Unglück allein reicht nicht, es braucht auch Pech. Ein beliebtes Motiv kongolesischer Maler ist „Inakale“, eine Verballhornung von „ça a calé“: Ein Mann flüchtet vor einem Krokodil auf einen Baum, wo ihn eine Schlange bedroht. Der Ast, auf dem er Asyl sucht, bricht auch gerade ab. Auf dem Boden aber wartet bereits ein Löwe. Das hungrige Raubtier steht für den Staat, die Schlange für Sünde, das Krokodil für böse Nachbarn und Hexerei. Selbst wer mit den Symbolen nichts anfangen kann, erkennt: Idylle sind die Tropen keine.
Für die Ausstellung Congo Stars haben das Kunsthaus Graz und die Kunsthalle Tübingen zusammen mit dem Iwalewahaus Bayreuth und der kongolesischen Künstlervereinigung Picha rund 150 Werke zusammengestellt. Die 70 Künstler kommen aus der Region, die derzeit Demokratische Republik Kongo heißt. Günther Holler-Schuster, einer der Kuratoren, nennt den Kongo lieber einen „fiktionalen Zustand“: ein umkämpftes Territorium, eine Projektionsfläche für Imaginationen.
Der Schwerpunkt der Schau liegt auf „populärer Malerei“, die sich ab 1960 von der akademischen Kunst der Kolonialzeit absetzte: realistische Plakate, übermütige Alltagsszenen, oft mit kritischen Comic-Sprechblasen zu aktuellen Desastern. Ergänzt werden sie von Skulpturen, Videos und Installationen. Die meisten Exponate gehören zur Sammlung des kanadischen Historikers Bogumil Jewsiewicki, die 2013 vom belgischen Afrika-Museum Tervuren gekauft wurde.
Gegliedert ist die Ausstellung in sechs Kapitel, die ineinander übergehen: Straße, Bar, Zuhause, Mythologie, Stars und Ausbeutung. Durch alle Räume zieht sich eine große Zeitleiste zur Geschichte des Kongos ab 1876: von der Ausplünderung unter belgischer Herrschaft über Raub und „Zairisierung“ unter Diktator Mobutu bis zum Zweiten Kongokrieg mit über sechs Millionen Toten und schließlich dem Ebola-Ausbruch im vergangenen Jahr. Von Not über Korruption bis Elend. Dass die Besucher dabei von erschreckenden Informationen und exotischen Eindrücken schier erschlagen werden, ist Absicht: Das Gewimmel soll „die Dichte und Spannung einer kongolesischen Großstadt vermitteln“.
Manche der Kunstwerke sind für Europäer gar nicht so fremdartig. Die Fotoserie An Imaginary Trip von Gosette Lubondo dürfte zum Beispiel Opfer der Deutschen oder Französischen Bahn unmittelbar ansprechen: In einem abgestellten, verrotteten Waggon sitzen Passagiere und tun so, als ob sie fahren würden. Scharlatane gibt es auch überall: Ein Gemälde von Aundu Kiala heißt La crise et le chômage font pousser des églises. Und Desindustrialisierung betrifft mittlerweile sogar Emerging Markets: Für seine beeindruckende Serie Perte de repères übermalte Eddy Kamuanga Ilunga Fotos stillgelegter Fabriken mit Darstellungen von Arbeitern.
Klischees afrikanischer Kunst widersprechen auch die Weltraumfahrer, die häufig auftauchen. Sie erinnern daran, dass Mobutu nicht nur US-Astronauten mit Orden behängte, sondern auch eigene Raumfahrtambitionen verfolgte. In der ehemaligen Provinz Katanga betrieb die deutsche Firma Otrag ein 100 000 Quadratkilometer großes Gelände für Raketentests. Die dritte Rakete stürzte allerdings 1978, in Anwesenheit des Diktators, unmittelbar nach dem Start in den Busch – und Otrag flog aus dem Land. Auf Gemälden von Monsengo Shula tragen fröhliche „Afronauten“ Raumanzüge aus bunten Waxstoffen. Schließlich hatte Mobutu seinen Untertanen westliche Kleidung verboten.
Die meisten Visionen für den „Kongo der Zukunft“ sind aber bodenständiger: Genug zu essen. Kinder, die zur Schule gehen. Vor dem Haus ein Auto. Asphaltierte Straßen und schnelle TGV-Züge. Städte mit Mülleimern und öffentlichen Toiletten. Mehrfach erwähnt werden auch Beamte, die tatsächlich ein Gehalt bekommen. Wenn Kongolesen vom Paradies träumen, schwebt ihnen eine Art Luxemburg vor. Was sie bekommen werden, sind asiatische Hochhäuser: Auf dem Gemälde Le Congo à la croisée des chemins von Sapinart hat ein verschlagen lächelnder Entwicklungshelfer aus China zwei ratlos dreinblickende Eurokraten an den Rand verdrängt.
Immerhin haben die bekanntesten Vertreter der „populären Malerei“ es bereits aus der Misere geschafft. Im Kongo werden ihre Werke an Hauptstraßen gezeigt und leidenschaftlich diskutiert; die Künstler werden wie Fußballhelden gefeiert. Seit ein paar Jahren machen sie auch auf dem internationalen Kunstmarkt Furore – so dass sie nun schon mal in Paris oder Brüssel leben. Stolz porträtierte JP Mika sich selbst und andere Stars der Szene: In seinem Bild Le goût de la réussite treten die Maler provokant als Sapeurs auf, als extravagante Dandys. Hoffentlich stört das keinen Löwen.