Wer auswandert, ist in der Regel auf der Suche nach neuen Chancen, einem besseren Leben. Rein materiell mögen sich diese Hoffnungen auch des Öfteren bestätigen – doch wie sieht es mit dem eigentlichen Glück aus? Mit der Erfüllung in Liebe und Freundschaft? Und kann man das Gepäck der eigenen Geschichte hinter sich lassen?
Der niederländische Regisseur Ben Sombogaart versucht, in der Samsa-Koproduktion Bride Flight (Teile wurden in Luxemburg gedreht) genau diesen Fragen auf den Grund zu gehen, wenn er die Geschichte von vier jungen holländischen Emigranten erzählt, die sich 1953 ins viel versprechende Neuseeland aufmachen. In genau jenem KLM-Flugzeug, das damals das Wettfliegen nach Christchurch gewonnen hat. Der Siegerflug wurde unter dem Namen „Bruidsvlucht“ bekannt, weil die meisten Passagiere junge Frauen waren, die mit schon emigrierten Holländern verlobt waren. So auch Esther, Marjorie und Ada. Sie lernen sich und den jungen Farmer Frank auf dem Flug kennen.
Recht bald wird klar, dass man der Vergangenheit nicht entfliehen kann. Am ehesten schafft das noch Frank. Er stirbt rund 50 Jahre später als Junggeselle und wohlhabender Winzer. „I am a happy farmer“ sind seine letzten Worte nach der Verkostung seines neuen Weines. Aber war er wirklich glücklich? Beim Begräbnis treffen die Frauen – nun in ihren 70-ern – wieder aufeinander. In Rückblenden erfahren wir ihre Geschichten. Was damals in den ersten zehn Jahren in der neuen Heimat passiert ist, verstrickt sie ein Leben lang und darüber hinaus.
Bride Flight hätte ein dichter, intensiver Film werden können, ließe sich der Regisseur nicht zu viel Zeit. Zwanzig Minuten weniger hätten dem Werk ganz gut getan. Manche Szenen kostet er leider so sehr aus, dass man die Geduld verlieren kann – eine Tatsache, die auch den Schauspielern schadet. Die machen ihre Sache eigentlich sehr gut, werden in ihrer Kunst jedoch durch ewig lange Kameraanalysen beeinträchtigt. Dabei sind hier jung und alt – Elise Schaap/Petra Laseur (Marjorie), Karina Smulders/Pleni Touw (Ada), Anna Drijver/Willeke van Ammelroy (Esther) und Waldemar Torenstra/Rutger Hauer (Frank) – im Aussehen treffend und passend zur Rolle besetzt.
Dennoch weckt Sombogaart die Neugier des Zuschauers. Man will wirklich wissen, wie sich die Schicksale der vier entwickeln. Der genaue Blick, den er auf die Menschen, in ihre Psyche, auf ihre Sorgen, ihre Nöte, ihre Ängste – und ihre Freuden wirft, bringt dann doch etwas Spannung. Außerdem demonstriert er das Offensichtliche – dass man nämlich seiner Vergangenheit nicht einfach so entfliehen kann, indem man auswandert – mit Fingerspitzengefühl und vor den Realitäten der 50-er Jahre.Esther wird in Neuseeland zwar eine erfolgreiche Modeschöpferin. Die Holocaust-Vergangenheit lässt sich dennoch nicht abschütteln. Die naive Ada bringt ebenfalls schweres Gepäck mit. Das neue Land bedeutet für sie keine Befreiung, sondern im Gegenteil noch engere Grenzen in einer abgeschotteten Gemeinde, die Ada in ihrer fanatisch-religiösen Unbarmherzigkeit strengen Regeln unterwirft, aus denen es kein Ausbrechen gibt – oder doch? Nur Marjorie scheint rundum glücklich, bis sie zur Kenntnis nehmen muss, dass sie den von zu Hause mitgebrachten Ansprüchen an das Leben einer guten Ehefrau nicht gerecht werden kann.
Bewegend ist Bride Flight trotz der Längen. Nicht zuletzt, weil es gekonnt gefilmt ist. Auch so manch origineller dramaturgischer Effekt lässt sich entdecken – etwa in einer Szene, die ein jungverheiratetes Paar in der ersten Nacht zeigt. Die Musik des Luxemburgers Jeannot Sanavia begleitet die gespannte Erwartung der Frau, setzt aus, als der Mann zögert, erklingt wieder. In solchen Momenten kann man sich im Geschehen verlieren – genauso wie in den wundervollen Bildern der faszinierenden neuseeländischen Landschaft.