Aus dem Schatzkästlein des Luxemburger Geisteslebens (3)

Katholiken sprechen Volapük, Sozialisten Ido

d'Lëtzebuerger Land vom 22.08.2014

Ido war hierzulande eines der ersten Opfer des Ersten Weltkriegs. Denn gleich nach dem deutschen Überfall am 2. August 1914 musste der für den 6. bis 8. September 1914 geplante Internationale Ido-Kongress in Luxemburg abgesagt werden. Eigentlich sollten künstliche Sprachen wie Ido der Völkerverständigung dienen, doch nun schossen die Völker aufeinander.

Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts, in einer manchmal als erste Globalisierung beschriebenen Epoche, gab es ein großes Interesse an der Konstruktion von Plansprachen, internationalen Hilfssprachen, welche die Sprachschranken zwischen den Völkern niederreißen sollten. In Luxemburg fiel diese Idee auf fruchtbaren Boden. Denn die Einwohner eines Landes, dessen Sprache niemand im Ausland sprach, das vielleicht überhaupt keine Sprache, sondern bloß einen Dialekt hatte, erhofften sich, mit einer neuen Weltsprache um die ganze Welt zu kommen.

Deshalb gibt es eine wenig bekannte Seite der Luxemburger Literatur, die nicht in Luxemburgisch, Deutsch oder Französisch verfasst ist, sondern in Volapük, Halblatein oder Ido. Denn es ist ein bis heute weit verbreiteter Irrtum des Luxemburger Geisteslebens, alle gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Probleme als ein Sprachenproblem anzusehen – die Staatsbürgerschaft, das Wahlrecht, den Arbeitsmarkt, die leeren Theater, das Schulversagen ...

Ein Pionier der künstlichen Sprachen war hierzulande der katholische Pfarrer Jean-Baptiste Pinth (1853-1925) aus einer Oberbesslinger Händlerfamilie. Als Kaplan in Küborn kündigte er schon am 9. Mai 1887 im Luxemburger Wort unter dem Titel „Die Weltsprache“ an: „Je mehr der durch Dampfschiffe, Weltpost und Telegraph ungemein belebte Verkehr unter den vielsprachigen Völkern die Nothwendigkeit eines allgemeinen Verständigungsmittels fühlbar machte, desto vielfacher und angestrengter wurde das Suchen nach demselben.“

1898 veröffentlichte Pinth eine Übersetzung von Thomas a Kempis’ beliebtem Andachtsbuch De imitatione Christi aus dem Lateinischen auf Volapük: Buks fol dö Züp Kristusa. Volapük war die erste künstliche Sprache, die von Tausenden von Leuten erlernt wurde; der Name ist eine verdeutschte Zusammensetzung von „world“ und „speak“, also „Weltsprache“. Jean-Baptiste Pinths Übersetzung erreichte gleich allerhöchste Anerkennung: Der Erfinder von Volapük, der Konstanzer Prälat Johann-Martin Schleyer, lobte am 1. Januar 1899 in seiner Zeitung Volapükabled Pinths Übersetzung als wortgetreu, sie bereichere die schon nicht geringe Volapük-Literatur mit einem der allerschönsten Werke.

Aber Volapük war insbesondere für Leute außerhalb des deutschen oder europäischen Sprachraums schwer zu erlernen. Deshalb entschied eine internationale Tagung 1907 in Paris, dass nicht Volapük, sondern Ido als internationale Hilfssprache verbreitet werden sollte. Pfarrer Pinth wurde dem Volapük untreu und veröffentlichte 1908 eine mit dem Imprimatur von Bischof Johannes Joseph Koppes versehene Lebensbeschreibung von Jesu Kristo. Sa biografio segun la quar evengelyi in „Linguo internaciona di la Delegitaro“, der neuen Sprache Ido.

Doch obwohl Pinth 1909 noch ein kurzes Ido-Lehrbuch verfasste, kehrt er Ido bald wieder den Rücken. Zwei Jahre später gab er eine Broschüre Die internationale Hilfssprache Interlingua heraus, die sich auf einer Schrift des Turiner Mathematikers Giuseppe Peano berief. Interlingua war eine Weiterentwicklung von Volapük, die einen alten Schülertraum erfüllte: Sie war eine Art Rumpflatein ohne die komplexe Beugung der Verben und Substantive.

Nachdem er 1912 ein Wörterbuch Deutsch-Interlingua herausgebracht und Anerkennung in der internationalen Interlingua-Gemeinschaft gewonnen hatte, veröffentlichte Pinth 1913 eine Übersetzung von Jean Racines letzter Tragödie, Athalie, auf Semilatino, weil das Latein für jeden guten Katholiken die Grundlage einer Hilfssprache ist, wie es im Vorwort heißt. Dem Text von Athalia sind kurze Anmerkungen zu Grammatik und Vokabular des Semilatino vorangestellt, wie sich eine Interlingua-Fraktion inzwischen nannte. 1917 brachte Pinth schließlich ein Deutsch-neulateinisches Wörterbuch. Übersetzung von mehr als 4 000 deutschen Wörtern heraus, das er kostenlos an Mitglieder der Academia pro Interlingua verteilte.

Anhänger von Kunstsprachen gab es jedoch nicht bloß im Klerus, welcher die Weltkirche vereinen wollte. Kurz vor dem geplanten Ido-Kongress 1914 veröffentlichte die sozialistische Zeitung Der arme Teufel am 26. Juli einen Aufruf: „Arbeiter, lernet die Weltsprache!“, in dem es heißt: „Wenn Ihr auf Reisen seid, wenn Ihr in einem fremden Sprachengebiete wohnen müßt, wenn Ihr wollt mit fremden Kollegen mündlich oder schriftlich verkehren, so werdet ihr des großen Hindernisses bewußt, welches die Sprachenverschiedenheit für Weltfrieden und Weltverkehr bildet. [...] Lernet diese leichteste, schönste und vollkommenste Hilfssprache und Ihr habet gleich Freunde in allen Erdteilen, zahlreiche Arbeitsgenossen, welche zwar Eure Muttersprache nicht kennen, aber mit Hilfe der Weltsprache Euch nähergerückt sind.“

Doch mit den künstlichen Sprachen war es wie mit der Orthografie des Luxemburgischen: Sie wurden mehr reformiert als benutzt. Das in Der Arme Teufel beworbene Ido war eine Vereinfachung der Volapük-Konkurrenz Esperanto, ihr Name bedeutet auf Esperanto so viel wie „Sohn“ oder „Tochter“. Bei dem großen Schisma unter jenen, die der Welt eine einzige Weltsprache schenken wollten, dem „Ido-Skismo“, trat 1907 der Luxemburger Esperanto-Verein geschlossen zu Ido über. Ihr Anführer war der Gründer des Luxemburger Esperanto-Vereins, der sozialistische Lehrer Henri Meier (1888-1973).

Henri Meier „wurde als Sohn eines Düdelinger Meisters in Paris geboren und wuchs in Düdelingen auf“, erzählte einer seiner ehemaligen Mitstreiter, Lucien Cahen, Janine Wehenkel-Frisch für ihre Studie über Der Arme Teufel (1978). „Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete er als Kellner im ‚Grand Cafe’. In seiner Freizeit studierte er. Er war ein Autodidakt. Er brachte es zum Lehrer, doch fand er keine Anstellung. Die Katholiken verschafften ihm schliesslich eine Stelle in einer Oeslinger Dorfschule. Dort wurde er Zeuge der nächtlichen Frauenbesuche des Pfarrers. Tiefgläubiger Katholik, Gegner des Tabaks und des Alkohols, Naturfreund und sehr prüde, war Meier entsetzt. Als er sich beim Bürgermeister beklagte, wurde er entlassen. Er wurde wieder Kellner, dann Lehrer in der Privatschule Godchaux’, schlussendlich Lehrer in Esch. Er wurde Freidenker, Ido-Anhänger, Kommunist, Freimaurer. Im Zweiten Weltkrieg versuchte er, sich von seiner Vergangenheit weisszuwaschen.“

Zehn Jahre nach dem vom Ersten Weltkrieg verhinderten Kongress fand doch noch ein internationaler Ido-Kongress in Luxemburg statt. Der arme Teufel freute sich am 1. März 1924 schon im Vorfeld: „Personen, so z. B. der englische Generalmajor Sir Mulcahy, unsere frühere Präsidentin Frau M. [Maisy Mongenast-Servais], die Generaldirektion der Arbed, die Site, unterstützen mit namhaften Beiträgen unsern Kongreß. So können wir jedem Kongressisten gratis einen Touristenführer in Ido zusenden.“

Meiers persönliche Würdigung des Kongresses war eine Übersetzung von Dicks’ D’Mumm Séis aus dem Luxemburgischen: D’Mumm Se’s Komedio en unakto da Dicks, die 1924 als erstes Heft der Mondo-Biblioteko im Stockholmer Verlag Ahlberg erschien. Als Folge des Kongresses gab er zudem 1925 die Kompleta Gramatiko detaloza de la Linguo iternationa Ido des geheimnisvollen Ido-Pioniers Louis de Beaufront heraus, die in der Escher Druckerei Solimpa hergestellt worden war.

Romain Hilgert
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