Zu den Steuererleichterungen kommt auch Zahnarztgeld von der CNS

Däitlech méi!

d'Lëtzebuerger Land du 28.10.2016

„Däitlech méi!“ ist zwar der Slogan, mit dem die DP diese Woche ihre Anhänger auf die baldigen Steuererleichterungen, die Reform des Elternurlaubs und die für den Herbst 2017 angekündigte Gratis-Kinderbetreuung aufmerksam macht und damit viel besser aussehen will als die CSV und ihr Spitzenkandidat Claude Wiseler, der vom Sparen redet. Aber wenn es mehr gibt für die Leute, können auch Sozialdemokraten zufrieden sein. Und so ließen LSAP-Sozialminister Romain Schneider und Gesundheitsministerin Lydia Mutsch noch ehe die Krankenkassen-Quadripartite am Mittwochabend zu Ende war verbreiten, dank eines „konstruktiven Dialogs“ in dem Gremium seien die „Vorschläge für neue Leistungen, die der Sozialminister ausgearbeitet hat, angenommen worden“.

Warum auch nicht: Nach Ausbruch der Bankenkrise war die Finanzlage der Krankenversicherung so prekär geworden, dass die vorige Regierung im Herbst 2009 keinen anderen Ausweg sah, als der CNS ausnahmsweise zu erlauben, eine kleinere Geldreserve zu halten als das bis dahin vorgeschriebene Minimum. Weil das eine riskante Entscheidung war, die nicht ewig bestehen bleiben konnte, hob ein Jahr später die Gesundheitsreform die Beiträge zur Krankenversicherung leicht an, fror verschiedene Dienstleistertarife ein oder kürzte sie und erlegte den Versicherten höhere Eigenbeteiligungen auf.

Laut OGBL beläuft das Sanierungsopfer der Versicherten sich seitdem auf an die 25 Millionen Euro jährlich, das macht 150 Millionen in den sechs Jahren von 2011 bis 2016. Nun, da die Konjunktur wieder angezogen hat und die CNS auf 2,5 Milliarden Euro Umsatz hundert Millionen Euro Überschuss pro Jahr ausweist, lassen sich kaum Argumente dagegen finden, den Leuten etwas zurückzugeben. Zumal die Reserve der Krankenversicherung derart wächst, dass Ende dieses Jahres das gesetzlich vorgeschriebene Maximum überschritten werden könnte, falls von dem vielen Geld nicht etwas abgeschöpft wird.

Allerdings wird die Krankenversicherung zwar däitlech méi für die Versicherten bereitstellen, aber nicht etwa die 25 Millionen Euro des bisherigen jährlichen Sanierungsbeitrags. Ab 1. Januar werden zunächst zwei Zahnarztleistungen zusätzlich bezahlt: eine zweite Zahnsteinentfernung pro Jahr sowie örtliche Betäubungen auch beim Plombieren. Für getönte Brillengläser und Kontaktlinsen kommt die CNS dann schon ab sechs und nicht erst ab acht Dioptrien auf. Auch die Erstattung von Ambulanztaxi-Fahrten soll verbessert werden. Weitere Maßnahmen würden nächstes Jahr noch „diskutiert“, kündigte der Sozialminister an. Die Mehrausgaben für die CNS aber sollen zumindest vorerst zehn bis 15 Millionen Euro im Jahr nicht übersteigen.

Kleine Gesten sind natürlich besser als gar keine, doch das am Mittwoch noch weitgehend im Vagen gehaltene Paket ist das Ergebnis komplizierter Politik. Eigentlich müsste die CNS gar keine Zusatzausgaben tätigen: Im Budgetgesetzentwurf zum Staatshaushalt 2017 hat die Regierung kurzerhand die Streichung der Reserven-Obergrenze vorgesehen, so dass die Kasse so viel Geld auf die Seite legen könnte, wie sie will. Das aber ist nicht etwa Romain Schneiders Idee oder die der Koalition, sondern der Konsens zwischen Gewerkschafts- und Unternehmervertretern im CNS-Vorstand.

Auf den ersten Blick ist das erstaunlich. Hatte der OGBL doch noch im Februar verlangt, nicht nur Zahnarzt- und Optikerleistungen müssten besser bezahlt, sondern auch die Eigenbeteiligungen der Patienten wieder zurückgefahren werden. Der Unternehmerdachverband UEL wiederum erklärte kurz darauf, angesichts des vielen Geldes könne es „nur eines“ geben: „Beiträge runter!“ (d’Land, 4.3.2016)

Doch solche laut vorgetragene Forderungen dienen in erster Linie der politischen Stimmungsmache. In Wirklichkeit kooperieren Gewerkschaftler und Patrons im CNS-Vorstand gar nicht schlecht und halten das Geld der Kasse zusammen. Sie wissen, dass die Krankenversicherung eines vielleicht gar nicht so fernen Tages völlig neue Leistungen für Psychotherapie erstatten müsste, deren Kostenpunkt sich nicht einmal erahnen lässt. Auch der Krankenhaus-Gesetzentwurf der Gesundheitsministerin ist eine Unbekannte: Er könnte ein Wettrüsten der Spitäler um günstige Positionen in den geplanten „Kompetenznetzwerken“ auslösen. Da können hundert Mil-lionen Euro Überschuss rasch dahinschmelzen.

Dem OGBL ist auch durchaus klar, dass die Laufbahnaufwertung der Krankenpfleger nach dem Vorbild der Reform des Staatsbeamtenstatuts, für die er besonders forsch eintritt, den ohnehin teuren Spitalsektor noch teurer machen wird. Also trägt er den Wegfall des Reserven-Maximums für die Krankenversicherung ebenso mit, wie er sich von seiner Forderung nach einer Rücknahme der Patienten-Eigenbeteiligungen verabschiedet hat, um nicht durch übertriebene Gesten an die Leute Begehrlichkeiten an anderer Stelle zu wecken. Zum Beispiel bei den Ärzten: Aus dem CHL mit seinen vielen festangestellten Medizinern wird erzählt, so wie der OGBL die Laufbahnaufwertung angedacht hat, könnte ein Krankenpfleger fin de carrière mehr Geld nach Hause tragen als so mancher Arzt.

Dass die Laufbahnaufwertung tatsächlich ungefähr so beschlossen werden könnte wie der OGBL sich das vorstellt, hat der Sozialminister schon vor Monaten durchblicken lassen; wenngleich verklausuliert, denn die Kollektivvertragsverhandlungen von OGBL und LCGB mit dem Kranken-hausverband dauern noch an. Premier Xavier Bettel aber berief nach der letzten Kabinettsitzung im September sogar eines der selten gewordenen Presse-Briefings ein und erklärte gemeinsam mit dem Sozialminister, man habe soeben beschlossen, dass das gedeckelte Globalbudegt für die Spitäler, über das der Regierungsrat entscheidet und das die CNS bezahlt, nächstes Jahr um noch nie dagewesene 6,4 Prozent zunehmen werde. Da waren die OGBL-Laufbahnideen eingearbeitet.

Die UEL wurde von der Regierung ebenfalls nicht vergessen. Seit März rief der Unternehmerdachverband nie mehr nach einer Beitragssenkung. Was auch daran liegt, dass im Staatshaushalt fürs kommende Jahr eine, wie Finanzminister Pierre Gramegna schreibt, „spürbare Erhöhung“ des Staatszuschusses zur Krankengeld-Mutualität der Betriebe vorgesehen ist. Nachdem der frisch zum DP-Finanzminister gekürte frühere Handelskammerdirektor diesen Zuschuss im Frühjahr 2014 zum Entsetzen der UEL gekürzt hatte, vereinbarten Regierung und UEL in einer Bipartite im Januar 2015, alles neu zu rechnen. Im Februar dieses Jahres stand fest, dass der Durchschnittsbeitrag der Betriebe zu ihrer Mutualität ab 2017 per Gesetz auf 1,95 Prozent der Lohnmasse festgelegt wird, der Staat eventuelle Defizite automatisch ausgleicht und der Mutualität überdies so viel zuzahlt, dass sie Jahr für Jahr eine Reserve von zehn Prozent der Jahresausgaben bilden kann. Die Zahlen im Staatshaushaltsentwurf spiegeln das wider: Waren vergangenes Jahr 48,3 Millionen Euro für die Mutualité des employeurs eingeplant, sind es nächstes Jahr mit 80,7 Millionen däitlech méi.

So dass die Regierung sich mit der Steuerreform die Wählerherzen zurückkauft, das Wohlwollen der Unternehmer mit der stärkeren Unterstützung von deren Krankengeldversicherung zu gewinnen trachtet und für die Gewerkschaften schon länger ein offenes Ohr hat und sie zuletzt durch den Hinweis zu beruhigen wusste, wie weit ihre Forderungen zugunsten von Krankenpflegern und Sozialpersonal gehen können. Anschließend brauchte die Regierung nur zuzuschauen, wie im CNS-Vorstand Gewerkschaftler und Unternehmer zum Konsens fanden, und Romain Schneider konnte ihn mit dem neuen Geld für Zähne, Brillen und Taxis als seinen ausgeben.

Doch ob damit alles gesagt ist, ist nicht so sicher. Nach der Quadripartite erklärte CNS-Vizepräsident Carlos Pereira vom OGBL, die Suspendierung des Reserven-Maximums der Krankenkasse trage die Gewerkschaft erst einmal nur für das kommende Jahr mit. CNS-Vizepräsident Nicolas Henckes von der UEL war davon ziemlich überrascht. Doch wenn die Konjunktur schön bleibt und weiterhin viel Geld im System zirkuliert, wäre es geradezu erstaunlich, wenn in einem Jahr die Krankenversicherung und ihre Leistungen nicht auch für Wahlkampfversprechen politisiert würden.

Peter Feist
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