Ein reifes Pfandsystem für Mehrwegbehälter lässt auf sich warten, Verpackungen landen zu oft in der Verbrennungsanlage und der Umweltminister Serge Wilmes kommuniziert kaum über Abfallpolitik. Dabei könnte sie ihm ermöglichen als Gestalter aufzutreten

Noch nicht Plastikfrei

Life in Plastic,  It’s Fantastic  ist kein Konsens
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 07.03.2025

5 000 Menschen unterschrieben 2019 eine Petition, um eine Reduzierung von Plastikabfällen zu fordern. Der Klimabürgerrat befürwortete Maßnahmen gegen den Plastikverbrauch, ebenso wie die CSV durch ihren damaligen Oppositionsabgeordneten Paul Galles. Überdies unterstützte die CSV eine Motion, die forderte, Luxemburg solle in puncto „Abfallprävention und -management“ auf europäischer Ebene zum Spitzenreiter werden. 2019 – das war vor der Corona-Pandemie. Und vor den Militarisierungsdebatten, die mit dem Ukrainekrieg 2022 begannen. Damals bot die Dreierkoalition noch Zukunftsvisionen an. Mit dem Motto „Raus aus der Wegwerfgesellschaft“ wollte sie die Kreislaufwirtschaft ankurbeln. Auch die EU nahm sich des Themas an und verabschiedete 2018 ein Kreislaufwirtschaftspaket.

Mit dem Null-Offall-Lëtzebuerg-Gesetz legte die grüne Partei 2022 unter Umweltministerin Carole Dieschbourg nach. Man plante, ab 2025 ein Pfandsystem für Mehrwegbehälter einzuführen und Einwegbverpackungen sollten in Restaurants bei Take-away- und Lieferdiensten verboten werden. Doch der Regierungsrat beschloss vor drei Monaten, das Einwegverbot zu kippen (dies muss aber noch von der Abgeordnetenkammer bestätigt werden). Im gastronomischen Bereich soll erst ab 2028 eine Reuse-Option flächendeckend angeboten werden – ohne aber den Single-Use abzuschaffen. Dabei hatte Umweltminister Serge Wilmes zuvor eigentlich in einem Journal-Interview betont, dass er an den Zielen des Abfallgesetzes festhalten wolle; nur die Fristen würden nach hinten verschoben. Die frühere grüne Umweltminister Joëlle Welfring, die 2022 das Amt von Dieschbourg übernahm, hatte 2024 als Abgeordnete mehrere parlamentarische Anfragen zur Umsetzung der Abfall- und Take-Away-Politik des CSV geführten Ministerium gestellt. Dabei fielen die Antworten recht vage aus – insofern kommt die Friständerungen nicht überraschend.

Womöglich auch weil der Horesca-Sektor opponierte. Horesca-Generalsekretär Steve Martellini war diese Woche nicht für ein Gespräch erreichbar. Im RTL-Radio wurde jedoch bereits über ihre Kritik berichtet: „Bei der Horesca huet een sech gestouss, datt Supermarcheeën net betraff wieren; dat wier eng Concurrence Deloyale“, – Supermärkte könnten weiterhin Einwegverpackungen nutzen. Vor allem störte man sich, dass eine Alternative zu Pizzakartons ausgelotet wurde. Bisher gelten die herkömmliche Pizzakartons als ideal, um die Pizza warm zu halten sowie Feuchtigkeit zu absorbieren ohne durchzuweichen. Sie sind stabil, gut transportiertbar und vergleichsweise Kostengünstig. Aber ihr Schwachpunkt bleibt, dass die fettverschmierten Kartons schwer recyclebar sind. Mitte Oktober titelte RTL schließlich „Pizza-Kartronge gerett“. Bei einem Treffen zwischen dem Ministerium und den Horesca-Vertretern wurde festgehalten, „den Aus vum Pizzakarton ass vum Dësch“, wie RTL meldete. Man wolle sich nun auf die Sensibilisierung der Konsumenten über Valorlux konzentrieren.

Die Friständerung für die Reuse-Pflicht bei Events und Festen kommt ihrerseits überraschend. laut vorgeschlagener Gesetzesänderung soll sie von 2025 auf 2026 vertagt werden. Überraschend deshalb, weil sich in den vergangenen Jahren der Geschirr-und mobile Spüllanlagen-Verleih optimiert hat und seit 2023 bereits Einwegprodukte aus Plastik wie Teller und Besteck auf Events verboten sind. Seit 2019 unterstützt der Oekozenter-Pfaffental die Umsetzung von „Green-Events“. Letztes Jahr wurde gar ein Rekordjahr verbucht – 365 Vereine organisierten ihre Veranstaltungen nach ökologischen Prinzipen. Für unterschiedliche Formate wie dem E-Lake-Festival, Weihnachtsmärkten, Science- und Theaterfestivals wurden Konzepte erprobt. „Wir stehen den Veranstaltern beratend zur Seite und helfen ihnen beispielsweise Geschirr und Spüllanlagen-Verleiher zu finden. Viele Gemeinden stellen diese umsonst zur Verfügung“, erklärt Isabelle Schummers, Umweltberaterin im Ökozentrum. Wie im Horesca-Bereich bemängelten allerdings einige Organisatoren, einen erhöhten Arbeitsaufwand – wegen der Lagerung und des Kaufs von Mehrweggeschirr und anschließender Spülung, wie die Woxx schrieb. Schummers berichtet ihrerseits jedoch auch von motivierten Freiwilligen, die sich über fast leere Mülleimer an ihren Festen freuen. „Die Umstellung kann zeitintensiv sein. Aber sobald man weiß wie man sich logistisch aufstellen kann und Erfahrung hat, ist der Aufwand nicht mehr so groß“. In dem Woxx-Beitrag verdeutlichen, die Verantwortlichen von ECO-Conseil zudem, dass bei Green Events weniger externalisierte Kosten anfallen für die Entsorgung, das Recycling und Sammlung von Müll. Insofern rechne sich das Mehrwegprinzip zweifelsohne. Seit Oktober 2024 fallen die Beihilfen allerdings nicht mehr so üppig aus. Jeder Veranstalter kann nur noch einmal einen Zuschuss von 1 500 Euro beim Umweltministerium beantragen.

Als die Grünen ihre Vorschläge für Mehrwegverpackungen vorstellten, wollten sie zugleich ein neues Denken über Abfall vermitteln: Verpackungen, Plastikbehälter, Karton – sie sollten keine unnütze Ware mehr sein, sondern ein potenziell wertvolles Material, kurzum eine Ressource. Derzeit trifft dies nicht auf jede Verpackung zwangsläufig eine Ressource: „Ob Abfall eine Ressource ist, hängt vom Verarbeitungsgrad eines Materials ab“, sagt Tobias Wilhelm, Betriebsleiter bei Hein und studierter Geograph. Sandwich-Verpackungen, bei denen eine Kunststofffolie an Papier geklebt ist, landen zumeist in der Verbrennungsanlage – niemand macht sich die Mühe, beide Stoffe zu trennen, da dies zeit- und kostenaufwendig ist. „Das Gleiche gilt beispielsweise für Stühle, an denen Polster eingebaut sind“, so Wilhelm.

In Bech-Kleinmacher sortiert und konditioniert das Unternehmen Hein Papier, Karton, Glas, Kunststoffe sowie Baustellen- und Gewerbeabfälle. Leicht zu recyceln seien hingegen Waschmittelbehälter, Getränke- und Shampoo-Flaschen. Noch ergiebiger sei der Papiermarkt, „da es einfacher ist, Papier aus Papier herzustellen als aus einem Baum“. Je nach Kunststoff fällt die Rechnung jedoch anders aus: „Der Energieaufwand, um stark verarbeitete Plastikfolien zu recyceln, ist hoch. Anders ist das bei Polycarbonat, wie man es in den blauen Behältern von Wasser-Selbstbedienungsanlagen findet.“ Der Plastik-Recyclingmarkt hängt zudem von den Ölpreisen ab – sind diese hoch, kann die Wiederverwertung des Rohstoffs günstiger ausfallen. Es gibt Wilhelm zufolge allerdings einen besseren Weg, zur Marktregulierung als den Ölpreis: „Wenn die Politik die Recyclingfähigkeit von Materialien fördern würde, dann würde sich der Recyclingmarkt stabilisieren, weil die Nachfrage steigen würde.“ Von pauschalen Recyclingquoten ist er nicht überzeugt – auch weil es derzeit keine klaren Vorgaben für Verpackungsmaterial gibt. „Und man kann sich schon wundern, welche Farb- und Kunststoffarten die Hersteller gelegentlich verarbeiten.“ Das Umweltministerium beschwichtigt allerdings. Im Januar sei eine EU-Regulierung gestimmt worden, die ein Design for Recycling vorsehe und den europäischen Recyclingmarkt schrittweise harmonisieren wird.

Luxemburg mangelt es nicht an Plastik. Aus den neuesten Zahlen aus dem Jahr 2022 geht hervor, dass 63 562 Tonnen – also fast 100 Kilo pro Person – von Valorlux gesammelt wurden. Davon wurden etwas mehr als 24 000 Tonnen ins Ausland exportiert – größtenteils nach Italien, Deutschland, Frankreich und Belgien, wie Umweltminister Serge Wilmes in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der LSAP-Abgeordneten Claire Delcourt und Mars Di Bartolomeo erwähnte. Diese EU-Partner exportieren wiederum einen Teil davon in Länder außerhalb der OECD – also in Staaten mit einer weniger strengen Handhabung von Müll. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass ein Anteil davon in den Ozeanen landet. Seit 2024 setzt sich der Umweltminister nun jedoch gegen den Export von Plastik außerhalb OECD-Länder ein und für neue Recyclinganlagen in Europa. In einer Erhebung von 2023 wurde zudem festgehalten, dass von den 163 Kilo Hausmüll die jeder Einwohner im Schnitt verursacht, die Hälfte eigentlich nichts in der schwarzen Tonne verloren hatte, sondern kompostierbarer oder recycelbarer Stoff war.

Umweltminister Serge Wilmes hatte diese Woche keine Zeit, um sich mit dem Land über seine Herangehensweise im Abfall-Bereich auszutauschen. In der Umwelt-Kommission hat er darüber hinaus noch nicht über die Abänderungen im Abfall-Gesetz diskutiert. Sein Fokus liege derzeit auf dem Naturschutzgesetz. Die kontaktierten Oppositionsparteien, erleben noch immer einen leicht „genervten“ Umweltminister und der lieber seinen Beamten das Wort überlasse (vgl. d’Land 28.06.2024). Ob „der Umweltminister in dieser Regierung nicht viel zu vermelden“ habe, wollte der Journalist Christian Block wissen. Denn in der CSV-DP-Regierung stünden andere Minister im Vordergrund. „Solch provokativen Aussagen beeindrucken mich in keinster Weise“, antwortete Wilmes. Er brauche noch Zeit, um sich einzuarbeiten. Außerdem habe er bereits eine Reihe an Entscheidungen getroffen: Für den Logementsesch habe er das Ausgleichmaßnahmenkonzept „Natur auf Zeit“ vorgelegt. 

Mit dem Umwelt-Immobilien-Konnex wird Wilmes allerdings kaum auffallen, da er dabei ein Anhängsel eines größeren Regierungsprojekts bleibt. Um als eigenständiger Gestalter hervorzutreten, würden sich couragierte Aussagen zur Abfallpolitik besser anbieten. Immerhin verlautbarte der CSV-Politiker letztes Jahr in einem RTL-Interview, sein Ministerium solle nicht mehr „als Verhinderungsministerium, sondern als Gestaltungsministerium“ betrachtet werden. Anders als Elektroautos oder Atomkraftwerke ist Recycling- und Müllpolitik überdies kein ideologischer Spalter (es sei denn, RTL will einen Kulturkampf rund um Pizzakartons ausrufen). Life in Plastic, It‘s Fantastic ist kein Konsens. Bilder von Meeresschildkröten, deren Köpfe von Plastiktüten umhüllt sind, oder Meeresvögeln, deren Hälse von Plastikringen zerdrückt werden, findet kaum jemand ermunternd. Hinzu kommen regelmäßige Berichte über die schädlichen Auswirkungen von Mikroplastik: Es kann Entzündungsreaktionen im Körper auslösen und den Hormonhaushalt stören. Werktags dürfte sich eine mobile Arbeitnehmerschaft freuen, sich in ihrer Mittagspause der forcierten Ressourcenverschwendung von Lieferdiensten zu entziehen.

Im Mai wird eine Pressekonferenz stattfinden, dann werde man mehr erfahren, heißt es aus dem Ministerium. Bis dahin wird sich das Meco kaum begeistert von der Aufweichung des Einweg-Verbots zeigen. In Deutschland habe das Bring-Your-Own-Box-Projekt gezeigt, dass nur wenige daran denken, eine Essensbox einzupacken. Und die Restaurantbranche ihrerseits werbe selten mit Mehrwegbehältern, wie in Ökotopten, ein Ratgeberprojekt vom Meco nachzulesen ist. Es bedürfe verbraucherfreundliche Angebote – wie eines Pfandsystems mit vereinfachten Rückgabemöglichkeiten, Wie man das gestalten kann, damit hat sich das Berner Unternehmen Recircle befasst. „Um unsere Behälter zu nutzen, bedarf es keiner App, keines speziellen Scans oder einer Anmeldung – man bezahlt das Pfand ganz einfach an der Kasse“, erklärt eine Mitarbeiterin am Telefon. Mittlerweile haben sie 2 300 Partner, davon 1 700 in der Schweiz, der Rest befindet sich über Europa verteilt. Um der Gastronomie den Umstieg auf wiederverwendbare Behälter zu erleichtern, biete man Schulungen sowie ein Starter-Paket an. Das Lager von Recircle befindet sich in Luxemburg, es liege „somit zentral, um an westeuropäische Partner zu liefern.“ Obwohl es hier einen Standort hat und als ältester Mehrweg-Dienstleister über viel Erfahrung verfügt und offen ist diese zu kommunizieren, fand mit luxemburgischen Behörden noch kein Austausch statt, heißt es aus Bern. Ein Beamter des Umweltministeriums erläutert, es sei nicht die Aufgabe seiner Institution, den Horesca-Sektor mit privaten Anbietern in Kontakt zu bringen.

Aber sind die Mehrwegbehälter auch wirklich ökologischer? Die Behälter von Recircle seien es ab einer Nutzung von 12 Mal, je nach Vergleichsstoff. „Da wir mit hochwertigen Materialien arbeiten, können unsere Tassen und Boxen bis zu 400 Mal genutzt werden“, richtet die Mitarbeiterin aus. Eine Auswertung hätte ergeben, dass ein Nutzer das Geschirr im Schnitt 70 Mal verwendet. Positives Feedback komme auch von Städten und Gemeinden: Die Kosten für die Abfallentsorgung können durch Pfandsysteme gesenkt werden. Ein Vorteil für Steuerzahlerp.

Stéphanie Majerus
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