Mensch-Natur-Filmbildung

d'Lëtzebuerger Land du 21.02.2025

Grizzly Man (2005) ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm. Er basiert auf Selbstaufnahmen des Bärenfans Timothy Treadwell und lotet die Grenzen zwischen Mensch und Tier aus. 13 Sommer lang hat er in Alaska Grizzlybären beobachtet. Aus seinen über 100 Stunden Aufnahmen hat Werner Herzog einen 100-minütigen Film zusammengestellt, an dessen Ende Treadwell von Bären getötet wird. Die Filmkritikerin Viviane Thill wird den Film am Dienstag, den 24. Februar, im Rahmen ihrer Konferenz Lost in Nature thematisieren. „Besonders an dem Film finde ich, dass er zwei gegensätzliche Beziehungen zur Natur zeigt. Zum einen flüchtet Treadwell vor der Zivilisation und inszeniert sich in seinen Aufnahmen als Bärenschützer. Mehr noch, er identifiziert sich mit ihnen“, erläutert sie gegenüber dem Land. Zum anderen jedoch hebe Werner Herzog hervor, dass er in den Weiten von Alaska und dessen Bärenbevölkerung nur Feindseligkeit und Chaos erkenne. Während seiner Dreharbeiten zu Fitzcarraldo behauptete Herzog bereits über den südamerikanischen Dschungel, es handelte sich hierbei um „die Harmonie von überwältigendem, kollektivem Mord. Aber ich sage das voller Bewunderung.“ Die Natur ist für ihn ein Ort voller Gefahren – ein nicht zu domestizierendes Eigenleben.

Die Filmkritikerin Thill wird in Ettelbrück im Cape zudem auf Deliverance (1972) eingehen. Darin wollen vier Großstädter mit einem Kanu einen Fluss durchqueren, bevor dieser durch einen Staudamm dauerhaft verändert wird. „Die Protagonisten haben allerdings eine romantisierte Vorstellung ihres Unterfangens und wollen sich dabei als ‚richtige Männer‘ und Pioniere erleben“, so Thill. Ein ähnliches Muster lasse sich in dem Film The Revenant (2015) herauslesen: Der Film idealisiert Männer, die sich in der Natur durchschlagen und notfalls andere Lebewesen umbringen. Auch auf Cast Away (2000) soll am Dienstag eingegangen werden. „Erstaunlich an diesem Film ist, dass die Hauptfigur keine Beziehung zur Natur aufbaut, obwohl er in ihr überleben muss. Stattdessen benutzt er einen Ball als Partner – letztlich eine Projektion seiner selbst“, sagt Thill. Vor zwei Monaten hat Viviane Thill bereits an einem Forum-Dossier über das Mensch-Tier-Verhältnis gearbeitet. Darin erläutert sie ein für das 21. Jahrhundert typische Spannungsverhältnis: Während das Interesse an Haustieren und an der Tierwelt insgesamt steigt, bricht die Biodiversität zusammen. Ebenso thematisiert sie das Missverhältnis zwischen domestizierten Tieren – Hunden, Katzen, Rindern, Schafen – und wild lebenden Tieren. Laut Berechnungen würde die Masse der als Haustiere gehaltenen und wild lebenden Land- und Meeressäugetiere stark auseinandergehen. Letztere machen eine Masse von nur 60 Millionen Tonnen aus, während erstere zehnmal mehr Gewicht zusammenbringen – insgesamt 630 Millionen Tonnen.

Der Vortrag Lost in Nature ist Teil der Reihe Film, Natur und Gesellschaft. Im März soll ein Vortrag von Gilles Nowikow das Mensch-Natur-Verhältnis aus philosophischer Sicht beleuchten, und im Mai wird der Filmhistoriker Yves Steichen der Frage nachgehen, wie prähistorische und mythologische Welten, fremde Planeten und außerirdische Ökosysteme immer wieder die Leinwand erobern. Für diese Filmreihe arbeitet das CNA gemeinsam mit dem Zentrum für politische Bildung. „Filme vermitteln oft mehr oder weniger offen politische Botschaften und gesellschaftliche Werte und bieten daher reichlich Material zum Interpretieren“, sagt Steve Hoegener, der bereits mehrere Filmbildungszyklen organisiert hat. Die historische und soziale Einordnung von Filmmaterial versteht das Zentrum für politische Bildung als Teil der Medienbildung. „Audiovisuelle Medien sind allgegenwärtig und überall verfügbar“, so Hoegener. „Bilderwelten zu entschlüsseln bereitet Freude, bietet aber zugleich die Gelegenheit, gesellschaftspolitische Themen lebhaft zu diskutieren.“

Stéphanie Majerus
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