Waris Diries Geschichte vom kleinen Nomadenmädchen, das aus der somalischen Wüste fortläuft, um es in der westlichen Welt zu Ruhm und Erfolg als Fotomodell und dann als Uno-Botschafterin im Einsatz gegen die weibliche Genitalverstümmelung zu bringen, ist spätestens seit ihrer Autobiografie Desert Flower bekannt. Nun wurde ihr Leben auf der Basis des Buches verfilmt – und mit Spannung erwartet. Schließlich ist sowohl das Schicksal dieser außergewöhnlichen Frau an sich fesselnd, als ihr Kampf gegen das Unrecht der Beschneidung beeindruckend.
Der Film ist all dies leider nicht. Vor allem Diries Persönlichkeit und ihre Entwicklung kommen unter der Regie von Sherry Hormann um einiges zu kurz. Lässt sich im Buch eine durchaus starke und kämpferische Frau erkennen, die ihr Leben ab 13 selbst gegen alle Widernisse in die Hand nahm, so ist die Waris im Kino ein blasser Charakter. Von dem Mädchen, das vor der Heirat mit einem 60 Jahre alten Mann fort und tagelang durch die Wüste läuft, das es durchsetzt, als Hausmädchen nach London mitgenommen zu werden, von der jungen Frau, die sich Lesen und Schreiben ertrotzt und mühsam Englisch lernt – von diesem entschlossenen Wesen ist nichts übrig geblieben. Hormanns Waris wirkt wie ein naiv-dümmlicher Bauerntrampel, der unbeholfen durchs Leben stolpert.
Ob das nun gewollt ist oder schlicht daran liegt, dass die Darstellerin Liya Kebede, die in Waris Diries Rolle schlüpft, keine Schauspielerin sondern nur schön ist, sei dahingestellt. Am Eindruck ändert das nichts. Es ist bemerkenswert ungeschickt, gerade die Hauptfigur mit einer solch flachen Frau zu besetzen – bei anderen Rollen hatte man da schon mehr Glück. Besonders Sally Hawkins als Waris’ widerspenstige Freundin, Timothy Spall als Fotograf und Waris‘ Entdecker und Juliet Stevenson als Agenturchefin machen ihre Sache um Häuser besser – was die Diskrepanz natürlich nur verstärkt und den Streifen noch unausgewogener macht.
In einem reinen Fiktionsfilm wäre die Figur der Agenturchefin, die so herrlich akzentvoll und blasiert französisch parliert, eine Bereicherung – hier kann man jedoch an der Berechtigung zweifeln, denn in Waris Diries Memoiren kommt diese Person so einfach nicht vor. Hier grenzt es an „Geschichtsfälschung“. Im Film wird behauptet, Dirie wäre ihr an die 10 000 Pfund schuldig, die sie abarbeiten müsste, und deshalb hätte sie sich für den Pirelli-Kalender nackt fotografieren lassen. Die Wirklichkeit sieht anders aus – der Kalender war ihr erster Auftrag und moralische Bedenken hatte sie bald keine mehr.
Überhaupt glaubt Hormann, die ohnehin schon ereignisreiche Geschichte noch aufmotzen zu müssen. Mit Episoden und Figuren, die sich in Waris eigener Lebensschilderung nicht finden lassen. Andrerseits verkürzt sie Figuren und Ereignisse. Und verewigt sich in Liya Kebedes Gesicht. Resultat? Es bleibt kaum Zeit für das wirklich Wichtige. Für Diries Anliegen – den Kampf gegen die Genitalverstümmelung – bleiben dann vielleicht noch zehn, höchstens 15 Minuten.
Zum Voice-Over von Diries‘ Schilderung ihrer Beschneidung sieht man die Mutter die dreijährige Tochter (in der Realität war sie fünf) in die Wüste tragen. Die Beschneiderin mit dem Antlitz einer Hexe kommt auf die beiden zu, dem Mädchen werden die Beine auseinandergezwängt. Das Kind weint herzzerreißend. Und zwar tatsächlich. Man sieht hier genau, dass dieses kleine Mädchen richtig Angst hat. Das ist nicht gespielt. Heiligt der Zweck der Aufklärung, der Sensibilisierung solche Mittel? Hier hätte man andere filmische Mittel finden müssen, um das Grauen zu verdeutlichen, ohne eine Dreijährige zu quälen.
Man muss dem Film wirklich ankreiden, dass der einzige starke, gute und wichtige Moment erst in der letzten Szene kommt – als Waris Dirie vor der Uno eine berührende Rede über das Unrecht hält, das Millionen von Frauen seit ewigen Zeiten und auch heute noch 6 000 Mal täglich angetan wurde und wird. Hätte man diese Szene an den Anfang gestellt, hätte der ganze Film eine völlig andere Bedeutung und Wendung erhalten. Und den von Waris Dirie erhobenen Anspruch erfüllt.