanz heißt.
Zwar steigt die Rentabilität bei Luxair Tours, doch das Frachtvolumen, das Luxair Cargo abwickelte, lag mit 673 000 Tonnen acht Prozent unter dem Niveau von 2010 und eigentlich wieder auf dem Niveau von 2003. So dass unterm Strich ein operativer Verlust von zwei Millionen Euro steht, der nur durch andere Einkünfte – beispielsweise dem Gewinn von 3,4 Millionen Euro aus dem Verkauf der Cargolux-Anteile an Qatar Airways – in einen Nettogewinn von 1,4 Millionen Euro umgewandelt werden konnte. Weil die Luxair über eine gut gefüllte Kriegskasse verfügt – Kapital und Reserven zusammen beliefen sich Ende 2011 auf 362 Millionen Euro –, war die Aussage des LCGB-Gewerkschaftssekretärs Aloyse Kapweiler nach dem Treffen mit Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler (CSV) am Montag, wenn man so weitermache wie bisher, fahre die Luxair in zwei Jahren gegen die Wand, vielleicht ein bisschen zu drastisch.
Doch seit vor wenigen Wochen passierte, was bisher alle für unmöglich gehalten hatten, nämlich dass eine sogenannte Billig-Airline Luxemburg in ihr Streckennetz aufnimmt, herrscht erhöhte Alarmbereitschaft. Easy-Jet fliegt ab Ende Oktober viermal wöchentlich zwischen London-Gatwick und Findel hin und her. Bei ihrem Treffen vor zwei Wochen hatte Wiseler OGBL-Gewerkschaftssekretär Hubert Hollerich versichert, die Regierung habe nichts unternommen, um Easy-Jet anzulocken. Von den hohen Flughafentaxen, die bisher als Garant gegen die Niederlassung der Billigkonkurrenz galten, lässt sich die britische Airline nicht schrecken. So droht der Luxair nun auch noch Konkurrenz auf der lukrativen London-Strecke, nachdem Lufthansa seit Ende 2010 versucht, ihr die Kunden auf der München-Strecke abzuwerben. Und ihr Darwin-Airline seit Anfang 2012 in einem Code-Share-Agreement mit der Lufthansa-Tochter Swiss die Genf-Strecke streitig macht.
So kam Wiseler am Montag nicht umhin, auch für die Luxair eine Überprüfung des Geschäftsmodells bekannt zu geben – die der Cargolux soll eigentlich diesen Monat abgeschlossen werden. Noch vor Ende dieses Jahres, so Wiseler, werde man dann einen Runden Tisch mit allen Flughafen-Akteuren organisieren. Eine Tripartite, wie vom LCGB gefordert, werde es nicht geben, gab er indirekt zu verstehen.
Problemfälle und Diskussionsstoff gibt es rund um den Findel und seine Akteure wahrhaftig genug. Man denke an die Kontrolleure und die Flugsicherung oder an die mitunter konträr laufenden Interessen von Cargolux und Luxair. Und der Flughafengesellschaft. An denen jeweils direkt oder indirekt der Staat als Ak-tionär beteiligt ist. Doch bei der Luxair haben diese Woche die Kollektivvertragsverhandlungen begonnen denen angesichts der schlechten Ergebnisse eine besondere Bedeutung zuzukommen droht. Nicht nur weil die Geschäftsleitung fordert, die Cockpitcrews in eine neue Gesellschaft auszulagern, damit ihre Weiterbildung besser bezuschusst wird, die Einstiegsgehälter zu senken und bei diversen Zuschlägen zu sparen, während die Gewerkschaften Aufbesserungen verlangen. Sondern auch, weil sich die Frage stellt, wie sich einneues Tarifabkommen in die neue Firmenstrategie einfügt, an der nun gearbeitet werden soll.
Denn dass die Luxair ein strukturelles Problem hat, dessen sind sich die Gewerkschaftsvertreter eigentlich bewusst. Weshalb sonst schlug Hubert Hollerich vor Monaten Alarm, als es um das Handling-Abkommen zwischen Luxair und Cargolux ging? Neue Tarife zu Ungunsten der Luxair, durch die das Einkommen in ihrer Frachtsparte sinken würden, hätten Folgen für die Firma insgesamt, weil man bisher das Defizit der Fluglinie durch diese Einkünfte kompensiert hat, warnte er. Man weiß, wie auch beim LCGB, sehr wohl um die Ungleichgewichte im Betrieb.
Ist die Situation im Fracht-Center wegen der rückläufigen Entwicklung nicht rosig, so ist es finanziell gesehen nach wie vor das Linienfluggeschäft, das im Zentrum der Probleme steht. Mit dem Maßnahmenprogramm Building a new Airline war der Ausgleich 2008 in greifbare Nähe gerückt (siehe Kasten). Doch dann kam die Krise. Mit ihr sanken die Verkaufszahlen in der Premium-Klasse. Und damit die Flugticketpreise. Das Problem trifft nicht nur die Luxair. Die Gesellschaften Malev und Spanair mussten vergangenes Jahr Insolvenz anmelden. Auch Lufthansa, Teilhaberin der Luxair, kämpft mit dem Preisverfall im so genannten Kontinentalverkehr auf den innereuropäischen Strecken, verkaufte deswegen zum Beispiel die Tochtergesellschaft BMI.
Andere europäische Traditionsgesellschaften können die Verluste im Regionalverkehr mit den Gewinnen aus den Langstreckenaktivitäten ausgleichen, argumentierte man bisher oft bei der Luxair. Doch auch das stimmt nur noch bedingt. Air-France-KLM machte 2011 einen Verlust von über 800 Millionen Euro.
Die Ursachen sind wahrscheinlich auch im veränderten Konsumentenverhalten zu suchen. Die Billigheimer von Ryan Air und Co. haben den Konsumenten beigebracht, das Fliegen nichts Außergewöhnliches ist. Jeder kann fliegen. Auch Schüler und Studenten, die vor zehn oder 15 Jahren wohl eher mit der Bahn durch Europa gereist wären, weil ein Flugticket das Budget für die Reise gesprengt hätte, steigen heute ins Flugzeug wie in einen Bus. Auch Geschäftskunden, denen während der Krise die Reisebudgets gekürzt wurden, haben wohl gelernt, dass sie den intra-europäischen Flug von maximal zwei Stunden auch in der Holz-Klasse – ohne Pralinen – überstehen und wollen deswegen seltener Business-Tarife zahlen. So wird bei der Luxair die Premium-Kundschaft gegen die Primo-Kundschaft ausgewechselt. Der Anteil der billigeren Primo-Tickets, die ab 149 Euro zu haben sind, steigt stetigvon 148 000 Tickets 2009 auf 264 000 im Jahr 2011. Weil parallel der Anteil der Premium-Tickets von 37 Prozent 2007 auf nur noch 20 Prozent 2011 zurückging, stiegen die Verluste der Airline. Denn sie hat in den vergangenen Jahren ihre Tarife den Kundenerwartungen und dem Marktumfeld anpassen müssen und ist dadurch, wenn auch nicht zur „Billig-“ wohl aber zur Nicht-mehr-ganz-so-teuer-Airline geworden. Die Firma hat aber im gleichen Zeitraum nichts an ihrer Struktur geändert, was ihr erlaubt hätte, die entstehenden Mindereinnahmen auszugleichen.
Zwar reden Geschäftsleitung und Verwaltungsrat im Jahresbericht von einem Strategieplan, den sie angenommen haben. Die Leitlinien: die Einstellung der Routen Luxemburg-Dublin, Luxemburg-Prag und Saarbrücken-München sowie die Verschiebung der Erneuerung der Embraer-Flotte. Weil das eher Rückzugsgefechte als Zukunftsvisionen sind, verwundert es nicht, dass die Gewerkschaften, obwohl sie das strukturelle Problem erkennen, nichts von Kürzungen auf Kosten der Arbeitnehmer wissen wollen – wer nur seine Kosten senkt, hat noch lange kein neues, zukunftsträchtiges Geschäftsmodell.
„Man verdient nicht mehr, indem man nur die Gehälter senkt“, sagt auch François Bacchetta, Generaldirektor von Easy-Jet Benelux. Zwar reagiert er damit auf pauschale Gewerkschaftsvorwürfe, Billig-Airlines wie Easy-Jet betrieben Sozialdumping und hätten lasche Sicherheitsstandards. „Die Kosten sind für alle gleich. Auch bei uns verdient ein Bordkommandant 12 000 Euro“, wehrt sich Bacchetta und fügt hinzu, dass die Sicherheitsstandards EU-weit vereinheitlicht sind. „Nur verteilen wir die Kosten auf eine höhere Anzahl von Passagieren und können deswegen niedrigere Ticketpreise anbieten.“
Bis zu 50 Prozent mehr Passagiere transportierten Easy-Jet-Flugzeuge täglich im Vergleich zur Konkurrenz. Weil die Gesellschaft sich auf regionale Strecken ohne Anbindungen spezialisiert hat, verliere sie nicht viel Zeit am Boden und könne deswegen ihre im Durchschnitt zwischen drei und vier Jahre alten Airbus-Flugzeuge mehr Flüge absolvieren lassen – auf denen im Schnitt über 80 Prozent der Sitze belegt sind. „Es ist eine Frage der Produktivität“, sagt Bacchetta. „Dann kann man auch das Personal gut bezahlen.“ Oder teure Flughafentaxen. Die seien relativ, sagt der Easy-Jet-Mann. Man werde testen, ob man die Linie Luxemburg-London-Gatwick rentabel betreiben könne.
Die Gleichung, mehr Kunden – bessere Kostenverteilung – attraktive Ticketpreise beherrscht Luxair-Vorstand Adrien Ney natürlich auch. Deswegen hatte er vor zwei Jahren schon einmal erwogen, größere Flugzeuge einzusetzen als die Bombardier Q-400 mit knapp über 70 Sitzen, mit denen Lauxair im Li-niengeschäft unterwegs ist. Ein Idee, die verworfen wurde, weil, wie Vorstandsmitglied Alberto Kunkel 2011 erklärte, das Einzugsgebiet des Findel einfach zu klein sei, um mehr Kunden anzuziehen. Deshalb könne man größere Flugzeuge als die Q-400 nicht rentabilisieren. Eben deswegen wird es umso spannender sein, zu sehen, ob Easy-Jet das Luxemburg-Experiment gelingt. Die Gesellschaft wird die London-Strecke mit einem Airbus mit über 150 Sitzen abfliegen. Die beileibe nicht nur mit Luxair-Deserteuren besetzt werden sollen. „Wir glauben, dass wir eine neue Nachfrage stimulieren werden“, sagt Bacchetta.
Wenn das Experiment gelingt, wird das den Druck auf die Luxair-Führung nur erhöhen, Wege zu finden, die Produktivität und Rentabilität ihres Liniengeschäfts zu verbessern. Denn Alberto Kunkel hatte zwar vergangenen Herbst erklärt, binnen drei Jahren sollten die Betriebskosten des Liniengeschäfts gedeckt werden können. Durch die Overhead-Kosten, also die Kosten, die in der Verwaltung entstehen, würde sich das Defizit dennoch auf fünf bis acht Millionen belaufen. Eine Einschätzung, die seither überholt wurde. Auch 2012, heißt es in der Bilanz 2011, riskiere das Defizit, so hoch zu werden wie vergangenes Jahr, und damit doppelt so hoch wie im Budget vorgesehen.
Damit aber der Vorstand Zukunftspläne schmieden kann, muss sich der Mehrheitsaktionär, der Luxemburger Staat, erst einmal entscheiden, was er von der Luxair will. Soll sie die Anbindung ans internationale Flugnetz sicherstellen? Reicht dazu die Verbindung mit den Lufthansa-Drehkreuzen Frankfurt und München? Oder soll Luxair Luxemburg direkt mit anderen Hauptstädten verbinden? Nimmt der Staat dafür Verluste in Kauf? Nimmt der Staat Verluste in Kauf, um einen Arbeitsplatzabbau – zum Beispiel in der Verwaltung – oder Lohnsenkungen bei der Gesellschaft zu verhindern? Oder will der Staat eine rentable Airline sehen, die vielleicht versucht, im europäischen Geschäft mitzumischen und deswegen Strecken in Angriff nimmt, die weder in Luxemburg oder Saarbrücken starten oder enden, auf denen es dafür im Gegenzug aber viele Kunden gibt? Oder will der Staat vielleicht darauf setzen, dass andere Airlines die Anbindung Luxemburgs übernehmen? Welche Positionen sollen die Vertreter des Staates im Verwaltungsrat einnehmen? Und in den Verwaltungsräten von Lux Aiport und Cargolux?
Diese Fragen sind wahrlich nicht neu, müssten aber beantwortet werden, bevor man anfängt zu tüfteln. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass der zuständige Minister, in diesem Fall Claude Wiseler, den Mut aufbringt, eine Entscheidung zu treffen, auch wenn sie sich im Nachhinein als falsch erweisen könnte. Oder er nimmt bei den geplanten Rundtischgesprächen Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) an die Seite, der ihm schon in Sachen Cargolux, das Heft mehr oder weniger aus der Hand genommen hat. Der glaubt zwar laut einem Tageblatt-Interview von dieser Woche, die Gewerkschaften überzeugen zu müssen, dass die Luxair ein Strukturproblem hat. Aber er, so behauptet er zumindest im Tagblatt, „will gestalterisch tätig werden“ und „die Probleme nicht vor uns herschieben“.