Romain Hilgert
Präsident Ernst Wilhelm Contzen von der Deutschen Bank hatte nach der Jahresversammlung der Association des banques et banquiers, Luxembourg (ABBL) Ende April den Bürgern „in unserem kleinen Land“ ins Gewissen geredet: Sie müssten sich über die Zukunft des Finanzplatzes Gedanken machen, der augenblicklich noch 31 Prozent aller Steuereinnahmen des Staats aufbringe.
Die beeindruckende Zahl, die auch vom statistischen Amt des Wirtschaftsministeriums, Statec, von parlamentarischen Berichterstattern und in amtlichen Veröffentlichungen zitiert wird, stammt nicht von der Steuerverwaltung oder dem Finanzministerium, sondern vom Comité pour le développement de la place financière, einem Finanzminister Luc Frieden (CSV) unterstellten Komitee verschiedener Vertreter der Finanzindustrie und der Verwaltung. Seine wichtigste Arbeit besteht darin, dem Parlament abstimmungsbereite Gesetz-entwürfe vorzulegen, um die Gesetzgebung noch vor anderen Staaten den aktuellen Bedürfnissen der Banken, Fonds und Ver-sicherungen anzupassen. Weil die eigentlich mit der Bankenaufsicht betreute Commission de surveillance du secteur financier (CSSF) eine allzu auffällige Rolle bei dieser Lobby-Arbeit spielte, wurde das Komitee vor wenigen Monaten reformiert und in Haut comité de la place financière umgetauft.
Das Comité pour le développement de la place financière kaufte mehr oder weniger regelmäßig bei der inter-nationalen Unternehmensberaterfirma Deloitte S.A. eine Étude d’impact de l’industrie financière sur l’économie luxembourgeoise. Die rezenteste Ausgabe wurde im November 2009 veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass im Jahr 2008 die Steuerabgaben des Finanzplatzes 25 Prozent der Steuer-einnahmen des Staats ausmachten.
Um auf 31 Prozent zu kommen, hatte das Comité pour le développement de la place financière die Autoren von Deloitte bereits 2003 aufgefordert, auch die „indirekten Auswirkungen“ zu berechnen. Deshalb beziffert Deloitte in einer etwas abenteuerlichen Schätzung die Mehrwertsteuer und anderen Steuern auf dem Privatkonsum der Angestellten des Finanzplatzes, auf den Betriebskosten und Investitionen der Unternehmen sowie die Einnahmen der Quellensteuer auf fünf Prozent der staatlichen Steuereinnahmen.
Die 25 Prozent oder 2,6 Milliarden Euro seiner Steuereinnahmen, die der Staat 2008 direkt auf den Geschäften des Finanzplatzes erhoben hatte, bestehen zur Hälfte aus den Gewinnsteuern. Das heißt, die Banken, Versicherungen und andere Finanzfirmen zahlten 1,4 Milliarden Euro oder 14 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Staats. Sechs Prozent oder 593 Millionen wurden aus der Abonnement-Taxe der Investmentfonds bestritten. Weitere sechs Prozent waren 587 Millionen Lohnsteuern, welche die Angestellten der Finanzunternehmen entrichteten.
Die Berechnungen der Steuerabgaben des Finanzplatzes schwanken erheblich. Für das Haushaltsjahr 1999 hatte das Comité pour le développement de la place financière den Beitrag des Finanzsektors zu den Steuereinnahmen des Staats noch mit stolzen 46,6 Prozent angegeben. 2008, das Jahr, zu dem die rezentesten Angaben veröffentlicht wurden, war das Jahr der großen Finanzkrise. Aber schon in den Vorjahren war der Anteil gesunken: von 29 Prozent 2006 auf 28 Prozent 2007 und 25 Prozent 2008.