Arbeitsmarktreformen

Der Anfang

d'Lëtzebuerger Land du 10.06.2010

Auch ohne Tripartite-Beschlüsse macht sich die Regierung daran, die in der Dreierrunde diskutierten Reformen umzusetzen. Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) legte vergangenen Freitag den Regierungskollegen einen Gesetzentwurf vor, mit dem einerseits die bereits Anfang 2009 vorläufigen, der Krise angepassten Kurzarbeitsbestimmungen bis Ende 2011 verlängert und weiter flexibilisiert werden, und andererseits besonders ältere Erwerbslose bessergestellt werden sollen.

Bis Ende 2011 soll der Fonds pour l’emploi die Sozialbeiträge der Firmen übernehmen, die seit über sechs Monaten kurzarbeiten und bei denen die Arbeitszeitreduzierung auf monatlicher Basis 25 Prozent übersteigt. Außerdem sollen auch solche Unternehmen konjunkturell bedingte Zeitarbeit beantragen können, deren Branche sich offiziell nicht in der Krise befindet. Der Gesetzentwurf ist ein erster Baustein der anstehenden schmitschen Arbeitsmarktreformen, durch die inden kommenden Monaten mittels weiterer Gesetzentwürfe, Reglements oder einfach nur neuer Arbeitsprozesse innerhalb der Administration de l’emploi (Adem) die Arbeitsmarktlage verbessert werden soll. Deswegen halten sich Begeisterung und Kritik bei den Sozialpartnern derzeit noch in Grenzen – dies ist erst der Anfang.

Weil die Situation auf dem Arbeitsmarkt angespannt bleibt, und weil deutsche Konkurrenzunternehmen von sehr günstigen Kurzarbeitsbestimmungen profitieren können, wird das im Februar 2009 eingeführte Spezialregime verlängert, nach dem ein und dieselbe Firma über zwölf anstatt über sechs Monate hinweg kurzarbeiten kann. Obwohl die Anträge beim Konjunkturkomitee zurückgehen und viele der Firmen, die noch Anträge stellen, die Erlaubnis, kurz zu arbeiten, nicht nutzen. Eine neue Antragswelle fürchtet Schmit durch die Lockerung der Bestimmungen nicht. „Wir haben die Latte relativ hoch gelegt“, sagt der Arbeitsminister. Um mindestens 40 Prozent muss sich die Gesamtarbeitszeit der Mitarbeiter einer Firma reduziert haben, und ein Abkommen zwischen den Sozialpartnern bestehen, damit Firmen, deren Branche nicht allgemein in der Krise ist, Anspruch auf staatlich gestützte Kurzarbeit haben. Handwerksunternehmen, die in direkter Konkurrenz mit deutschen Firmen stehen, die jenseits der Mosel von den dortigen Bedingungen begünstigt werden, könnten Nutznießer der neuen Regelung werden, meint Schmit. Oder Transportunternehmen, die durch die Baissen in der Industrieproduktion der vergangenen Monate stark belastet wurden.

Dabei haben die Unternehmensverbände diese Flexibilisierung nicht gefordert und stehen ihr gleichgültig bis kritisch gegenüber. „Wir hätten auch mit dem bisher gültigen Regime leben können“, sagt Pierre Bley, Generalsekretär der Union des entreprises luxembourgeoises. „Die meisten Firmen waren mit dem bisherigen System zufrieden“, meint auch François Engels vom Handwerkerverband. Die Handwerker befürchten eher, durch die neue Regelung könnten Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Branche entstehen. „Wir können es absolut nicht begrüßen, wenn in Sektoren, in denen der Wettbewerb groß ist, Unternehmen, die ohnehin schwach auf der Brust sind, durch staatliche Subventionen gestützt werden“, so Engels.

Kritisch sehen die Arbeitgeber vor allem die im Gesetzentwurf enthaltenen Verlängerungen der Bezugsfristen für das Arbeitslosengeld wie auch die zeitweilige Anpassung der Bezugshöhe. So sollen künftig Arbeitnehmer ab 45 – nicht erst ab 50 wie bislang – sechs Monate länger Arbeitslosengeld beziehen können. Außerdem werden die Bezüge erst nach neun, nicht schon nach sechs Monaten, von maximal 2,5 Mal das Mindestgehalt auf den doppelten Mindestlohn gesenkt. Die zweite Staffelung, auf 1,5 Mal den Mindestlohn, ist bis Ende 2011 ausgesetzt. „Das ist nicht die Antwort auf die derzeitige Arbeitsmarktproblematik. Die soziale Verwaltung der Arbeitslosigkeit kann nicht die Priorität sein, und diese Maßnahmen liegen nicht auf einer Linie mit den Zielvorgaben der Tripartite, bei der auch die Sanierung der Staatsfinanzen auf der Tagesordnung stand“, so Bley.

„Wir haben ein Problem, und das ist die große Anzahl der Erwerbslosen, deren Ansprüche auf Arbeitslosengeld auslaufen“, rechtfertigt Schmit die seiner Ansicht nach „moderaten Anpassungen“. Würde man hier nicht eingreifen, ständen vor allem solche Arbeitnehmer, die in ihrem letzten Job besser verdient haben, vor dem sozialen Abstieg. Den Arbeitnehmervertretern gehen die Anpassungen nicht weit genug. Der unabhängige Gewerkschaftsbund OGBL hatte beispielsweise für Kurzarbeiter einen Lohnausgleich von 100 Prozent nach sechs Monaten gefordert, anstatt wie bisher 80 Prozent.

Schmit selbst findet an seinem Gesetzentwurf andere Punkte wichtiger. Zum Beispiel, dass Arbeitnehmer, die ihre Anstellung verlieren, sich ohne Verzögerung beim Arbeitsamt melden müssen, nicht erst wenn die Kündigungsfrist ausläuft, oder sie aber eine entsprechende Kürzung der Bezugsfrist riskieren. Diese Maßnahme reiht sich in die Reformvorhaben ein, die eine schnellere Reintegration in den Arbeitsmarkt gewährleisten sollen. „Die Leute sollen so schnell wie möglich aus der Arbeitslosigkeit heraus.“ Deswegen soll die Jobsuche alsbald starten. „Natürlich setzt das auch voraus, dass das Arbeitsamt sich dann schnell und gründlich mit den Leuten auseinandersetzt“, merkt Schmit an. Ab September, wenn der Adem mehr Personal zur Verfügung stehe – die Pläne für den Umbau der Adem will er Ende des Monats vorstellen – werde er seine Erwartungen in dieser Hinsicht ganz erheblich hochschrauben. „Ich werde fürchterlichen Druck ausüben.“

Dass die Plans de maintien dans l’emploi, künftig ein spezielles Kapitel enthalten müssen, in dem aufgezeichnet wird, wie ältere Arbeitnehmer, deren Stelle bedroht ist, begleitet werden, ist Teil eines größeren Projektes, das gemeinsam mit den Sozialpartnern im Rahmen des Comité permanent du travail et de l’emploi (CPTE) im Herbst angegangen wird. Ein neues Rahmenwerk schwebt Schmit vor, das die Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen älterer Arbeitnehmer insgesamt klärt. Als Teil dieses Pakets ist auch die im aktuellen Gesetzentwurf enthaltenen Reform der Mise au travail zu verstehen. Die Mise au travail soll künftig Occupation temporaire indemnisée (OTI) heißen. Erwerbslose, die im Rahmen der OTI kleine Arbeiten im öffentlichen Raum durchführen, sollen dafür künftig 300, anstatt 150 Euro monatlich erhalten, weil sich Arbeit – dixit Schmit – bezahlt machen muss. Verlieren die Betroffenen ihren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung – und damit auf die Teilnahme in der OTI –, sollen sie künftig übergangslos in dem vom Service national d’action sociale (Snas) des Familienministeriums geleiteten Schwesterprogramm der Affectation temporaire cream without prescription Living to and.

indemnisée für Bezieher des Revenu minimal garanti (RMG) übernommen werden können. Wer über 50 ist, kann sechs Monate länger im Programm arbeiten, als bislang vorgesehen. Wer in Arbeit ist, soll in Arbeit bleiben, so die Logik. Außerdem soll sich die Adem, anders als jetzt, darum bemühen, die Betroffenen zurück in den Arbeitsmarkt zu integrieren – auch wenn das Arbeitsamt auf Verwaltungsebene nicht mehr für die Betroffenen zuständig ist. „Das ist der Beginn der wichtigsten Reform“, sagt Schmit. „Die engere Zusammenführung der Sozial-, der Aktivierungspolitik und der RMG-Bestimmungen.“ Ab welchem Alter man dann als älterer Arbeitnehmer gelten wird? „50 plus“, sei die normale Definition, so der Minister. Doch in den derzeitigen Arbeitsmarktbedingungen falle es auch Arbeitnehmern über 45 schwer, eine Anstellung zu finden.

Eigentlich sind sich Sozialpartner und Regierung, die im kleinen und diskreten Kreis des CPTE in Tripartite-Formation weiter tagen und verhandeln, in der Problemanalyse gar nicht so uneinig. Gemeinsam versuchen sie derzeit vor allem, besseres Datenmaterial über den Luxemburger Arbeitsmarkt in all seinen Facetten zusammenzutragen. So wird im CPTE derzeit an einem Inventar der auf Landesebene angebotenen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gearbeitet, die Erwerbslosen angeboten werden. Ein „Streamlining unter einem Orchesterchef“, wünscht sich die UEL. Der Minister strebt ein Qualitätslabel an, wie es bereits für Weiterbildungskurse für die Finanzbranche existiert, auch für andere Bereiche an. Außerdem schwebt Schmit ein Art Observatorium für den Arbeitmarkt vor, das im Auge behalten soll, welche Arbeitnehmerprofile in der Wirtschaft gesucht sind. „Das soll uns helfen, die Leute besser zu orientieren und weiterzubilden“, so Schmit.

Schmit will sich außerdem auf das bisher eher unbekannte Terrain der Kosten-Nutzen-Analyse begeben. Bis Ende 2011 sollen alle Beschäftigungs- und Aktivierungsmaßnahmen ausgewertet werden. Dazu gehören auch die auf junge Arbeitnehmer unter 30 Jahren ausgerichteten CAT, SIE, CAE und CIE. „Diese Programme kosten viel Geld“, sagt Schmit. Das man bereit ist auszugeben, wenn sie denn erfolgreich sind. Dabei fällt auf; sowohl die unter 30-Jährigen, wie auch die über 45-Jährigen gelten auf dem Arbeitsmarkt als Problemkategorien. Daraus folgt: Den Arbeitnehmern, die eigentlich 40 Jahre lang Rentenbeiträge einzahlen sollen, bleiben theoretisch 15 Jahre, um störungsfrei zu arbeiten.

Den Vorwurf, die neuen Maßmahnen würden hohe Mehrkosten verursachen, lässt Schmit nur bedingt gelten. Den groben Schätzungen des Ministeriums zufolge werden die neuen Bestimmungen jährlich allerhöchstens zehn bis zwölf Millionen Euro kosten. Sparpotenzial sieht der Minister an anderer Stelle. Durch den Rückgang der Zeitarbeit reduzierten sich automatisch die Kosten. Außerdem will er „pure Arbeitssubvenionierungen“ ein­schränken. Die Aides au réemploi, die Erwerbslosen, die eine neue unbefristete Anstellung finden, die negative Differenz zwischen altem und neuem Gehalt bis zu maximal 350 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns ausgleichen, führten dazu, dass Arbeitgeber zu „unrealistisch“ niedrigen Löhnen einstellen. Damit soll bald Schluss sein, via Reglement. Vielleicht noch vor dem Sommer oder direkt danach.

Michèle Sinner
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