Für Wladimir Putin war das 29. Treffen mit den Spitzen der Europäischen Union nicht mehr als ein Pflichttermin in turbulenter Zeit. Die wichtigen Termine liegen vorher und nachher. Vorher, das war sein Antrittsbesuch als neuer Präsident der Russischen Föderation zuerst bei Angela Merkel und dann bei François Hollande. Nachher, das war seine Reise nach China, zu der er unmittelbar nach dem Gipfeltreffen mit der EU aufgebrochen ist. Putin wirkte denn auch noch mehr als sonst wie eine Mischung aus Sphinx und Ölgötze und schien die ganze Prozedur dieses theoretisch hochkarätigen Treffens leicht amüsiert über sich ergehen zu lassen. Es war deutlich spürbar, dass der Stellenwert der Europäischen Union in russischen Augen in den aktuellen Krisen spürbar gesunken ist.
Kommissionspräsident Barroso, Ratspräsident Van Rompuy und „EU-Außenministerin“ Catherine Ashton können in der derzeitigen Konstruktion der Europäischen Union nur so stark sein, wie es ihnen der Europäi-sche Rat zugesteht. Sie haben keine eigene politische Machtbasis, das weiß Putin ganz genau. Auch Kommissionspräsident Manuel Barroso weiß es. Von Moskau flog er direkt nach Berlin, um Angela Merkel zu treffen, um den nächsten Europäischen Rat vorzubereiten. Sein Bericht aus Moskau lief unter Interna, vor der Presse äußerten sich beide nur zur Eurokrise. Damit hat es vor allem Angela Merkel verpasst, den Unionsspitzen den Rücken gegen-über Russland zu stärken.
Das ist ein schlechtes Zeichen. Die europäische Politik gegenüber Russland befindet sich in einer Sackgasse. In der Öffentlichkeit ist Syrien das größte Problem. Die bedingungslose Unterstützung Assads weist jedoch weit über den syrischen Bürgerkrieg hinaus. In ihr spiegelt sich russisches Machtdenken in reinster Form. Das drückt sich auch in der beharrlichen Weigerung Russlands aus, die Energiecharta zu unterzeichnen, die beide Partner auf transparente Regeln und Verlässlichkeit verpflichten würde. Diese Weigerung ist denn auch der Hauptgrund für das Zögern der EU, Russland in Visafragen allzu weit entgegenzukommen.
Die Europäer wissen nicht recht, wie sie mit dem Land umgehen sollen, das, wenn es keinen revolutionären Umsturz gibt, noch mindestens bis 2018 von Putin regiert werden wird. Putin werden bisher keine diktatorischen Allüren nachgesagt. Das dürfte aber vor allem daran liegen, dass er auch so recht ungeniert herrschen kann und deshalb eine offene Diktatur gar nicht nötig hat. Seit Monaten zieht er langsam, aber sicher die Daumenschrauben an. So sehr, dass am Tag des Gipfeltreffens neun von 38 Mitgliedern, alles bekannte Menschenrechtler, unter Protest aus dem offiziellen Gremium zur Entwicklung der Zivilgesellschaft zurückgetreten sind.
Die EU weiß natürlich um diese Entwicklung. Ihre Probleme mit Russland rühren daher, dass sie mit dem Land nicht aus einer Position der Stärke verhandeln kann. In der Abschlusserklärung von Barroso nach dem Gipfel findet sich denn auch kein direktes Wort zu Demokratie und Menschenrechten, in einer Diskussion im russischen Fernsehen hatten Van Rompuy und der Kommis-sionspräsident weniger Probleme, offen darüber zu reden und eine demokratische Entwicklung einzufordern.
Die Europäische Union ist doppelt von Russland abhängig. Zum einen bei der Energie, zum anderen bei der Sicherheit. In der Energiefrage steht die Nabucco-Pipeline wahrscheinlich vor dem Scheitern, die den Gastransport aus Zentralasien von russischen Pipelines unabhängig machen sollte. In der Sicherheit hat die EU in Russland nach wie vor einen Nachbarn, der mit den USA über das größte Nuklearwaffenarsenal verfügt. Solange Russland keine stabile Demokratie ist, gibt es keinen Grund, dem Land zu vertrauen. Welchen Werten und Interessen sich die russische Außenpolitik verpflichtet fühlt, sieht man aktuell an ihrer Syrienpolitik. Die russische Argumentation gegen die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Europa läuft darauf hinaus, dass das Land jede Technologie verhindern will, die das Potenzial hat, längerfristig die russische Erstschlagkapazität zu reduzieren.
Konfrontation aber ist eine Milchmädchenrechnung. Russland braucht die EU zur wirtschaftlichen Entwicklung genauso wie die EU Russland als Energielieferant. Ökonomen sprechen schon seit ein paar Jahren davon, dass sich Russland nicht wegen, sondern trotz Putin wirtschaftlich entwickelt. Anna Politkowskaja beschrieb 2005 Putins Russland als Konglomerat aus mafiosen Unternehmern, den Rechtsschutzorgangen, der Justiz und der Staatsmacht. Damit lässt sich auf Dauer keine florierende, innovative Wirtschaft aufbauen. Russland mag genug Ressourcen haben, um eine reiche Oberschicht zu mästen, den Sprung zu einer auf Weltniveau konkurrenzfähigen Wirtschaft außerhalb von Gas und Rohöl schafft es definitiv nicht aus eigener Kraft.
Merkel und Hollande handeln kurzsichtig, wenn sie glauben, sie könnten mit Russland bilateral besser zurechtkommen. Man darf sich von Putin nicht bange machen lassen und muss ihm mit fester Haltung gegenübertreten. Stark sind die Europäer nur gemeinsam. Russland darf nicht die Möglichkeit gegeben werden, die einzelnen EU-Länder gegeneinander auszuspielen. Cameron, Hollande und Merkel müssen Ashton, Barroso und Van Rompuy öffentlich und demonstrativ zeitnah zu den EU-Russlandtreffen den Rücken stärken. Das europäische Ziel muss immer ein demokratisches Russland sein. Dies ist hoffentlich nicht so fern, wie es im Moment den Anschein hat