Der Staat will Personalkosten sparen. Die Kürzungen treffen nicht nur Staatsbeamte, sondern auch viele freiwillige, lebensrettende Helferinnen und Helfer

Die Retter schlagen Alarm

d'Lëtzebuerger Land vom 19.07.2013

Als erste empörten sich die Lehrergewerkschaften Apess und SEW. 25 Prozent weniger, so hatte die schwarz-rote Koalition geplant, sollten Lehrkräfte künftig erhalten, die neben der Schule noch in Examensjurys Abschlussarbeiten angehender Lehrer korrigierten oder in Programmkommissionen über neue Lehrpläne berieten. Die Gewerkschafter rechneten vor: Ein Viertel weniger Aufwandsentschädigung, dann würden die Betroffenen für die Sitzung einer Programmkommission, die sonst mit 44 Euro veranschlagt war, nur noch 16,50 Euro Stundenlohn für das rund zweistündige Engagement erhalten.

Nicht mit uns, sagten sich die Lehrervertreter, und sie schrieben flugs einen Brief an die Unterrichtsministerin, in dem sie gegen die Pläne protestierten. Das war im Februar, da hatte der Regierungsrat die Kürzung aber längst beschlossen, in der Hoffnung, so Personalkosten beim Staat einsparen zu können. Die Gewerkschaften ließen nicht locker und schickten eine Kopie ihres Briefes an den Regierungsrat, genauer gesagt an Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV). Darin verurteilten sie die Kostensenkungen scharf. Sie seien ungerecht und diskriminierend, schließlich seien hauptsächlich die Lehrer betroffen.

In seiner Antwort erklärte der Premierminister: Beschlossen worden war die Kürzung eigentlich schon im September 2012, als die Minister in Vorbereitung des Haushaltsentwurfs 2013 händeringend auf der Suche nach Einsparmöglichkeiten für den hoch verschuldeten Staat waren. Der Haushalt sei in einem „contexte économique et financier très difficile“ entstanden und die Regierung habe damals „une serie des mesures de consolidation dont celle de réduire les frais de fonctionnement“ beschlossen. Schrieb der Premier, der den Vorwurf der Diskriminierung zurückwies und mit „Hochachtungsvoll“ unterschrieb.

Weil die meisten Lehrer, die in den Programm- und Examenskommissionen sitzen, ohnehin ein monatliches Netto-Gehalt von 4 000 Euro und mehr nach Hause tragen, war das Verständnis der Öffentlichkeit für die Empörung der Gewerkschaften nicht sehr groß. Die Medien meldeten den Sachverhalt, dann geriet die Sache schnell wieder in Vergessenheit.

Doch ausgestanden ist sie deshalb noch lange nicht. Vielmehr scheint die Protestwelle erst richtig ins Rollen zu kommen. Denn es sind beileibe nicht nur Staatsbeamte betroffen, die in Kommissionen sitzen und dafür Sitzungsgelder erhalten. Auch ehrenamtliche Kommissionsmitglieder und Mitglieder von Examensjurys bekommen weniger Geld. Zum Beispiel Prüfer des Zivilschutzes.

Am 3. Juli bekamen sie es von der Ministerin für den öffentlichen Dienst Octavie Modert schwarz auf weiß: Besagte Regelung gilt ab dem 1. Juli auch für sie. Eine interne Rechnung aus der Administration des services de secours, zuständig für die in 24 Rettungsdienste im ganzen Land aktiven rund 2 000 ehrenamtlichen Sanitäter sowie rund 5 500 Feuerwehrmänner und -frauen, rechnet vor, was das für einen finanziellen Einschnitt für viele bedeutet: Statt der bisherigen 23,10 Euro pro Rettungsdienst-Prüfung (auf Luxemburgisch) bekommen die Prüfer nur noch 17,33 Euro. Dabei kann eine Prüfung eine Stunde und länger dauern, und die Teilnehmerzahlen schwanken zwischen zehn und 50 – ohne dass dies in der Aufwandsentschädigung berücksichtigt wird. Für Tests, die in Französisch, Englisch oder Portugiesisch durchgeführt und korrigiert werden, gibt es 21,68 Euro statt wie bisher 28,90 Euro. Auch die Entgelte für die über mehrere Wochenenden verteilten Unfallhilfeseminare sinken: von zuvor 106,06 Euro auf 79,55 Euro.

Kaum war der Inhalt des von Modert unterzeichneten Rundschreibens bei den Betroffenen durchgesickert, meldeten sich die ersten Ehrenamtlichen zu Wort. In zornigen E-Mails kündigten viele an, für den Preis die Arbeit nicht mehr machen wollen. „Das ist ein Hohn“, ist ein Satz, der häufiger fällt. Einige Unfallhilfeschüler müssen nun auf ihre Testergebnisse warten, weil die Prüfer ihre Korrekturarbeit spontan niedergelegt haben. „Wir bekommen immer den dritten Preis“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

„Ich kann sie verstehen“, sagt Michel Feider, Direktor der Rettungsdiensteverwaltung. Anders als viele Staatsbeamte, die ihre Kommissionssitzungen nicht selten innerhalb ihrer Arbeitszeit absolvieren, müssen die Ehrenamtlichen die Arbeit nebenher machen. Die meisten von ihnen korrigieren die Prüfungen am Wochenende oder nach Feierabend in den Abendstunden. „Je nachdem, wie viele Prüfungen zu korrigieren sind, bleibt ein Stundenlohn von sechs Euro“, erklärt Feider.

Kein Wunder, dass nun die Aufregung groß ist und viele sich vom Staat im Stich gelassen fühlen. Und das in einem lebenswichtigen Bereich, in dem es sowieso seit Jahren immer schwieriger wird, lernwilligen oder gut ausgebildeten Nachwuchs zu finden. Und für den das Gesamtbudget mit 1,8 Prozent nur noch mäßig wächst. Im Fünfjahresplan wurde schon kräftig gestrichen, etwa bei den Transportern. „Wir spüren, dass es enger wird“, bestätigt Feider. „Gleichzeitig werden die technischen Anforderungen aber nicht geringer“, warnt er. Der Rettungsdienst werde nicht angetastet, aber es bestehen Überlegungen, aus Kostengründen weniger Erste-Hilfe-Kurse anzubieten. „Das ist der Dank dafür, dass man sich für die Gesellschaft einsetzt“, kommentiert ein Betroffener die Lage.

Die Kürzung sorgt auch deshalb für Ärger, weil die Tarife das letzte Mal 2003 angehoben wurden – und ohnehin nie an den Index gekoppelt waren. „Würde man die Inflation berücksichtigen, hätte die Regierung die Tarife eigentlich um rund 25 Prozent erhöhen müssen statt sie zu kürzen“, rechnet ein Prüfer vor. Tatsächlich haben sie all die Jahre durch die Nichtanpassung real einen Nettoverlust hingenommen. Aber damit soll jetzt Schluss sein. Die Proteste werden lauter, so laut, dass auch die Leitung sie nicht überhören kann: In Krisensitzungen wird nun hektisch darüber beraten, wie die Verluste kompensiert werden können.

Dass jetzt erst über die Folgen nachgedacht wird, die die Kürzung für den Rettungsdienst mit sich bringen, erstaunt. Zum einen wurde gemeinsam mit der Verordnung eine Liste betroffener Kommissionen und Gremien veröffentlicht, darunter der Rettungsdienst. Der Staatsrat hatte in seinem Gutachten Bedenken geäußert. Zum einen weil die Regierung ursprünglich geplant hatte, die Maßnahme sogar rückwirkend zum 1. Januar 2013 geltend zu machen. Wie wolle die Regierung das umsetzen, wenn doch viele ihre Aufwandsentschädigungen bereits erhalten hätten?, fragte das Gremium, das zudem die Frage aufwarf, ob die Rückwirkung gegen die Verfassung verstößt.

Weil die Regierung versäumt hatte, die obligatorische fiche financière dem Entwurf beizufügen, könne er nicht beurteilen, so der Staatsrat weiter, ob es sich lediglich um eine „symbolische Geste“ handele oder um eine echte Einsparung. Im unübersichtlichen Budget ist auch nach intensivem Suchen die Kürzung nicht zu finden. Auf Land-Nachfrage heißt es schließlich aus dem Ministerium des öffentlichen Dienstes, die Finanzinspektion habe die Einsparung mit fünf Millionen veranschlagt. Eine Bestätigung seitens der Finanzprüfer stand bis Redaktionsschluss noch aus.

Ebenso wenig hat sich der verantwortliche Minister Jean-Marie Halsdorf (CSV) geäußert, aus Termingründen fand er keine Zeit dazu. Der Innenminister wusste, wie seine Ministerkollegen, schon im September 2012 von den Plänen und hat die Regelung am 21. Juni mit unterschrieben. Aber offenbar versäumt, seine Verwaltungen und Angestellte zu informieren. „Wir sind etwas überrascht worden. Uns war nicht bewusst, dass nicht nur Beamte von der Änderung betroffen sein würden“, sagt Feider.

Ein kleiner Satz am Ende von Junckers Brief an SEW und Apess, den die Gewerkschaften veröffentlichten, hätte ein Alarmsignal sein können. Der Staatsminister schrieb nämlich: Es handele sich keineswegs um eine Maßnahme, die sich gegen die Sekundarschullehrer richte, wie von den Gewerkschaften bemängelt, sondern sie habe vielmehr „un caractère géneral qui s’applique d’une part à plus de cent commissions étatiques“ der verschiedenen Ministerien „et qui concerne d’autre part aussi bien les agents de l’État que les membres du secteur privé qui siègent dans de telles commissions“. Also auch die ehrenamtlichen Prüfer des Zivilschutzes.

Aber nicht nur des Zivilschutzes. Die Bestimmung nennt eine ganze Liste von Kommissionen und Räten, in denen nicht selten Ehrenamtliche sitzen. Und trotzdem: Die Agentur fürs Ehrenamt sagte auf Land-Nachfrage, sie habe von der Regelung noch nichts gehört: „Wir bekommen nicht alle Änderungen, die uns betreffen, mitgeteilt“, entschuldigt sich der freundliche Mann am Telefon. Auch die Vertreterin des Elterndachverbands Fapel, die im Conseil supérieur de l’éducation nationale sitzt, hat noch nichts von besagter Verordnung gehört. Der Bildungsrat steht ebenfalls auf besagter Liste, ebenso wie beispielsweise die Commission consultative des Maisons d’enfants de l’État, die Commission mixte des travailleurs à capacité réduite et incapables à exercer leur dernier poste de travail oder das Comité du travail féminin. Oder die Menschenrechtskommission. „Das Taschengeld wird kaum noch reichen, um den Parkplatz während der Sitzungsdauer zu bezahlen“, unkt ein Kommissionsmitglied.

„Warum haben sie die Regelung nicht auf Staatsbeamte beschränkt, die ohnehin meistens während ihrer Arbeitszeit in den Kommissionen sitzen?“, fragt Fapel-Präsidentin Jutta Lux-Hennecke. Nicht zuletzt den vielen Ehrenamtlichen der Rettungsdienste dürfte sie damit aus dem Herzen sprechen.

Ines Kurschat
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