Beim Ärzteverband AMMD gibt man sich entschlossen: Sollte es die Gesundheitskasse CNS darauf anlegen, die Verhandlungen scheitern zu lassen, „dann gibt es Krach!“
Krach mit der AMMD – das klingt nach Ärztestreik oder etwas in der Richtung. Ohne dass es von der Öffentlichkeit bisher groß bemerkt worden wäre, sind CNS und AMMD schon seit 18 Monaten dabei, etwas zu tun, was sie zuletzt vor 20 Jahren unternommen haben: eine neue Konvention auszuhandeln. Doch als am 30. Juni die 18 Monate verstrichen waren, war ein wichtiger Moment erreicht. Eigentlich hätte der Gesundheitsminister das Scheitern der Verhandlungen feststellen müssen. Das aber tat Mars Di Bartolomeo (LSAP) nicht. Stattdessen gewährte er weitere sechs Monate Frist.
„Konventioniert“, so will es das Krankenversicherungsgesetz, müssen alle Gesundheitsdienstleister sein, die ihre Leistungen bei der CNS abrechnen wollen. Und so bestehen derzeit 18 Konventionen: mit den Ärzten ebenso wie mit der Krankenhausföderation, dem Hebammenverband, den Privatlabors, der Luxembourg Air Rescue und so fort. Das über 90 Seiten lange Vertragswerk mit den Ärzten aber hat eine besondere Bedeutung. Wegen der hervorragenden Rolle der Mediziner in der Gesellschaft, aber auch, weil sie Verschreiber sind, die Leistungen anderer Dienstleister auslösen und damit der Kasse Ausgaben verursachen. Und in den Konventionen geht es vor allem um Geld.
Eigentlich ist dieses System schön gedacht. Es ging aus der großen Krankenkassenreform von 1992 hervor. Insbesondere Honorar- und Tariffragen sollten nicht durch staatliche Verordnungen geklärt, sondern zwischen Kasse und Dienstleistern ausgehandelt werden. Weil die Krankenkasse, heute Gesundheitskasse, obendrein selbstverwaltet und ihr Vorstand paritätisch mit Gewerkschafts- und Patronatsvertretern besetzt ist, plus einem Präsidenten als Staatsvertreter, schien damals eine Insellösung für das kleine Land erreicht: staatsfern und mit Deals und Handshakes à la luxembourgeoise. Das „beste System der Galaxis“, wie der Gesundheitsminister sich gern ausdrückt.
Doch wie schwer der Insellösung das Überleben der letzten zwei Jahrzehnte fiel, zeigt sich heute zum Beispiel daran, dass ein Stein des Anstoßes zwischen Ärzteverband und CNS die „Profile“ zur Überprüfung ärztlicher Verschreibungen sind. Eigentlich sind sie in der derzeit geltenden Konvention schon seit den Neunzigerjahren vorgesehen, doch erst 2008 wurde ein Profil eingeführt: dasjenige, mit dem die CNS die Zahl der pro Arzt ausgestellten Krankenscheine erfasst, um „Krankenscheinautomaten“ aufzuspüren. Das Krankenschein-Profil war Teil des großen politischen Projekts Einheitsstatut und der einheitlichen Krankengeldversicherung für alle Beschäftigten im Privatsektor. Die AMMD war anschließend der Meinung, damit sei es der Profile aber genug. Warum? Weil die Luxemburger Insellösung in dem zunehmend liberalisierten EU-Gesundheitswesen immer einzigartiger und anachronistischer wirkt. Schon Ende der Neunzigerjahre, als der EU-Gerichtshof sein erster Urteil über die Freizügigkeit von Auslandsbehandlungen fällte – obendrein in einem Streit zwischen zwei Luxemburgern und der damaligen Krankenkassenunion – meinte die AMMD, Ärzte im nahen Ausland, bei denen Luxemburger sich in Behandlung begeben, unterlägen keinen Profilen der hiesigen Kasse. Weshalb sollten sie dann für Luxemburger Ärzte gelten?
Ausgeschlossen ist es dennoch nicht, dass am Ende auch in der neuen Konvention Profile festgehalten und sie anschließend auch eingeführt werden. Denn die Finanzlage der CNS ist prekär: Ab 2015 droht ein strukturelles Defizit, aber ob es dann zu Beitragserhöhungen kommen wird, ist nicht so sicher. Gut möglich, dass die nächste Regierung es vorzieht, einen politischen Streit um erhöhte Lohnnebenkosten erst zu führen, wenn in der Rentenversicherung die laufenden Ausgaben höher als die Einnahmen zu werden drohen: etwa um 2018. So dass die CNS allen Grund zum Sparen hat. Die AMMD aber wünscht sich, dass den Ärzten künftig nicht nur der geleistete Akt, sondern auch der Zeitaufwand honoriert werden kann. Für diesen Vorschlag, der auch im Patienteninteresse wäre, ist die Kasse durchaus offen. Doch damit seine Umsetzung nicht zu teuer wird, käme man kaum umhin, Einfluss zu nehmen auf das Was und Wie der ärztlichen Verschreibung.
Allerdings: Ein besonderes Moment des „besten Gesundheitssystems der Galaxis“ besteht darin, dass es punktuell erlaubt so zu tun, als herrsche in Luxemburg Privatmedizin, Konkurrenz und freie Preisbildung. Die vielen kleinen Spielräume für den Arzt, mehr zu berechnen als in der Gebührenordnung steht, erfüllen eine wichtige Funktion: Sie sollen ihn damit versöhnen, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als Kassenarzt zu sein. Denn „Konventionierung“ bedeutet nicht nur, Leistungen bei der CNS abrechnen zu können, sondern auch, den Arztberuf zumindest freiberuflich in Luxemburg nur ausüben zu dürfen, wenn man an die Kasse gebunden ist.
Wer sich für Gesundheitspolitik interessiert, kann sich durchaus erstaunen, dass die AMMD überhaupt über eine neue Konvention verhandelt. Kein anderer Dienstleisterverband hat bisher öffentlich erklärt, das Prinzip „Konventionierung“ an sich verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit und sei womöglich verfassungswidrig. Als die AMMD vor drei Jahren Änderungen an der Gesundheitsreform durchsetzen wollte, drohte sie unter anderem, die Konventionierung juristisch anzugreifen. Im Frühjahr 2012 ließ sie sich von Wirtschaftsanwälten der größten Luxemburger Law firm Arendt & Medernach erklären, dass die Konventionierung vermutlich nicht ohne weiteres mit den EU-Verträgen vereinbar sei. Und schon in den Allerheiligenferien des Jahres 2000 hatten die Ärzte für ein Ende der Konventionierung sogar gestreikt. Könnte es in Wirklichkeit nicht die Kasse, sondern die AMMD sein, die es auf einen Fehlschlag der Verhandlungen ankommen lässt, weil sie gar keine Konvention mehr will?
Das mag sein, ist aber nicht allzu wahrscheinlich. Als Ende vergangener Woche 18 Monate ohne Einigung verstrichen waren, war nicht etwa der Punkt erreicht, ab dem für die Ärzte automatisch keine Konventionierung mehr gegolten und stattdessen totale Freiheit geherrscht hätte. Vielmehr hätte der Minister die Konvention durch eine Verordnung ersetzen müssen. Das aber hätte weder ihn, noch die AMMD arrangiert. Letztere hätte es dann statt mit Verhandlungs- mit Staatsmedizin zu tun bekommen und darauf kaum anders reagieren können, als mit Aktionen. Zu erklären, wieso es zu diesen hätte kommen müssen, wäre wiederum für keinen Minister leicht und sähe nicht gut aus knapp ein Jahr vor Wahlen und vielleicht nur Wochen vor vorgezogenen Neuwahlen.
Die AMMD aber weiß ganz genau, dass sich ein Ende der Konventionierung nicht mit der CNS aushandeln lässt, sondern politisch entschieden werden müsste. Doch CSV und LSAP haben in ihrem Koalitionsvertrag abgemacht, dass an die Konventionierung nicht gerührt werde. Die AMMD weiß aber auch, dass die Verwaltung der CNS gar nichts gegen eine Abschaffung der Konventionierung hätte: Würde nicht mehr jeder Arzt automatisch Kassenarzt, ließe sich zu einer Bedarfsplanung der Medizinerkapazität je nach Fachrichtung übergehen. Und: Vor allem unmittelbar nach einer Abschaffung der Konventionierung hätte die CNS vermutlich eine große Auswahl an Medizinern, die sich gar nicht von der Kasse lösen möchten, weil ihnen die Bindung an sie ein Auskommen sichert. Konventionen mit Ärzten in der Grenzregion könnte sie ebenfalls abschließen – und womöglich unter besonders guten Ärzten auswählen können, denn die in Luxemburg geltenden Tarife sind besser als die der deutschen AOK oder der französischen Caisse nationale de l’assurance maladie.
Weil solche Aussichten nicht die besten sind für einen Ärzteverband, der für alle Luxemburger Mediziner repräsentativ sein will und dem nichts daran liegen kann, sich Kollegenkrach ins Haus zu holen, ist die AMMD noch immer schnell bereit gewesen, nach Drohgebärden gegen die Konventionierung über deren Weiterbestand zu verhandeln. Freilich hat das einen Preis, und um den geht es wieder, wenn sich Kassen- und Ärztevertreter zu einer neuen Verhandlungsrunde treffen.
Auf dem Tisch wird dann unter anderem wieder der Vorschlag der AMMD liegen, die Convenances personnelles auszubauen. Bislang darf ein Arzt die mit CP1 bis CP7 abgekürzten Zuschläge, die der Patient selber tragen muss, nur bei Voranmeldungen von Konsultationen und Visiten in Rechnung stellen. Das aber wird nicht unbedingt immer so gehandhabt. Wie 2006 eine Studie der Kasse ergab, hält manch ein Arzt statt ein paar Euro für eine Voranmeldung Beträge von 20, 50, mitunter gar 100 Euro für einen CP1 auf der Patientenrechnung fest. Das seien, mutmaßten Kasse und AMMD damals, in Wirklichkeit Zuschläge für „Extra-Behandlungen“.
Die möchte die AMMD nun offiziell machen: In Form einer Liste, wie es sie etwa in Deutschland mit der Igel-Liste „individueller Gesundheitsleistungen“ gibt: Sie reichen von „zusätzlichen jährlichen Gesundheitsuntersuchungen“ über Früherkennung von Grauem Star mit besonderen Apparaturen bis hin zum „Selbstbehauptungstraining“. Der Möglichkeiten zum Hinzuverdienen gibt es nach Igel viele.
In Luxemburg etwas Ähnliches einzuführen, wäre allerdings ein Paradigmenwechsel. Falls die Gewerkschaftsvertreter im CNS-Vorstand diesem Schritt Richtung „Luxus“ zustimmen, bliebe er noch politisch zu beschließen. Denn dass der Arzt sich bei Behandlung und Verschreibung an das „Nützliche und Notwendige“ zu halten hat, steht nicht nur in der Konvention von AMMD und CNS, sondern auch im Deontologiekodex der Mediziner, der durch ministerielle Verfügung in Kraft gesetzt wird, und nicht zuletzt auch im Krankenversicherungsgesetz.
Aber vielleicht gibt es am Ende eine Bewegung in diese Richtung. Weil die Zeit drängt und über ein Thema noch weitaus schwieriger zu befinden sein wird: den Ausgleich für einen Wegfall des Erste-Klasse-Zuschlags im Spital.
Denn die Bestimmung, dass bei einer Erste-Klasse-Unterbringung im Krankenhaus vom Arzt 66 Prozent auf jeden Tarif aufgeschlagen werden dürfen, hat die Regierung im Koalitionsprogramm abzuschaffen versprochen. Mit der Gesundheitsreform verschwand sie aus dem Krankenversicherungsgesetz und steht seither nur noch in der Konvention von AMMD und CNS. Das heißt: Wie den Ärzten der Verdienstausfall zu kompensieren wäre – dass er kompensiert werden soll, steht im Regierungsprogramm –, ist nun Verhandlungssache zwischen CNS und AMMD.
Und das ist kompliziert. Denn derzeit ist der Zuschlag noch eine Convenance personnelle, geht nicht zulasten der CNS, sondern wird entweder vom Pa-tienten selber oder von einer Zusatzversicherung bezahlt. Der Verdienstausgleich für die Ärzte dagegen müsste irgendwie im Tarifgebäude der Gesundheitskasse untergebracht werden. Doch dabei verhandelt die CNS über Geld, das sie bei ihrer schwierigen Finanzlage eigentlich nicht hat. Es sei denn, sie spart an anderer Stelle.
In dieser verzwickten Lage sieht es so aus, als könne der Faktor Zeit am Ende doch noch zugunsten der AMMD spielen: Möglicherweise gibt es demnächst ja vorgezogene Neuwahlen, doch es ist alles andere als sicher, dass einer neuen Regierung erneut die LSAP angehören würde. Die DP im neuen Kabinett aber wäre eine politische Kraft, die viel mehr Verständnis für die Interessen der Ärzte aufzubringen imstande wäre als die Sozialisten. Platzen die Verhandlungen für die Konvention nachdem neu gewählt wurde, könnten sich ganz neue Möglichkeiten für mehr Privatmedizin in Luxemburg ergeben.