Am heutigen Freitag will Finanzminister Luc Frieden (CSV) der parlamentarischen Finanz- und Haushaltskommission um 14.30 Uhr im ersten Ausschusssaal des Printz-Richard-Gebäudes die aktualisierte Version des Stabilitätsprogramms für die Staatsfinanzen vorlegen. Denn im Rahmen des „Europäischen Semesters“ soll das Programm bis Ende des Monats, also bis nächsten Montag, der Europäischen Kommission in Brüssel unterbreitet werden.
Das ist dann die technische Seite des Versuchs, den Rahmen abzustecken, binnen dem das Staatsdefizit bis zum Ende der Legislaturperiode gesenkt und die Schuldenaufnahme gedrosselt werden sollen. Auch wenn es von der weiteren Konjunkturentwicklung abhängen wird, ob die Regierung tatsächlich ihr Ziel ausgeglichener Staatsfinanzen am Wahltag 2014 erreichen wird.
Andererseits sind das Defizit und die Verschuldung im Vergleich zum Bruttosozialprodukt die zweitniedrigste der ganzen Euro-Zone nach dem Milton-Friedman-Labor Estland. Und die mutigsten der EU-Finanzminister fragen inzwischen, ob der Zeitplan, nach dem die Euro-Länder in den Rahmen der Maastrichter Stabilitätskriterien zurückkehren sollen, nicht gestreckt werden muss, weil er bisher nichts als eine europaweite Rezession ausgelöst hat.
Aber da ist noch die politische Seite des Versuchs, das Staatsdefizit bis zum Ende der Legislaturperiode zu senken und die Schuldenaufnahme zu drosseln. Sie ist heikler, wie die rezenten Wahlen und Regierungskrisen in den Euro-Staaten zeigen: Überall machen die Wähler die Regierungen und Staatsoberhäupter für die Krise und die Krisenpolitik verantwortlich und jagen sie aus dem Amt.
Deshalb versammelt sich die Regierung mit den Spitzen der Koalitionsparteien am morgigen Samstag im militärisch abgeschirmten Schloss von Senningen und bereitet die Erklärung zur Lage der Nation vor. Mit ihr soll Premier Jean-Claude Juncker am Dienstag in acht Tagen dem Land von der Kammertribüne herab möglichst diplomatisch die beschlossenen Steuererhöhungen und Einsparungen schmackhaft machen.
Im Gegensatz zu ähnlichen Unterfangen vergangener Jahre überspringt die Regierung dabei eine bis vor kurzem unersetzliche Etappe: die Tripartite. Obwohl sie Kontakt mit den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden unterhält, macht sie keinerlei Anstalten mehr, in der höchsten institutionalisierten Form des Sozialdialogs eine Kompromiss[-]einigung über die Steuererhöhungen und Einsparungen zu suchen. Doch auch von den Sozialpartnern kam bisher keine Forderung nach der Einberufung einer Tripartite über die geplanten Austeritätsmaßnahmen. Mit dem wiederholten Scheitern der vorübergehend in zwei „Bipartite“ aufgebröselten Tripartite passt sich so das Sozial[-]modell dem restlichen Euro-Raum an.
Dafür scheint der politische Konsens im Parlament um so größer zu sein. Regierungskoalition und Opposi[-]tion sind sich einig, den im Comité de prévision vereinten Steuer- und anderen Verwaltungen Glauben zu schenken, die für dieses Jahr einen Rückgang des Wirtschaftswachstums um 0,9 Prozent voraussagten. Auch wenn LSAP-Fraktionssprecher Lu[-]cien Lux bereits im Juli vergangenen Jahres angekündigt hatte, dass nicht nur die Krise zu Ende sei, sondern auch der Ausstieg aus der antizyklischen Sparpolitik. Und die Regierung gerade die nur ein Jahr lang erhobene Krisensteuer wieder abschaffte.
Von der allgemeinen Einschätzung der Lage weicht im Grund nur die CGFP entschieden ab, die als einzige aus der Erfahrung der vergangenen Jahre heraus die Vorhersagen des Comité de prévision offen in Frage stellt. „Eine ganze Nation im banne flaschen Zahlen“, heißt es die[-]se Woche in ihrem Rundbrief Fonction publique compact und: „Experten dementieren die eigene Prognose.“
Dagegen pflichten DP, Grüne und ADR der CSV und LSAP bei, dass umgehend Vorkehrungen getroffen werden müssen, um das vom Comité de prévision für nächstes Jahr vorausgesagte Defizit von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzuwenden, weil es den Rahmen der Maastrichter Stabilitätskriterien sprengen würde. Nur die mit einem einzigen Abgeordneten im Parlament vertretene déi Lénk schert aus und meint, dass „die Finanzlage des Staates als auch der So[-]zial[-]systeme im Vergleich zu den Nachbarländern“ gut sei, so eine Kongressresolution vom Wochenende, weshalb die Regierung „Schreckensszenarien in die Zukunft projiziert“, um „eine „unsinnige Politik der wirtschaftlich zerstörerischen Austerität“ betreiben zu können.
Wenn es darum geht, keine zusätzlichen Ausgaben zu schaffen und deshalb die versprochene Punktwerterhöhung im öffentlichen Dienst aufzuschieben, sind sich, trotz des wiederholten Meinungswechsels der CSV, CSV und LSAP, Grüne und ADR ebenfalls einig – auch in der Überzeugung, dass die CSV sich schon das Einverständnis der CGFP aushandeln wird. So wollen die Parteien vermeiden, dass die Wähler Zweifel an der Notwendigkeit der geplanten Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen bekommen. Obwohl CSV, LSAP und DP diese Woche binnen weniger Stunden 196,1 Millionen Euro für die Fertigstellung der Liaison Micheville und der Nordstraße bewilligten.
Wo die Meinungen aber auseinander gehen, ist bei der Frage, wie die 500 Millionen aufgetrieben werden sollen, um die das Defizit jährlich gesenkt werden soll: über Einsparungen, über Steuererhöhungen, über Einsparungen und Steuererhöhungen, beziehungsweise in welchem Verhältnis. Wobei die Front zwischen den unterschiedlichen Sanierungsvorschlägen wieder einmal deutlich zwischen Links und Rechts im Parlament und selbst innerhalb der Parteien verläuft, wie die rechtsliberalen Profilierungsversuche von CSV-Finanzminister Luc Frieden im Vergleich zur christlichen Soziallehre seines Parteikollegen Jean-Claude Juncker und der LSAP zeigen.
Denn was von den einen als eine Frage ökonomischen Sachverstands, von den anderen als Ideologie dargestellt wird, läuft in Wirklichkeit auf die simple Entscheidung hinaus, wer die zusätzlich 500 Millionen jährlich zahlen soll. Auch die Reduzierung des Staatsdefizits ist eine Umverteilungspolitik: Die Erhöhung direkter Steuern trifft vor allem die Bezieher höherer Einkommen, die viele Steuern zahlen, oder die Unternehmen; Einsparungen und die Erhöhung von indirekten Steuern treffen dagegen vor allem die Bezieher niedriger Einkommen, die auf staatliche Dienstleistungen sowie So[-]zial[-]transfers angewiesen sind und ihr verfügbares Einkommen verkonsumieren müssen.
Deshalb haben sich CSV und LSAP, die sich beide als Volksparteien verstehen, welche wirtschafts- und so[-]zial[-]politische Interessen unter einen Hut bringen wollen, wieder auf zwei Drittel Einsparungen und ein Drittel Steuererhöhungen verständigt. Was aus ihrer Sicht irgendwie auch auf 333 Millionen Wirtschaftspolitik und 167 Millionen Sozialpolitik hinauslaufen soll.
Dem Verhältnis von zwei Drittel Einsparungen bei laufenden Ausgaben und Investitionen sowie einem Drittel Steuererhöhungen schließt sich allerdings nur die ADR an, wie sie bei der Orientierungsdebatte im Parlament Ende vorigen Monats erklärte. Die DP lehnt dagegen ganz liberal Steuererhöhungen weitgehend ab und würde am liebsten se[-]hen, wenn das Staatsdefizit einseitig über Einsparungen verringert würde. Die Grünen, die mit Steuern gerne steuern möchten, verlangten dagegen vergangene Woche während einer Pressekonferenz, das von der Regierung beschlossene Verhältnis umzukehren: Zwei Drittel der halbe Mil[-]liar[-]de jährlich sollen durch Steuererhöhungen aufgebracht werden, ein Drittel durch Einsparungen.
Bei den im Zeichen der Steuergerechtigkeit geplanten Steuererhöhungen könnten eine Erhöhung der Solidaritätssteuer und eine Erhöhung des Spitzensatzes auf der Einkommenssteuer am meisten politische Unterstützung finden. Die Einführung einer, wenn auch nur symbolischen, Abgabenpauschale für Unternehmen, die keine Körperschaftssteuer zahlen, stößt dagegen schon manchenorts auf Bedenken, dies könnte von ausländischen Investoren missverstanden werden.
Dafür lassen die Parteien bei den Einsparungen ihrer Fantasie freien Lauf. Während die DP schon vor zwei Jahren die buntesten Sparvorschläge zur Vermeidung von Steuer[-]erhöhungen gesammelt hatte, will die ADR die Straßenbahn und die Kampagne für einen Sitz im Weltsicherheitsrat ersatzlos streichen. Die Grünen wollen bei der Mammerent, der Kilometerpauschale und der Care-Prämie sparen. Die regierende LSAP schickte ihre Jugendorganisation vor, um die Mammerent und die Kultusausgaben ersatzlos zu streichen und bei der Armee und dem großherzoglichen Hof zu sparen. Nach der Elefantenjagd des spanischen Königs musste sich Jean-Claude Juncker am Donnerstag schon fragen lassen, ob man sich nicht die Kosten für die Hochzeit bei Hofe nicht sparen sollte.