Zu den großen Abenteuern der Legislaturperiode gehört der vor drei Jahren vom zuständigen parlamentarischen Ausschuss hinterlegte umfangreichste Revisionsversuch der Verfassung seit 1868. Diese Revision soll den noch aus dem Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts stammenden Verfassungstext an die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit anpassen. Damit Luxemburg im Ausland nicht mehr als Operettenmonarchie belächelt wird, und weil das 1996 geschaffene Verfassungsgericht nicht mehr erlaubt, die Verfassung metaphorisch auszulegen wie das Alte Testament.
Seit der Verfassungskrise um das Euthanasiegesetz Ende 2008 soll die Revi[-]sion zudem die Machtbefugnisse des politisch unberechenbar gewordenen Großherzogs bis auf ein symbolisches Minimum beschneiden. Eine nennenswerte Erweiterung der Demokratie, die Gewährung neuer Rechte und Freiheiten ist dagegen nicht vorgesehen.
Eine entscheidende Etappe in der jahrelangen Revisionsprozedur wurde am Mittwoch dieser Woche bewältigt, als der Staatsrat nach mehr als hundert Sitzungen sein mit Spannung erwartetes, fast 300 Seiten starkes Gutachten zum Revi[-]sions[-]entwurf verabschiedete. Er schließt sich der Absicht einer weitgehenden Modernisierung der Verfassung an und schlägt einige Änderungen an der vom Parlament vorgesehenen Struktur vor.
Außerdem will der Staatsrat Abschlussbestimmungen in den neuen Text setzen, nach denen die ak[-]tuelle Verfassung nicht bloß abgeändert, sondern abgeschafft und durch einen neuen Text ersetzt wird. Was die CSV in Verlegenheit bringen könnte, die in ihrem Wahlprogramm ein Referendum zur Legitimierung der neuen Verfassung versprochen hatte, dann aber die Revision als nicht mehr so grundlegend bezeichnete, dass die Volksbefragung nötig würde.
Nachdem die poltischen Parteien sich im parlamentarischen Ausschuss für die Institutionen und die Verfassungsrevision darauf geeinigt hatten, die Vorrechte des Großherzogs radikal zusammenzustreichen, hatte die Regierung auf Wunsch des Großherzogs 16 Änderungsanträge zum Revisionsentwurf vorgelegt, um unter anderem sein Vorrecht auf die Verkündung von Gesetzen, die Ernennung von Beamten, Richtern und Offizieren, die Verkündung von Gerichtsurteilen, die Begnadigung von Straftätern und auf die Änderung des Nassauischen Erbvereins zu erhalten. Überraschend und ohne nähere Erklärung schließt sich der sonst auf strenge Gewaltentrennung bedachte Staatsrat nun dem Bemühen von Regierung und Palais an, die weitere Beschneidung der nicht immer auf die Exekutive beschränkten Vorrechte des Großherzogs zu verhindern, einschließlich seines in einer Währungsunion obsoleten Münzrechts.
Andererseits schlägt der Staatsrat vor, die Erwähnung des Großherzogs an verschiedenen Stellen des neuen Verfassungsentwurfs durch den neutralen Begriff des Staats[-]oberhaupts zu ersetzen, so als ob die Bestimmungen auch nach der Ausrufung der Republik ihre Gültigkeit behalten sollte. Außerdem schließt er sich dem Vorschlag an, dass einzig die Verfassung und nicht mehr der private Nassauische Erbverein die Thronfolge regeln soll. Auch bemüht er sich um eine strengere Trennung der Staatsfinanzen und der Finanzen des großherzoglichen Hofs.
Gleich im ersten Abschnitt der Verfassung über die Staatsform und die nationale Hoheit will der Staatsrat die Teilnahme an der europäischen Integration zum Verfassungsauftrag erheben. Anders als das Parlament erneuert er auch seinen Vorschlag, dass der Großherzog beziehungsweise die Regierung europäischen Richtlinien flexibel Gesetzeskraft verleihen können, wobei er die merkwürdige Konstruktion erfindet, dass ein Gesetz festlegen soll, in welchen Bereichen künftig keine Gesetze mehr nötig wären.
Andererseits will der Staatsrat weitere Bereiche festlegen, in denen die Verfassung dem Parlament Abstimmungen mit einer qualifizierten Mehrheit abverlangt, etwa über das Wahlrecht, das Staatsgebiet oder die Dynastie. Das Recht, den Krieg zu erklären, soll zwar vom Großherzog auf das Parlament übertragen werden, aber eine qualifizierte Mehrheit hält der Staatsrat für über[-]flüssig oder hinderlich.
Wie Parlament und Regierung schlägt der Staatsrat keine nennenswerte Ausweitung der demokratischen Rechte vor. Weil aber der Katalog der bürgerlichen Freiheiten nicht mehr den internationalen Abkommen gerecht werde, wünscht er sich einen allgemeinen, „transversalen“ Artikel über die Prinzipien der Einschränkung individueller Freiheiten, die dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, dem Schutz der Freiheiten Anderer und dem öffentlichen Interesse gehorchen soll.
Während der Revisionsentwurf des Parlaments das Justizwesen in seiner derzeitigen Form bestehen lassen will, schlug die Regierung in ihrem Gutachten vor, nach US-Vorbild ein Oberstes Gericht einzuführen. Davon ausgehend, will der Staatsrat im Interesse einheitlicher Rechtsnor[-]men ebenfalls ein Oberstes Gericht einführen, das auch dem Verwaltungsgericht vorsteht und nicht nur die Rolle des Kassationshofs spielen, sondern nach bloß 16 Jahren das Verfassungsgericht ersetzen soll. Außerdem schließt er sich dem von vielen Richtern mit Misstrauen begegnetem Vorschlag der Regierung an, einen Conseil national de la justice zu schaffen, der für die Ernennung der Richter und Disziplinarverfahren zuständig werden soll.