Nirgendwo in der EU interessieren sich die Stromverbraucher so wenig für einen Anbieterwechsel auf dem liberalisierten Markt wie in Luxemburg

Geiz ist doof

d'Lëtzebuerger Land du 04.05.2012

Knapp fünf Jahre ist es her, dass auch Luxemburg die europäische Strommarktliberalisierung vollzog. Seitdem können auch Haushaltskunden frei wählen, von wem sie mit Elektrizität beliefert werden möchten.

Doch die wenigsten tun das, wie eine Statistik der EU-Kommission zeigt. Zwischen Mitte 2008 und Mitte 2010 suchten sich ganze 0,4 Prozent der Luxemburger Konsumenten einen neuen Lieferanten, das wären 848 von 212 000 Haushalten gewesen. Im EU-Vergleich wechselten nur in Ungarn, Rumänien und Polen die Verbraucher noch seltener ihre „Stromquelle“.

Dass die geringe Wechselquote an zu wenig Alternativen im Angebot hierzulande läge, möchte man nicht unbedingt glauben. Auf der Webseite www.stroumagas.lu, die von der Regulierungsbehörde ILR betrieben wird, sind immerhin sieben Elektrizitätslieferanten gelistet. Zwar sind darunter drei hundertprozentige Tochterfirmen von Marktführer Enovos, und von ihnen wiederum bietet Steinergy lediglich innerhalb der Gemeinde Steinfort und stellvertretend für Enovos Strom an. Die gleiche Rolle spielt Nordenergie in Diekirch und Ettelbrück. Die Leo s.a. hingegen, der einstige Stromhändler der Gemeinde Luxemburg, hat auch nach der Fusion mit Enovos seine Marke behalten und vertreibt weiterhin landesweit Elektrizität. Damit stehen allen Luxemburger Haushalten fünf Lieferanten zur Auswahl: neben Enovos und Leo noch Sudstroum aus Esch/Alzette, Electris aus Mersch und Eida aus Beckerich. Für das kleine Großherzogtum sieht das nach gar nicht mal so wenig aus. 

Dennoch findet beispielsweise Electris-Direktor Martin Wienands, dass „der Wettbewerb im Haushaltskundenbereich noch nicht richtig in Gang gekommen“ sei. Auch das ILR meldete in einem Bericht an die EU-Kommission im vergangenen Jahr, es vermisse „Indizien für einen funktionsfähigen Wettbewerb“ um die kleinen Stromverbraucher. Warum? Weil bei echter Konkurrenz jeder Lieferant versuchen müsste, in all den Kundensegmenten, wo er ein wettbewerbsfähiges Angebot unterbreiten kann, dieses auch bekannt zu machen. Viel aktives Marketing sei in Luxemburg aber noch nicht zu erleben.

Doch mit dem Marketing ist das so eine Sache. Enovos bringt es, die beiden lokalen Filialen in Steinfort und Ettelbrück/Diekirch sowie die Anfang 2011 mit ihr fusionierte Leo s.a. eingerechnet, auf einen Marktanteil von 90 Prozent bei den kleinen Kunden. Das sei eine „mehr als hochgradige Marktkonzentration“ schrieb im Dezember vergangenen Jahres das deutsche Consulting-Büro WIK Consult in einem Bericht an das ILR lakonisch. „Und wenn man die Kosten für eine Marketing-Aktion auf einen so großen Kundenkreis umlegen kann, dann ist das etwas anderes, als wenn wir das mit 17 000 Haushalten tun“, sagt Sudstroum-Direktor Ady Emering. Dabei ist Sudstroum, der von der Gemeinde Esch/Alzette gegründete Stromhändler, mit einem Marktanteil von 7,6 Prozent die nächst größere Alternative nach Enovos und Leo – und wenn dort aktives Marketing schon als sehr kostspielig empfunden wird, dann könnte das bei Electris (1,3 Prozent Marktanteil) und Eida (0,16 Prozent) noch mehr der Fall sein.

Besteht demnach ein Informationsdefizit über die Alternativen bei der womöglich zum Anbieterwechsel bereiten Klientel? Electris-Direktor Wienands meint, neben dem Größenunterschied bilde auch der unterschiedliche Bekanntheitsgrad der fünf Lieferanten eine „Hemmschwelle“ für den Wechsel. Außerdem würden viele Verbraucher Enovos sowie die Netzbetreiberin Creos wohl noch mit der guten, alten Cegedel verwechseln. „Diese durchaus verwirrende Situation bevorteilt uns nicht gerade.“

Für mehr Transparenz sorgen will das ILR mit einem Online-Tarifrechner auf seiner Webseite. Im Ausland sind solche Hilfsmittel, mit denen sich leicht ausrechnen lässt, was im jeweiligen Netz ein Lieferantenwechsel bringt, sehr beliebt. Ein paar Monate werde der Tarifrechner aber noch auf sich warten lassen, sagt Claude Hornick, ILR-Abteilungsleiter für den Strommarkt.  

Doch ganz gleich, ob groß oder klein, alle Anbieter stellen fest: In Luxemburg ist über den Strompreis kaum viel Wettbewerb möglich. In Deutschland weist das Stromverbraucher-Internetportal Verivox nicht nur eine Vielfalt an Lieferanten aus, sondern auch zum Teil beträchtliche Einsparpotenziale beim Wechsel. In der Region Aachen etwa können es bei einem Verbrauch von 5 000 Kilowattstunden im Jahr, was etwa dem Konsum einer nicht sonderlich sparsamen vierköpfigen Familie entspricht, 228 Euro sein. In Österreich kann man im Großraum Wien beim gleichen Verbrauch die Jahresstromrechnung um 148 Euro drücken, informiert der E-Control-Preisrechner im Internet. Ganz abgesehen davon, dass im Ausland Lieferanten Neukunden auch mit Sondervergünstigungen locken, etwa mit „Wechselboni“, die 100 Euro oder mehr betragen können.

Von so viel Konkurrenz im Preis ist Luxemburg weit entfernt. So lange sein Tarifrechner noch nicht besteht, publiziert das ILR unter www.stroumagas.lu seit Januar monatliche Preisvergleiche zwischen den fünf landesweiten Anbietern. Sie werden hochgerechnet auf den Verbrauch eines Ein- bis Zweipersonenhaushalts mit 2 500 Kilowattstunden im Jahr, zweitens die Familie mit 5 000 Kilowattstunden sowie drittens eine Familie in einem Einfamilienhaus, das noch über eine elektrisch angetriebene Wärmepumpe verfügt und jährlich 11 250 Kilowattstunden konsumiert. Aus den Vergleichen zeigt sich: Wer wechselt, kann auch in Luxemburg sparen – aber nicht sehr viel.

Weil in den Endpreis neben Steuern und Abgaben auch die Netzkosten eingehen, die von Netzbetreiber zu Netzbetreiber differieren, gibt das ILR den Preisvergleich separat für die fünf  Netzzonen an: das landesweite Creos-Netz, das lokale Creos-Netz in Steinfort, das kommunale Netz in Ettelbrück-Diekirch, das Merscher Netz der Firma Hoffmann Frères und für das Sudstroum-Netz in Esch/Alzette. Resultat: Wer nicht mehr als 2 500 Kilowattstunden jährlich verbraucht, spart höchstens 27 Euro auf seiner Jahresrechnung.

In den beiden anderen Kategorien sind die Verhältnisse ähnlich. Ein Haushalt, mit 5 000 Kilowattstunden Jahresverbrauch könnte seine Rechnung allenfalls um 54 Euro drücken, nicht aber um über 100 oder gar mehr als 200 Euro wie im Ausland. Haushalten im Eigenheim mit Wärmepumpe erleichtert der Anbieterwechsel die Rechnung um maximal 174 Euro.

Wohlgemerkt zieht das ILR stets das preiswerteste Angebot aller Lieferanten heran. Das kann Produkte verschiedener Qualität vermischen. Vom zertifiziert grünen Strom von Eida oder Sudstroum zum konventionell erzeugten Switch Mono von Electris zu wechseln, ist preiswerter als den ebenfalls zertifizierten Switch Blue von Electris zu ordern. Doch den erfasst das ILR nicht, ebenso wenig wie etwa den Nova Naturstroum von Enovos.

Der Preisvergleich zeigt aber: Sogar die exklusiven Ökostromanbieter Eida und Sudstroum bieten durchaus wettbewerbsfähige Preise an. Was einerseits der Umstand erleichtert, dass in Europa immer mehr grüner Strom erzeugt wird und dies die Börsenpreise drückt. Andererseits hilft der Druck im kleinen heimischen Markt nach. Wer da nicht an seinen Margen kratzt, kann für Kleinkunden bald aufhören, mitzubieten.

„Luxemburg hatte schon immer gute Endpreise“, sagt Ady Emering von Sudstroum. Dafür habe seinerzeit die starke Präsenz des Staates in der Cegedel gesorgt. „Das heißt aber auch, dass nach Abzug von Netzkosten, Steuern und Abgaben, die der Lieferant nicht beeinflussen kann, nur 40 Prozent Spielraum bleiben, um dem Kunden entgegen zu kommen“, erklärt Jean-Luc Santinelli, Verkaufschef bei Enovos. „Gäben wir noch zehn Prozent Rabatt, wären das zehn Prozent auf vierzig Prozent – das merkt der Kunde kaum.“ Noch mehr nachzulassen, könne man sich dagegen kaum erlauben. „Enovos macht deshalb für kleine Kunden Marketing nicht über den Preis, sondern über Dienstleistungen.“

Im Grunde ist also eher Besitzstandswahrung angesagt auf dem Kleinkundenmarkt. Könnte ihn vielleicht ein Anbieter aus dem Ausland in Bewegung bringen? Diese Frage wollte das ILR von WIK Consult letztes Jahr untersuchen lassen – beziehungsweise wissen, wieso noch kein ausländischer Lieferant sich um die Kleinverbraucher hierzulande bemüht. 

WIK Consult fand mehrere Antworten. So könne es Stromhändler aus Deutschland oder Österreich womöglich abschrecken, dass die Verwaltungssprache hierzulande Französisch ist. Doch da das Luxemburger Stromnetz, mit Ausnahme des Industrienetzes der Sotel, eine Verlängerung des deutschen Netzes bildet, wären neue Anbieter am ehesten von dort zu erwarten.

Andererseits aber: Würde ein ausländischer Akteur es sich tatsächlich leisten wollen, den schon jetzt recht kleinen reinen Stromanteil am Endpreis zu unterbieten – vor allem über längere Zeit? Und das, da es ohnehin mit einigen Kosten verbunden wäre, sich neu am Markt zu etablieren? Hinzu kommt: Die eher niedrigen Endpreise werden von Haushaltskunden mit im Schnitt relativ hoher Kaufkraft bezahlt. Die Ausgaben für Strom, Gas und andere Brennstoffe machen sich im Durchschnittsbudget eines Luxemburger Haushalts nur halb so stark bemerkbar wie in den drei Nachbarländern und den Niederlanden, rechnete WIK Consult vor. Um so uninteressanter wird ein Anbieterwechsel, und daran liegt es wohl auch, dass im EU-Vergleich zwar in drei Staaten noch seltener gewechselt wurde als hierzulande, der Wechsel dort allerdings deutlich häufiger versucht wurde, am Ende jedoch nicht zustande kam. In Luxemburg dagegen ging, wer das wollte, tatsächlich zu einem neuen Lieferanten. So gesehen, ist das Interesse zu wechseln, offenbar nirgendwo in der EU geringer als hier.

Schließlich hat auch die Gründung von Enovos einem Auftreten von Akteuren von außen vorgebaut. Nicht nur sind mit RWE und E.on zwei große deutsche Stromkonzerne Enovos-Aktionäre, desgleichen der belgische Stromhändler Electrabel. Die Aktionäre sind überdies vielfältig mit Lieferanten verflochten, die im grenznahen Ausland Kleinkunden beliefern. Schon möglich, dass diese Lieferanten deshalb zögern, in den Luxemburger Markt einzusteigen, den Enovos dominiert. Von WIK Consult befragte Stromhändler gaben auch „strategische Überlegungen“ als Grund dafür an, von den Luxemburger Kleinkunden lieber die Finger zu lassen.

Wenn die Perspektiven für „echten“ Wettbewerb eher bescheiden sind, will das ILR, damit es nicht immer dasselbe nach Brüssel melden muss, neben dem Online-Tarifrechner auch eine bessere „Marktkommunikation“ vorantreiben helfen. Die geht die Netzbetreiber an und betrifft Informationen, die von ihnen schnell und präzise geliefert werden müssen, falls in ihrem Netz ein Wechsel ansteht. Das neue System soll sich an einem deutschen Standard anlehnen und automatisiert sein. 

Potenzial erkennt das ILR auch in der noch besseren „Entflechtung“, zu der Enovos und die zur Unternehmensgruppe gehörende Netzgesellschaft Creos verpflichtet sind: Es gebe zwar kaum noch etwas zu beanstanden. Und derzeit bauen beide Unternehmenseinheiten getrennte IT-Systeme auf, so dass höchstens noch durch Hacking einer Daten vom anderen erhielte. Doch könnte Creos, schwebt dem ILR vor, beispielweise noch aktiver darauf aufmerksam machen, dass etwa ein Kunde, der sich ein Haus gebaut hat und neu ans Netz kommt, freie Auswahl unter den Lieferanten hat.

Doch: Ob es dadurch zu viel mehr Wechseln käme, ist schwer zu sagen. „Bei den kleinen Kunden ist Enovos für uns gar keine so richtige Konkurrentin, obwohl sie so groß ist“, sagt Sudstroum-Chef Emering. Jahr für Jahr gingen „ein paar Dutzend Kunden“ von Sudstroum zu Enovos, ebenso viele gingen den umgekehrten Weg. „Unterm Strich ist es kif-kif.“ Das entscheidende Geschäft finde mit den großen Verbrauchern statt, die ihre Preise verhandeln. „Dagegen hat den kleinen hier in Luxemburg die ganze Strommarktliberalisierung finanziell nichts gebracht, nur die Wahl zwischen Strom-Qualitäten.“ Und wenn Lieferanten und Netzbetreiber nun höhere Kosten haben, weil mehr Personal und neue IT-Systeme gebraucht werden, dann legen sie die eben auf die Kunden um. 

Peter Feist
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