Bürger aus dem Norden sollten die Ohren spitzen: Die letzten beiden Seiten des ersten Bandes zum Bildungsbericht Luxemburg 2015 der Universität Luxemburg haben es in sich. Dort ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die eine Empfehlung für den Classique (ES) erhalten, nach Regionen aufgeschlüsselt. Für Jungen und Mädchen aus dem Norden sind das keine gute Nachrichten: Denn offenbar schaffen erheblich weniger von ihnen den Sprung von der Grundschule in den Enseignement secondaire. In Wincringen, Troisvierges, Weiswampach, Eschweiler, Wiltz und Kiischpelt etwa liegt die Quote für eine Empfehlung in den Classique zwischen zehn und 20 Prozent, in den Zentrumgemeinden Strassen und Bertrange dagegen bei 60 bis 70 Prozent.
Laut Bildungsbericht spiegeln diese geografischen Unterschiede „die unterschiedlichen, historisch gewachsenen sozialen, ökonomischen und sprachlichen Verhältnissen und damit auch die Unterschiede in der Art und Weise, wie Kinder aufwachsen, sozialisiert werden und welche Bildungschancen ihnen zur Verfügung stehen“. Das erkläre etwa, warum in traditionellen Arbeiterhochburgen im Süden, wie Differdingen, Sanem oder Esch-Alzette, die Quote der Empfehlungen für den Classique ebenfalls nur zwischen zehn und 20 Prozent liege. In Esch-Alzette etwa liegt der Anteil der Familien, die Luxemburgisch als Erstsprache sprechen, zwischen 20 und 30 Prozent, in Differdingen und Petingen ebenso.
Doch für den Norden gilt dieser Zusammenhang nicht, wie auch der Bildungsbericht einräumt. Dort ist die Quote der primär luxemburgisch-sprechenden Familien vergleichsweise hoch, die Übergangsquote zum Classique aber dennoch insgesamt eher niedrig. Ein Umstand, der der CSV-Abgeordneten Martine Hansen die Sorgenfalten auf die Stirn treibt: „Vielleicht gibt es in unserer Region weniger Eltern, die solche Entscheidungen beanstanden. Das allein kann den Graben aber sicher nicht erklären.“ Die ehemalige Schuldirektorin des LTA thematisierte die Gerechtigkeitslücke im April auf einem Schul-Themenabend ihrer Partei, doch mit ihrer Frage zu den Gründen erntete sie allgemeines Achselzucken. Andere aus der Region weisen darauf hin, dass in den Nordgemeinden der Anteil der Ausländer, die kein Luxemburgisch sprechen, beständig gestiegen sei. Aber der Sprachenfaktor reicht als Erklärung ebenfalls nicht aus, denn im Norden sprechen im Vergleich zum Süden eher viele Kinder daheim Luxemburgisch. Und dass die Kinder im Norden weniger intelligent sind, dürfte als Grund ebenfalls ausscheiden.
Mehr Aufschluss könnte vielleicht ein genauerer Blick auf den sozioökonomischen Hintergrund der Familien bringen: Ähnlich wie im Süden liegen die Nordgemeinden beim sogenannten ISEI-Index, der sich von dem Einkommen und dem Bildungsstand eines Haushalts herleitet, bei 40 bis 45 Prozent. Das heißt: Ein großer Teil der befragten Familien steht finanziell und sozial deutlich schlechter da als etwa in der Hauptstadt (60 bis 65 Prozent). Martine Hansen will die Ergebnisse des Bildungsberichts, und insbesondere die schlechteren Bildungschancen im Norden, nach der Rentrée noch einmal im zuständigen Bildungsausschuss des Parlaments diskutieren.