Ob das die miese Laune bei den Handwerksvertretern hebt? Am vergangenen Freitag, einen Tag nach der Pressekonferenz einer erbosten Handwerkerförderation zu den gescheiterten Tripartiteverhandlungen, hieß der schwarz-rote Regierungsrat den Projet de loi règlementant l’accès aux professions d’artisan, de commerçant, d’industriel ainsi qu’à certaines professions libérales gut. Hinter dem langen Namen verbirgt sich nichts anderes als weitere Umsetzungsbestimmungen zu den umstrittenen EU-Dienstleistungs- und Qualifikationsdirektiven – die von der Handwerkskammer aber „als Chance“ gesehen werden.
Konkret geht es um ein vereinfachtes Niederlassungsrecht sowohl für industrielles, kaufmännisches als auch handwerkliches Gewerbe. Händler, die einen Gesellenbrief (früher CATP, seit der Berufsausbildungsreform von 2008 DAP, diplôme d’aptitude professionnelle) oder eine dreijährige Berufspraxis vorweisen können, sollen künftig ein Geschäft aufmachen können, ohne die bisher vorausgesetzte Führungserfahrung zu haben.
Im Handwerk soll die Kopplung von Berufsausbildung und Gewerberecht aufgehoben werden. Statt in 71 métiers principaux, die einen brevet de maître erfordern und 91 métiers secondaires zu unterscheiden, bei denen ein DAP ausreicht, wird es künftig zwei Listen – A und B – mit insgesamt lediglich 96 handwerklichen Tätigkeitsfeldern geben. Wer eine Existenz gründen im Feld der Liste A will, wird auch in Zukunft grundsätzlich einen Meisterbrief vorweisen müssen, während zur Liste B auch Handwerker mit einem Gesellenbrief Zugang haben. Allerdings werden einige Tätigkeiten, die zuvor einen Meisterbrief voraussetzten, in die Liste B herabgestuft. Wer sich beispielsweise als Estrichverleger selbständig machen will, braucht kein Meisterdiplom mehr.
Zudem wird die Liste der Berufe gestrafft: Die Abschlüsse boulanger-pâtissier und pâtissier-chocolatier-confiseur-glacier, zum Beispiel, werden zum boulanger-pâtissier zusammengefasst. Wer ein Meisterdiplom als marbrier, tailleur-sculpture de pierres oder carreleur hat, kann künftig im Feld carreleur-marbrier-tailleur de pierre tätig werden. Der Bachelor professionnel ist dem Meisterbrief gleichgestellt, und wer weder einen Bachelor, noch einen Meisterbrief vorweisen kann, aber eine abgeschlossene Lehre sowie sechs Jahre Führungserfahrung hat, darf ebenfalls seinen eigenen Betrieb gründen.
Die Liberalisierung findet bei der Luxemburger Berufsvertretung weitgehend Zustimmung. „Die Regelungen beenden die Diskriminierung, die Luxemburger gegenüber ausländischen Betrieben haben, die über die erweiterte Freizügigkeit hierzulande ihre Dienstleistung anbieten können, ohne Luxemburger Recht zu erfüllen“, begrüßt Tom Wirion von der Handwerkskammer die geplante Regelung. Das habe zu unfairen Bedingungen geführt und den Wettbewerb verzerrt. Eine Gefahr für die Qualität der Dienste aufgrund geringerer Qualifikationsanforderungen sieht Wirion nicht. „Der Meisterbrief ist nicht abgeschafft, die Betriebe können damit weiterhin als Gütesiegel werben.“
Vor allem in Deutschland hatten sich Handwerkskammern lange gegen die „Aufweichung“ des Niederlassungsrechts durch niedrigere berufliche Anforderungen gestemmt. Der deutsche Meisterbrief galt als Inbegriff deutscher Qualitätsarbeit im Handwerk – und als ein Bollwerk gegen geringer qualifizierte Konkurrenz. Mit der Öffnung des europäischen Binnenmarktes jedoch mehrten sich auch dort Stimmen, die sich gegen „eine mittelalterliche Ständepolitik“ und den „Meisterbriefzwang“ wehrten. Damit würden sich große Handwerksbetriebe das Kleingewerbe vom Leib halten, das sich die teure Meisterprüfung oft nicht leisten könne, kritisierte beispielsweise der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker (BUH).
In Luxemburg wurde die enge Bindung des Gewerberechts an den Meisterbrief schon 1989 liberalisiert – wenngleich zunächst unter Protest einheimischer Handwerksbetriebe. Die Unterscheidung in métiers principaux und métiers secondaires, die es bei 31 neuen Tätigkeiten erstmals erlaubte, ohne Meisterbrief einen Betrieb zu gründen, erfolgte sogar bereits 1962. Mit dem Gesetz von 1975 wurde der Universitätsabschluss des Ingenieurs mit dem Meisterbrief gleichgestellt und 1988 konnten Hochschulabsolventen mit Führungserfahrung von 20 Jahren (2000 auf sechs Jahre herabgesenkt) ebenfalls einen Betrieb aufmachen. Mit der Einführung des EU-Binnenmarkts nahm die Anzahl ausländischer Betriebe in Luxemburg rasant zu. Im Baugewerbe, so Tom Wirion, der die Liberalisierung des Gewerberechts eine „intelligente Öffnung“ nennt, komme inzwischen auf einen luxemburgischen Betrieb ein ausländischer, zumeist aus der Grenzregion.
Deutsche Handwerkskammern hatten die enge Koppelung des Meisterbriefs an das Niederlassungsrecht auch damit verteidigt, die bessere Ausbildung schütze die deutsche Wirtschaft vor einer hohen Insolvenzquote, weil deren Absolventen fundierte kaufmännische Kentnisse bekamen. Der vom Luxemburger Regierungsrat vorgesehene Entwurf enhält auch Bestimmungen, um betrügerische Konkurse und Briefkastenfirmen vorzubeugen. Wer ein Unternehmen gründen will, muss nicht nur berufliche Mindestanforderungen erfüllen, sondern darf weder persönlich, noch als Leiter eines anderen Betriebs Ausstände bei Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen haben. Im Klartext: Wer seine alten Schulden nicht tilgt, hat auch kein Recht auf eine neue Handelsermächtigung.