Diese Regierung hatte ein großes politisches Ziel für die Legislaturperiode 2009-2014. Finanzminister Luc Frieden (CSV) hatte wenige Monate nach den Kammerwahlen 2009 während der Haushaltsdebatten vor dem Parlament versprochen, „am Ende dieser Legislaturperiode wieder eine Finanzlage zu haben, die im Gleichgewicht ist, und gleichzeitig auch eine Wirtschaft zu haben, die stark ist“. Dann sollte auch endgültig Schluss mit der antizyklischen Ausgabenpolitik sein, die nach dem Finanzkrach 2008 angekündigt worden war. Denn noch immer sehnt sich die Luxemburger Politik heimlich nach dem Keynesianismus zurück.
Seit die Autoren der Maastrichter Stabiltätskriterien aber die Antimaterie zur Privatwirtschaft erfanden und sie hierzulande „administration publique“ oder „Gesamtstaat“, in Deutschland einfach „Staat“ und in Österreich „Öffentlicher Sektor insgesamt“ nennen, sind alle anderen politischen Initiativen der Regierung nur noch Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Die Krankenkassenreform, die Rentenreform, die Reform des Beamtenstatuts, alle sollen sie die Ausgaben von Staat, Gemeinden und Sozialversicherung senken, um bis zu den nächsten Wahlen das Defizit dieses Gesamtstaats zu tilgen.
Zwar hatte ein LSAP-Parteitag im März 2010 eine Resolution verabschiedet, die verlangte, dass „das im Stabilitätspakt der Regierung zurückbehaltene Sparziel als politische Richtschnur [...] und nicht als unverrückbare Rechtsnorm“ gelten soll. Doch Premier Jean-Claude Juncker (CSV) betonte wenig später in seiner Erklärung zur Lage der Nation noch einmal, dass „wir die Gesamststaatsfinanzen so ins Gleichgewicht bringen müssen, dass wir im Jahr 2014, gesamtstaatlich betrachtet, ein Defizit von null Prozent erhalten. Selbst wenn es gelingt – und das muss uns gelingen – das gesamtstaatliche Defizit, also der Zentralverwaltung, der Gemeinden und der Sozialversicherung, auf null Prozent im Jahr 2014 zu senken, selbst dann bleibt im eigentlichen Staatshaushalt ein Loch“. Dabei hatte LSAP-Vizepräsident Georges Engel geargwöhnt, Juncker sei bereit, den Aufschwung zu gefährden, bloß um als Sprecher der Euro-Gruppe den haushaltspolitischen Musterschüler herauszukehren.
Doch schon vor einem Jahr war sich Juncker seiner Sache nicht mehr so sicher und kündigte in seiner Erklärung zur Lage der Nation nur wenig verklausuliert an, dass es der Regierung nicht gelingen werde, ihr Versprechen ausgeglichener Staatsfinanzen bis zum Ende der Legislaturperiode einzuhalten. Denn 2014 sollten die Staatsfinanzen in der „günstigsten Hypothese“ mit einem Fehlbetrag von 200 Millionen Euro abschließen.
Glaubt man den Prognosen des Stabilitätsprogramms, das die Regierung am Wochenende nach Brüssel schickte, läuft sie, trotz ihres am Freitag vorgelegten neusten, 535 Millionen Euro schweren Sparpakets, tatsächlich Gefahr, dieses Ziel zu verpassen und die Legislaturpe[-]riode mit einem Fehlbetrag des Gesamtstaats von rund einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzuschließen. Doch die Prognosen, welche die Regierung in ihrem Stabilitätsprogramm für das Ende der Legislaturperiode anstellt, ändern sich von Jahr zu Jahr erheblich:
Auffällig ist daran weniger, dass die Regierung davon ausgeht, mit Einsparungen und Steuererhöhungen das Defizit des Zentralstaats deutlich zu senken. Beachtlich ist vielmehr, dass sie noch vor zwei Jahren einen Überschuss bei den Gemeindefinanzen für 2014 erwartete und nun ein Defizit vorsieht. Und dass der Überschuss der Sozialversicherung, der bisher immer den Gesamtstaat im Gleichgewicht hielt, 2014 schneller geschrumpft sein wird, als noch vor zwei Jahren vorausgesagt.
In anderen Worten: Blieben der Überschuss der Gemeinden und der Sozialversicherung so, wie noch vor zwei Jahren vorhergesagt, würde durch die Einsparungen der Zentralverwaltung das Defizit des Gesamtaats 2014, wie versprochen, auf null sinken. Doch nun drohen eine Verschlechterung der Finanzen der Gemeinden und der Sozialversicherung die Sparanstrengungen des Zentralstaats und das große politische Ziel der Legislaturperiode zu vereiteln. Der seit Ende vergangenen Jahres nicht mehr zu übersehende erneute Konjunktureinbruch bremst die Steuereinnahmen von Staat und Gemeinden sowie die Zahl der neuen Arbeitsplätze und damit der Sozialversicherten.
Dass 2014 der Gesamtstaat ein Defizit ausweisen könnte, ist – gesetzliche „Schuldenbremse“ hin oder her – kaum ein ökonomisches Problem. Denn die Finanzlage zählt noch immer zu den besten der Euro-Zone, und wenn der Staat Schulden machen muss, um das Haushaltsloch zu füllen, ist das sogar kein schlechtes Geschäft: Die Anleihe über eine Milliarde Euro, die der Staat vor wenigen Wochen aufnahm, ist zu 2,25 Prozent verzinst, also zu einem Satz, der unter der Inflationsrate liegt.
Das Defizit könnte aber ein politisches Problem werden, wenn im Wahlkampf Zweifel an dem von der CSV versprochenen „sicheren Weg“ der christlich-sozialen Finanzkoryphäen aufkämen. Es sei denn, die befürchtete Verschärfung der Schuldenkrise im Euro-Raum bliebe aus und ein Konjunkturaufschwung käme der CSV rechtzeitig zu Hilfe. Schließlich erntete sie schon 2009 durch einen Konjunkturabschwung ein Traumergebnis.