Die Europäische Kommission würde die Immigration nach Europa gerne für alle Mitgliedstaaten regeln. Angesichts der Problematik alternder Gesellschaften in Europa und eines steigenden Migrationsdrucks in vielen außereuropäischen Ländern ist das Ansinnen nur logisch in einem gemeinsamen Markt und angesichts der Tatsache, dass viele Einzelstaaten mit der Aufgabe, legale und illegale Migration zu regeln, in Krisensitua-tionen schnell überfordert sind. Die griechisch-türkische Landgrenze ist dafür zurzeit das aktuellste Beispiel.
Für eine europäische Migrationspolitik fehlt es jedoch im Vertrag von Lissabon an den notwendigen Voraussetzungen. Weiterhin bestimmt jedes Land selbst, wie viele Migranten es zulässt und zu welchen gesetzlichen Bestimmungen. Harmonisierungen sind ausdrücklich ausgeschlossen. Die EU konzentriert sich vor allem auf die Abwehr illegaler Einwanderung.
Die griechischen, französischen und bald auch niederländischen Wahlkämpfe zeigen, wie sehr versucht wird, mit Migration und Integration Stimmung zu machen. Europa braucht einen Sündenbock für seine Krise und immer mehr suchen diesen am falschen Ort. In dieser politischen Großwetterlage hat die König-Baudouin-Stiftung am 9. Mai, dem inoffiziellen Feiertag der Europäischen Union, die Studie Immigrant Citizens Survey veröffentlicht, die den Fokus nicht wie üblich darauf legt, was denn die Zuwanderungsgesellschaft von den Migranten erwartet, sondern wie die Migranten ihre eigene Situation sehen. Damit will die Stiftung den Migranten eine eigene Stimme geben und ihnen Gehör verschaffen. Die Umfrage wurde Ende 2011/Anfang 2012 in 15 europäischen Großstädten in Belgien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Portugal und Spanien durchgeführt. Befragt wurden 7 473 legale Einwanderer der ersten Generation aus nicht EU-Staaten. Im Laufe des Jahres werden die Ergebnisse in den einzelnen Ländern vorgestellt werden. Die Stiftung verspricht sich davon eine Versachlichung der Diskussion und will mit den Ergebnissen Einfluss auf die aktuelle Politik ausüben.
Die Verfasser haben sechs Themen abgefragt. Im wichtigen Kapitel Beschäftigung mussten sie feststellen, dass es wenige Generalisierungen für den Arbeitsmarkt gibt. Dieser sei in der Regel lokal bestimmt. Im Südeuropa gebe es kaum legale Arbeitsverträge, in Nordeuropa sei das Misstrauen gegenüber fremden beruflichen Qualifizierungen besonders groß. Ein Drittel aller Migranten fühlt sich für die Arbeit, die sie ausüben, überqualifiziert. Qualifizierte Migranten tun aber auch selbst zu wenig dafür, dass ihre Qualifikationen anerkannt werden. Bemühen sie sich explizit darum, können sie häufig eine Anerkennung durchsetzen. Einwanderer haben größere Schwierigkeiten als die ansässige Bevölkerung eine Balance zwischen Arbeit, Ausbildung und Familie zu finden.
Wenig überraschend ist die Erkenntnis, dass Einwanderer mehr Sprachen sprechen als die übrige Bevölkerung. Wichtiger ist die Tatsache, dass viele an Sprach- und/ oder Integrationskursen teilgenommen und diese Kurse oft sehr geschätzt haben. Sie wünschen sich meistens, dass Informationen über solche Kurse leichter zu erhalten wären. Überraschend ist indes, dass Einwanderer oft genauso politisch interessiert sind wie die heimische Bevölkerung und sich wünschen, an Wahlen teilnehmen zu können. Nur ein kleiner Teil der Einwanderer der ersten Generation war jemals von Partner oder Kindern getrennt, die Mehrheit der getrennten Familien konnte im Laufe der Jahre zusammenziehen. Die Familienzusammenführung hilft den Migranten, sich in der neuen Heimat zu Hause zu fühlen und unterstützt die allgemeine Integration.
80 bis 95 Prozent aller Einwanderer wollen sich dauerhaft im Land etablieren. Die dafür notwendigen Dokumente und das Verhalten der Behörden werden häufig als Haupthindernis dafür gesehen, eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Wer diese jedoch bekommt, hat langfristig auch bessere Jobs. Drei von vier Einwanderern wollen die jeweilige Staatsbürgerschaft erwerben. Schwierige Bestimmungen in Frankreich und die nicht zugestandene doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland wurden oft als größte Hindernisse für eine Einbürgerung genannt.
Françoise Pissart, eine Direktorin der König-Baudouin-Stiftung, freut sich über die Ergebnisse der Studie: „Während sich die öffentliche Debatte auf die Probleme der Einwanderung fokussiert, zeigt unsere Studie vor allem die Erfolge.“ Hoffentlich macht das Beispiel Schule, dass Europa mehr mit den Einwanderern redet als über sie.