Mit dem Einverständnis zum automatischen Informationsaustausch habe die Regierung das Bankgeheimnis aufgegeben, ohne zuvor die Auswirkungen eines solchen Schritts analysiert zu haben, ärgerte sich Generalsekretär Fernand Etgen am Samstag auf dem Parteitag der DP in Junglinster. Zwei Monate zuvor hatte Premier Jean-Claude Juncker noch in seiner Erklärung zur Lage der Nation das Land beruhigt, dass es durch diesen Beschluss höchstens „zu minimalen Anpassungen“ kommen werde und die Regierung „dem Finanzplatz keineswegs das Licht ausgeknipst“ habe.
Angesichts der Bedeutung des Finanzplatzes für die Volkswirtschaft wäre es vorstellbar, dass dessen Zukunft im Mittelpunkt des Wahlkampfs stehen würde, dass in allen Parteien Arbeitsgruppen dabei sind, an ihren Wahlprogrammen zu arbeiten und detaillierte Angebote einer künftigen Politik zur Förderung dieses Sektors aufzulisten. Aber so funktioniert die parlamentarische Demokratie nun einmal nicht. Denn wer will schon in sein Wahlprogramm schreiben, dass er seine Einflussmöglichkeiten für lächerlich gering hält, dass er bei der Finanztransaktionssteuer moralische Prinzipien und europapolitische Überzeugungen hinter Geschäftsinteressen stellt, dass er sich in der Frage des Bankgeheimnisses nur an einem jahrzehntelangen, ruhmlosen Rückzugsgefecht beteiligen kann?
Schließlich hatte die CSV noch 2009 in ihrem Wahlprogramm versprochen, dass sie die „OECD-Steuerrahmenbedingungen über den Informationsaustausch auf Anfrage übernehmen“ werde. Gerade die CSV pflegt sich aber in ihren Wahlprogrammen zum Finanzplatz nur knapp und allgemein zu äußern – weil das alles viel zu technische Fragen sind, welche die christlich-sozialen Finanzminister lieber mit der Bankenvereinigung ABBL klären und sich deshalb nicht im Voraus festlegen wollen. Bei der weitreichenden Entscheidung zugunsten des automatischen Informationsaustauschs hatte die Regierung nicht einmal den Finanzausschuss des Parlaments informiert – wer denkt da an Wahlprogramme?
Der DP-Generalsekretär warnte am Samstag, dass es der Regierung an einer genauen Strategie für die Zukunft des Finanzplatzes fehle. Gleichzeitig bezweifelte er aber, ob die Wahlprogramme der Regierungsparteien eine solche Strategie anbieten werden. Denn es sei unklar, wer von den Vertretern der verschiedenen Parteiflügel in wirtschaftspolitischen Fragen den Ton angebe: der Abgeordnete Robert Weber, Premier Jean-Claude Juncker oder Finanzminister Luc Frieden bei der CSV, der Monnericher Bürgermeister Dan Kersch, Fraktionssprecher Lucien Lux oder Wirtschaftsminister Etienne Schneider?
Die DP scheint jedenfalls die Partei zu sein, welche sich in ihrem Wahlprogramm für nächstes Jahr am ausführlichsten mit dem Finanzplatz beschäftigen wird. Als Grundlage für das entsprechende Kapitel dienen ihr die 31 Vorschläge, die sie in Une feuille de route pour la place financière gemacht hat. Dazu gehören die Einführung einer zehnprozentigen Quellensteuer auf Dividenden von Wertpapieren, „Überlegungen“ über die Nachteile der Taxe d’abonnement für Investitionsfonds, mehr Rechtssicherheit durch eine bessere Zusammenarbeit von Bankenaufsicht und Zentralbank, die Verbesserung des internationalen Ansehens des Finanzplatzes sowie angepasste Rahmenbedingungen zugunsten der sehr Reichen. Statt noch länger über das Bankgeheimnis zu reden, soll zwischen Steuergeheimnis und Schutz der Privatsphäre unterschieden werden.
Als durch einen Kongressbeschluss legitimierten Rahmen für den wirtschaftspolitischen Teil des LSAP-Wahlprogramms soll die Resolution dienen, die der sozialistische Parteitag am 3. März in Düdelingen verabschiedete. Darin wird in einer längeren Fußnote die Bedrohung des Finanzplatzes beschrieben und dann verlangt, „die wirtschaftliche Diversifizierung weiter gezielt voranzutreiben, um die Abhängigkeit von einzelnen Wirtschaftszweigen, z.B. dem Banken- und Finanzplatz zu verringern“. Die europaweite Debatte über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bringt die LSAP mehr als andere Parteien in Erklärungsnot, weil sie zwischen sozialistischen Prinzipien und Standortpolitik entscheiden muss und sich auch gegenüber ihren europäischen Schwesterparteien in einer misslichen Lage fühlt.
Der CSV geht es nicht viel besser. Denn im Juni 2010 hatte Premier Jean-Claude Juncker gegenüber TV5 Monde erklärt: „Si les Britanniques, pour les raisons qui seront les leurs, refusaient de nous accompagner, je suis, je l’ai dit à l’Eurogroupe, en faveur de l’introduction d’une taxation sur les transactions financières au niveau du seul Eurogroupe.“ Zwei Jahre später, im Juli 2012, kündigte er an, dass Luxemburg der verstärkten Zusammenarbeit in der Europäischen Union zur Einführung einer solche Steuer fernbliebe. Denn sie entwickele „keine Wachstumsdynamik“, sondern „in einzelnen Ländern eher das Gegenteil“, das damit verbundene „Risiko scheint mir unverhältnismäßig“.
Auch die DP arbeitet an einer klaren Meinung. Während Fraktionssprecher Claude Meisch im Oktober warnte, die Kunden des Finanzplatzes nicht mit Diskussionen über die Transaktionssteuer zu verschrecken, nannte der Europaabgeordnete Charles Goerens sie im Februar „sympathisch“ und wünschte nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine diplomatische Risikoabschätzung, wenn Luxemburg „zum ersten Mal bei einem europäischen Integrationsinstrument nicht mitmacht“.
Für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer plädieren lediglich die Grünen und déi Lénk, die laut Tageblatt-Umfragen immerhin zu den Wahlgewinnern nächstes Jahr gehören sollen. Den Beschluss der Finanzminister, auf den Weg der verstärkten Zusammenarbeit zur Einführung der Steuer zu gehen, begrüßten die Grünen ausdrücklich und nannten die Steuer einen „sozial gerechten Beitrag zur Regulierung der Finanzmärkte“. Aber dafür muss man selbstverständlich auch einen Koalitionspartner finden.