Lange hatte die CSV sich geziert. Am Freitag hatte sie sich zuerst übers Wochenende Bedenkzeit erbeten. Als sie dann am Montag Farbe bekennen sollte, wie sie zur nur schwer zu leugnenden Verantwortung von Premier Jean-Claude Juncker im Geheimdienstskandal steht, vertröstete sie die Kollegen auf den folgenden Tag. Nach einer Unterredung mit Premier Juncker am Montag legte die CSV dann dem Ausschuss eine lange Liste Änderungsanträge vor. Die Vorschläge sollten nicht bloß mit weiteren, angeblich entlastenden Auszügen von Sitzungsprotokollen den von Berichterstatter François Bausch (Grüne) vorbereiteten Bericht ergänzen – „aufblähen“, um vom Wesentlichen abzulenken, fanden Abgeordnete anderer Parteien. Die Anträge sollten vor allem wieder alle an Majesttsbeldigung grenzenden Kritiken an Juncker streichen. Die von Präsident Alex Bodry (LSAP) vorbereiteten Schlussfolgerungen über die Verantwortung des Premiers sollten „bis zur Unkenntlichkeit“ verwässert werden, so Bodry. Daneben sollte ein Teil der Verantwortung für die Untaten des Geheimdienstes auf den parlamentarischen Kontrollausschuss, also die Fraktionssprecher von LSAP, DP und Grünen, abgewälzt werden. Gleichzeitig hatte die CSV verlangt, dass der Ausschuss nur die Faktenlage auflistet und es dem Parlamentsplenum nächste Woche überlässt, Schlussfolgerungen zu formulieren. Dann, so hieß es am Mittwoch, wolle der wortgewaltige Jean-Claude Juncker vier Stunden lang reden, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Oder es vielleicht nur der texanischen Senatorin Wendy Davis nachtun, die vorige Woche mit einer elfstündgen Filibuster-Rede das Votum über ein Abtreibungsgesetz verhinderte. Das Kammerbüro gewährte Juncker am Donnerstag zwei Stunden. Doch als die Vertreter der anderen Parteien sich weigerten, der CSV Genugtuung zu verschaffen, ließ sie es nicht auf eine Abstimmung ankommen. Sie zog ihre Anträge zu den Schlussfolgerungen lieber zurück, als sich vorzeitig durch eine Abstimmung in die Minderheit versetzen zu lassen. So fiel auch in der als alles entscheidend angekündigten Ausschusssitzung am Dienstag keine Entscheidung. Die CSV ließ es bis zum Freitag offen, ob sie den ihr gegen den Strich gehenden Bericht stimmen wird. So konnte sie weiter in einem tagelangen Grabenkrieg um jedes Wort in dem immer länger werdenden Bericht kämpfen. In einer Nachtsitzung am Mittwoch musste der Ausschuss beschließen, das Votum auf Freitag aufzuschieben. Die bald stolz auf ein Jahrhundert CSV-Staat zurückblickende CSV ist in einer für sie ungewohnten Lage: Sie ist nicht die Herrin der Dinge, statt zu agieren, kann sie nur noch reagieren. Das Schicksal der Regierungskoalition steht auf dem Spiel, und der CSV fehlt, außer zu schmollen und Zeit zu schinden, eine halbwegs vernüftige Strategie. Das hängt aber viel mit dem Zustand der Partei selbst zusammen. In Wirklichkeit ist man sich auch in der CSV uneins, und die fünf Abgeordneten – allesamt Juristen –, welche die Partei in den parlamentarischen Ermittlungsausschuss geschickt hat, spiegeln etwas von den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der gesamten Partei wider. Da ist der Vizepräsident des Ermittlungsausschusses, Paul-Henri Meyers. Für den Verfassungsrechtler macht es wenig Sinn, die Verantwortung des Premiers im Geheimdienstskandal leugnen zu wollen, auch wenn er ihm nicht offen in den Rücken fallen will. Der ehemalige Kammerpräsident und Fraktionsvorsitzende Lucien Weiler ist dagegen der Parteisoldat, der selbst das Eindeutige leugnet, um dem politischen Gegner keine Blöße zu bieten. Fraktionsvorsitzender Gilles Roth versucht ebenfalls zu retten, was zu retten ist, aber er gehört, ebenso wie der Grevenmacher Bürgermeister Léon Gloden, schon zur Nach-Juncker-Generation, die seit Jahren ungeduldig darauf wartet, dass die Alten in der Partei Platz für die Jungen machen. Notarin Christine Doerner braucht die Partei alle fünf Jahre wegen der Listenstimmen. Ähnlich widersprüchliche Interessen durchziehen die ganze Partei und machen eine einheitliche Strategie in der Regierungskrise so kompliziert. Doch es kommt noch erschwerend für sie hinzu, dass die Parteiführung ihre Zeit damit verbringt, auf Zeichen des Orakels von der Cap zu warten, wie sie Premier Jean-Claude Juncker nennt. Denn nicht nur der Koalitionspartner, sondern auch die eigenen Parteikollegen klagen, dass Juncker sie im Unklaren über seine Absichten lassse, von denen am Ende auch das Schicksal der Regierung und der Partei abhängen kann. Dass die CSV-Spitze in den letzten Wochen mehr Zeit darauf verwenden musste, Junckers Gemütszustände zu ergründen, als eine Strategie zu entwickeln, hängt auch damit zusammen, dass der Premier kaum noch politische Vertraute in der Parteiführung hat, denen er sich offenbart. Dem Parteipräsidenten Michel Wolter, der sich gerade in einen Kleinkrieg mit Journalistenverbänden verrannte, dem forsch auftretenden Generalsekretär Laurent Zeimet und dem eher als Technokrat geltenden Fraktionsvorsitzenden Gilles Roth scheint Juncker zu wenig politisches Gespür zuzutrauen, um sich von ihnen beraten zu lassen. Parteikollegen klagen auch, wie widerwillig Juncker immer noch sei, sich Kritik in einer Situation gefallen zu lassen, da seine Verantwortung außer Zweifel stehe. Nach der Ausschusssitzung am Dienstag kündigte Gilles Roth an: „Wir warten eine Debatte im Plenum ab, wo der Staatsminister ja dann auch die Möglichkeit bekommt, der Kammer beziehungsweise der breiten Öffentlichkeit seine Erklärungen zu geben, und wo dann all die Vorwürfe, die nun im Raum stehen, viel nuancierter da stehen werden als das nun in einem einseitigen Bericht festgehalten ist.“ Die öffentliche Sitzung abzuwarten, heißt aber auch, dass die CSV es als einen Bruch der Koalitionssolidarität, aber nicht der Koalition empfindet, wenn die LSAP für den Ausschussbericht stimmt, der die objektive und die subjektive Verantwortung des Premiers festhält. Doch kaum jemand in der CSV will die Hand dafür ins Feuer legen, dass Juncker nicht schon vor der öffentlichen Parlamentssitzung aus einer Laune heraus im Alleingang vollendete Tatsachen schafft. So steht die CSV einsam mit ihrer Ratlosigkeit. Ihre letzte Hoffnung bleibt der Koalitionspartner LSAP. Nach dem Votum des Ausschussberichts muss sie auf interfraktioneller Ebene und im Ministerrat herausfinden, ob die Sozialisten nächste Woche eine eigene Motion einbringen wollen, mit der das Parlament Schlussfolgerungen aus dem Bericht des Ermittlungsausschusses ziehen soll. Und was eine solche Motion dem Premier vorhalten würde: ob er eine Rüge für seine nachlässige Aufsicht über den Geheimdienst verdient oder ob er gegen die Strafprozessordnung verstoßen, das Parlament hintergangen hat – und gehen muss. Selbst wenn die LSAP nur einen Tadel stimmte, wäre das für viele in der CSV Grund genug, um die Koalition aufzukündigen. Denn Gilles Roth gab schon am Dienstag die Parteilinie vor: „Für die CSV ist es ganz klar, dass aufgrund der objektiven Faktenlage, wie sie da ist, mit einem Bericht, der nun nicht mehr einseitig ist, sondern nachher belasten und entlasten soll, auf Grund der Erklärungen, die der Staatsminister im Ausschuss gab, dass da keine persönlichen Verfehlungen des Staatsministers vorliegen, die dazu führen würden, das hier personelle Konsequenzen gezogen werden müssten.“ Jeder Kuhhandel zur Vermeidung vorgezogener Neuwahlen ist für die CSV schwierig. Denn auch ihr langjähriger Thronfolger, Luc Frieden, ist nach dem Cargolux-Fiasko und dem gescheiterten Misstrauensvotum wegen seiner Rolle als Justizminister während der Bommeleeërten-Ermittlungen in denkbar schlechter Verfassung. Zudem will kaum eine Partei dafür mitverantwortlich gemacht werden, dass die Wähler sich um ihr Entscheidungsrecht betrogen fühlen. Mit den Eskapaden seines Geheimdienstes hat Jean-Claude Juncker die CSV in eine Lage manövriert, in der sämtliche Abgeordneten im Plenum und im Ermittlungsausschuss nicht mehr nach Koalition und Opposition abzustimmen drohen, sondern sich der von Bischof Jean-Théodore Laurent aufgerissene, uralte Graben der Luxemburger Politik, zwischen Klerikalen und Antiklerikalen, zwischen Konservativen und Linksblock wieder auftun könnte, wie zuletzt vor fünf Jahren beim Votum über das Euthanasiegesetz. Den Tag hat die CSV, die sich am Donnerstag in Hesperingen zu einem außerordentlichen Parteitag mit anschließendem Familienfest treffen will, in sehr schlechter Erinnerung.
Romain Hilgert
Catégories: Affaire Srel
Édition: 05.07.2013