Dass Raymond Wagener in seinem Büro Wissenschaftler aus dem Forschungszentrum Ceps-Instead empfängt, ist eigentlich nicht ungewöhnlich. Wagener ist Direktor der IGSS, der Generalinspektion der Sozialversicherung, und die zählte schon immer zu den wichtigsten Auftraggebern des Instituts mit dem langen Namen „Centre d’études de populations, de pauvreté et des politiques socio-économiques“.
Seit einem Monat aber ist Wagener PDG des Ceps, Verwaltungsratspräsident und Direktor in Personalunion. Mit Forschern trifft er sich auch vor Ort, in dem leuchtend roten Hochhaus von RBC-Dexia in Belval, wo das Sozialforschungszen-trum seit 2010 seinen Sitz hat. Denn das vor 34 Jahren von Gaston Schaber gegründete Institut befindet sich in einer Krise, die so tief reicht, dass sich die Frage stellt, wie es überhaupt weitergeht und wie die akademische Zukunft des Zentrums, das immerhin über 130 Mitarbeiter zählt, aussehen soll.
Die Krise hat einerseits einen finanziellen Aspekt: In letzter Zeit erhielt der Ceps-Verwaltungsrat von der Direktion des Instituts am Jahresanfang stets Budgets vorgelegt, in denen ein Defizit schon eingeplant war. Das lag zwar auch an dem neuen Domizil im roten Hochhaus in Belval, wo die Miete mehr kostet als am alten Standort gleich neben dem Stahlwerk in Differdingen. Vor allem jedoch legte das Ceps enorm an fest angestellten Mitarbeitern zu, nachdem die Regierung im Zuge der Lissabon-Agenda beschlossen hatte, die Forschung massiv zu fördern. Zwar öffnete sie über allen Einrichtungen den Geldhahn. Doch weder die drei Centres de recherche publique noch die Uni gingen derart großzügig mit CDI-Verträgen um wie das Ceps: Wie Forschungsminister François Biltgen (CSV) Anfang März auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärte, haben sieben von zehn Ceps-Mitarbeitern eine Festanstellung.
Das wäre nicht weiter schlimm, würden dem Resultate gegenüber stehen. Doch als im Auftrag des Ministeriums im Herbst 2010 von internationalen Gutachterteams die ersten Evaluationen der Forschungszentren vorgenommen wurden, hieß es im Bericht über die größte Ceps-Abteilung, die sich mit Sozialforschung befasst, es mangele ihr zum Teil an wissenschaftlichem Niveau, auf jeden Fall an interner Kommunikation und dem Ceps überhaupt an einer Entwicklungsstrategie. Mittlerweile liegt schon die nächste Evaluation vor – sie ist zwar noch nicht publik, dem Vernehmen nach aber kaum besser ausgefallen. Nun soll ein Beratungsunternehmen im Auftrag des Verwaltungsrats mit einer Stärken-Schwächen-Analyse klären, wie sich das Institut positionieren soll.
Andererseits ist die Krise eine Führungskrise – vermutlich vor allem sogar. Immerhin geht der Auftrag an den Berater so weit, dass er alles in Frage stellen darf, was im Ceps bisher als Arbeitsschwerpunkte galten und was es sich bislang an Strategie gegeben hat. Auch jene, die der Verwaltungsrat Ende 2010 auf die wenig erfreuliche erste Evaluation hin verabschiedete. Sie sieht vor, die drei Forschungsachsen im Haus – die Sozial- und Arbeitsmarktforschung, die Forschung an der Innovationstätigkeit der Unternehmen und schließlich Geografie und Landesplanung im Kontext der Großregion – weiter zu profilieren. Auf der Basis dieser Strategie soll das Ceps im Rahmen eines Leistungsvertrags mit dem Staat in den Jahren 2011 bis 2013 insgesamt 30,45 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln erhalten – davon 2,25 Millionen Zuschuss für die Miete im roten Hochhaus.
Und immerhin ist es laut einem Gesetz von 1989, das das einstige Institut für Armutsforschung in den Rang eines Forschungszentrums mit Spezialstatut beim Staatsministerium hob, nicht die Direktion, die strategische Entscheidungen trifft, sondern der Verwaltungsrat. Mehr noch: Der Ceps-Direktor ist dem Verwaltungsrat klar untergeordnet. Weil dem aber Delegierte mehrerer Ministerien angehören und auch ein vom Forschungsminister beauftragter Regierungskommissar, ist es eigentlich erstaunlich, dass bisher so wenig Strategiebildung am Ceps erfolgte, wenn es gleichzeitig um ansehnliche Summen aus dem Staatshaushalt ging. Über den ersten Leistungvertrag erhielt das Ceps zwischen 2008 und 2010 über 25 Millionen Euro aus der Staatskasse.
Doch auf so etwas wie „wissenschaftliche Exzellenz“ wird vom Forschungsministerium gegenüber dem Belvaler Institut erst seit ein, zwei Jahren nachdrücklicher gepocht. Seitdem steht die Frage im Raum, welches Verhältnis „Forschung“ und „Politikberatung“ zueinander haben sollen. Denn tatsächlich ist das Ceps nicht auch für Ministerien und Verwaltungen tätig, sondern größtenteils. Das erkennt man schon daran, dass es von 2008 bis 2010 zusätzlich zu den 25 Millionen Euro staatlicher Basisdotation für sein Budget noch Autragsforschungsaufträge mit Regierungsstellen im Gegenwert von über neun Millionen Euro einwarb – 300 000 Euro mehr als geplant und über eine Million mehr, als im selben Zeitraum das wesentlich größere CRP Gabriel Lippman einwerben sollte, das im Bereich Umwelt-, Wasser- und Agrarforschung ebenfalls viele Staatsaufträge erledigt.
Dass so viel Arbeit für den Staat es Staatsvertretern im Verwaltungsrat nicht ohne Weiteres nahe legte, das Tun des Instituts grundsätzlich in Frage zu stellen, dürfte eine Seite der Führungskrise am Ceps sein. Eine andere kam Anfang März zum Vorschein. Ein paar Wochen vorher hatte der damalige Direktor Pierre Hausman drei Mitarbeitern ihre Entlassung mitgeteilt. Begründet wurde das auch ökonomisch: der Personalabbau sollte die Finanzlage des Instituts verbessern. Die Ankündigung schlug jedoch Wellen im Verwaltungsrat. Dort wollte nicht jeder die Entlassungen mittragen, und manche machten Front gegen Hausman. Als der sich so viel Opposition gegenüber sah, trat er die Flucht aus dem Institut an und das Ceps teilte knapp mit, der Direktor habe sich zum 1. März pensionieren lassen.
Dass es zu einer solchen Konfrontation zwischen Direktor und Verwaltungsrat kommen konnte, wäre wiederum erstaunlich, hätte jener lediglich die Rolle gespielt, die das Gesetz ihm zuschreibt. Doch Hausman war Weggefährte Gaston Schabers und hatte mit diesem das Ceps gegründet. Schaber wiederum hatte auch durch seine ausgezeichneten Kontakte zur Politik dem Ceps zum Sonderstatus verholfen und das Institut wie ein Patriarch geführt. Noch als er längst nicht mehr Verwaltungsratspräsident war, nahm er noch an den Sitzungen teil und tolerierte nur mit Mühe, wenn einer etwas sagte, das ihm nicht gefiel. Nach Schabers Tod 2010 gab es zwischen Hausman und dem Verwaltungsrat immer wieder Streit um die Führung des Ceps. Zu viel Einmischung verbat Hausman sich. Fragen nach den vielen unbefristeten Anstellungen beantwortete er mit dem Hinweis, er kämpfe gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft. Georges Schroeder, Verwaltungsratspräsident bis vor fünf Wochen, versuchte die Gratwanderung, einerseits zwischen Hausman und dem Verwaltungsrat zu vermitteln, den Direktor andererseits in der Pflicht zu halten, das Institut strategisch auf einen guten Kurs zu bringen.
Dass nach dem Weggang des Schaber-Weggefährten die Zusammenarbeit im Verwaltungsrat und mit dem neuen PDG Raymond Wagener ruhig und konstruktiv verläuft, deutet darauf hin, dass es offenbar darauf ankam, dass auch der letzte Akteur, der an Übervater Schaber erinnerte, die Bühne des Ceps verließ. Schroeder, der krankheitsbedingt die Ratssitzungen schon seit Anfang Februar nicht mehr leiten konnte und von dem Krach um die drei Entlassungen nichts wusste, demissionierte sofort, als er davon erfuhr, um Platz für einen neuen Präsiden-ten zu machen. Damit endete auch ein Stück CSV-staatlicher Forschungspolitik, und das Ceps ist in der Normalität angekommen.
Gesucht wird jetzt, und zwar mit Priorität, ein Finanzdirektor. Jemand, der dem Verwaltungsrat zum ersten Mal schlüssig darlegt, welchen finanziellen Spielraum das Institut hat; der Regeln zur Finanzierung von Forschungsprojekten definiert und überhaupt eine ganze Finanzpolitik für das Haus entwirft. Auf die Suche nach einem Generaldirektor wird sich der Ceps-Verwaltungsrat demnächst ebenfalls begeben. Das Profil ist schon erstellt und eine Headhunting-Firma engagiert: Der Kandidat sollte Universitätsprofessor der Sozialwissenschaften oder Wirtschaftswissenschaftler mit sozialem Hintergrund sein, bewährter Forschungsmanager und ausgewiesener Forscher, und er sollte gerne auch eine Lehrtätigkeit an der Uni Luxemburg übernehmen.
Das wiederum führt zu der nicht ganz einfachen Frage, wie sich das Ceps gegenüber den anderen in der Sozial- und Wirtschaftsforschung tätigen Instutionen aufstellen sollte: gegenüber dem Statec, der vor einem Jahr eine Forschungsmission erhalten hat, gegenüber der Zentralbank und gegenüber der Universität. Und ein wenig auch gegenüber dem CRP-Santé, dessen Abteilung für Gesundheitsforschung nicht nur in der Gesundheitsökonomie tätig ist, sondern auch in der bevölkerungsbezogenen Gesundheitsforschung, mit der die vierköpfige Ceps-Forschungsgruppe „Santé“ sich seit drei Jahren ebenfalls beschäftigt.
Empfehlungen dazu soll bis Anfang kommenden Jahres die Beraterfirma liefern, aber ein paar Prämissen stehen schon fest. Sie kommen vom Forschungsminister, der klargestellt hat, das Ceps werde nicht zerlegt. Jedenfalls so lange nicht, wie die Empfehlungen der Berater vorliegen und über sie disutiert wurde. Im Ceps-Verwaltungsrat waren solche Szenarien schon zirkuliert: etwa, dass die kleine Abteilung, die die Innovation und die Organisa-
tion in Unternehmen untersucht, dem Statec zugeschlagen werden könnte, die Gruppe „Santé“ dem CRP-Santé, und die Abteilung für Geografie und Landesplanung vielleicht der Uni, wo sich ein solcher Forschungszweig ebenfalls im Aufbau befindet. Eine ganz maximalistische Idee ging so weit, all jene Ceps-Bereiche, die Daten sammeln, zum Statec zu geben, und alles was „Analyse“ ist, zur Uni. Dann hätte das Ceps zu existieren aufgehört.
Vorerst sind solche Sandkastenspiele vom Tisch, und der PDG für die Übergangszeit, der nicht nur die Unterstützung des Ministers genießt, sondern auch die von Verwaltungsratsmitgliedern aus mit dem Ceps konkurrierenden Institutionen, kümmert sich um eine weitere Priorität: die Personalpolitik. Raymond Wagener trifft nicht zuletzt junge Wissenschaftler; solche, die beim Ceps befristet unter Vetrag stehen und über deren Perspektive demnächst entschieden werden müsste. Eigentlich ist für neue Festanstellungen nicht unbedingt das Geld da. Andererseits jedoch kann das Institut es sich gerade jetzt, in seiner ersten großen Existenzkrise, nicht leisten, auf gute Leute zu verzichten. Ein Stück weit beginnt die Strategiebildung schon jetzt.