Zeitgenössische Theaterstücke auf die Bühne zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen. Selbst wenn die Bühnentexte sprachlich stark sind, wie etwa bei Jelinek, bleibt es schwer, diese Sprache in gelungene Bilder zu übersetzen, gerade bei fremdsprachlichen Ursprungstexten.
Mit Leuchtfeuer wagt sich Fabio Godinho an ein Bühnenstück von Nancy Harris (The Beacon, 2019), das er in einer deutschen Übersetzung (von Jessica Higgins) und als Co-Produktion mit dem Staatstheater Mainz auf die Bühne des Kapuzinertheaters bringt.
Bereits der Plot dürfte niemanden überfordern und erinnert eher an ein ZDF-Abendserienformat. Nancy Harris ist in Deutschland denn auch bekannt geworden durch ihre Fernsehserie The Dry. „Leuchtfeuer sei eine ebenso berührende wie abgründige Familiengeschichte“, liest man im Programmheft.
Colm (Henner Momann) kehrt mit seiner Ehefrau Bonnie (Jil Devresse) zum ersten Mal seit vielen Jahren in den Heimatort seines Vaters, eine irländische Insel vor West Cork zurück. Seine Mutter Beiv (Andrea Quirbach), eine bildende Künstlerin und feministische Ikone, die auf der Insel zurückgezogen lebt, hat das halbe Haus abgerissen und beschlossen, nur noch gläserne Wände zu installieren, um sich so bewusst zur Schau zu stellen. Die Leute im Dorf tratschen ohnehin über sie. Seit dem mysteriösen Tod ihres Mannes, der vor zehn Jahren auf dem Meer umkam, wird geraunt, dass sie ihn umgebracht haben könnte. Seitdem widmet sie sich ganz und gar ihrer Kunst.
Der plötzliche Besuch ihres Sohnes birgt Sprengstoff. Alte Wunden werden aufgerissen, und es kommt zur offenen Konfrontation. Colm hat seiner neurotischen Mutter die Hochzeit mit der Kunststudentin Bonnie verschwiegen. Das plötzliche Auftauchen seines alten Jugendfreundes Donal (Philippe Thelen), mit dem er ein homoerotisches Verhältnis hatte, lässt die Situation final eskalieren.
Wie bereits in seiner Inszenierung von Die Laborantin (2022) im Kapuzinertheater hat Fabio Godinho gemeinsam mit seinem Bruder an der Produktion gearbeitet. Das offene Bühnenbild wurde vom Künstler Marco Godinho entworfen. Auf einem Holzsteg treten die Figuren auf und ab. Im Hintergrund das Meer, das sich mit seinem Rauschen förmlich in den Raum schiebt. Im Vordergrund wird mit einer Staffelei und einem ausgestopften Tier ein kleines Kunstatelier angedeutet.
Es beginnt vulgär. Die Rede ist von Vulva, Orgasmus und Sex. „Bonnie liebt diesen ganzen Bullshit“, stellt Colm direkt klar. Und es wird pädagogisch ins Publikum geworfen: „Wir sprechen hier mit Irlands großer feministischer Künstlerin.“ „Ich kann es nicht fassen, dass ich in deinem Haus bin. Ich habe Dich studiert“, gibt Jil Devresse als Bonnie verzückt von sich. – „Ich liebe diese riesige Skulptur deiner Tampons. Ich find’s so toll, was Du hier machst“, kräht Bonnie fasziniert. „Naja, jetzt kehre ich wieder zu Blutorangen zurück. Das ist viel einfacher“, entgegnet ihr ihre Schwiegermutter Beiv, die in Latzhose mit Farbflecken und wallendem Haar kaum stereotyper als Künstlerin inszeniert sein könnte. Ihr Sohn sieht in ihrer Malerei lediglich „Kleckse“. In Dublin gehe die Kunst seiner Mutter den Leuten „am Arsch vorbei“.
Unbedarft plappert Bonnie ihre Schwiegermutter voll, schwärmt davon, dass sie „eine Frauen-Kommune“ gegründet habe. „Einige von denen waren sehr bedürftig und mit Bedürftigen hab ich es nicht so“, entgegnet ihr Beiv genervt und erklärt, sie habe Beziehungen mit Frauen und Männern gehabt – und alle seien irgendwie ‚schwierig‘ gewesen, während sie Bonnie abzuschütteln versucht und auf ein gemeinsames Dinner vertröstet. Denn als Künstlerin könne sie abends nicht in den Spiegel blicken, wenn sie nichts geschaffen hätte. Authentische „Einblicke aus dem Alltag einer Künstlerin“ habe er mit der Inszenierung im Sinn gehabt, erklärte Regisseur Godinho im Vorfeld.
Dann lassen sie die Korken knallen. Erwartungsgemäß eskaliert es auch zwischen Mutter und Sohn sowie zwischen den Frischvermählten. Als Bonnie im Anschluss verschwindet herrscht allgemeine Ratlosigkeit. „Wir könnten die Seenotrettung rufen“, schlägt Donal vor.
Beiv wundert es nicht, dass Bonnie ausgebüchst ist. Sie sei jung und flatterhaft, wirft sie ihrem Sohn vor. Er habe sie immer „wie eine Prinzessin behandelt“, beteuert er, doch sie suche „ein Leuchtfeuer“, so die Künstlerin.
Über fast zwei Stunden hagelt es klischeehafte Vorwürfe. „Hättest Du nicht so einen reichen Anwalt geheiratet, könntest Du nicht deine Mösen aus Beton bauen“ unterstellt der Sohn Colm seiner Mutter zum Backgroundsound des rauschenden Meeres. Ein Totenkopf vor dem Haus sorgt für Irritation. Ein von Unheil kündendes Omen? Sie habe diesen vor dem Haus drapiert, so die Malerin.
Irgendwann wird Bonnie mit Ray (Regisseur Godinho) in das Haus platzen und die Kunst kommentieren: „Boah, t’ass ja unglaublisch. Escht schön!“ und prompt Material für seinen nächsten Podcast sammeln. Donal wird wütend sein Handy zertrümmern und ihn als „Fucking Scorsese des Podcasts“ bezeichnen, während Bonnie arglos ihren Joghurt löffelt. Obwohl sie gelernt habe, dass Sexualität fließend sei, sei beim Anblick ihres Mannes mit seinem alten Jugendfreund „irgendwas in ihr zerbrochen“. Deshalb habe sie sich aus dem Staub gemacht.
Am Ende wird die Frage, ob Beiv – im weißen, Unschuld suggerierenden, wallenden Gewand – ihren Mann getötet habe, noch gelüftet, indes ihr Sohn einen Rucksack geschultert hat (Achtung, er wird für immer gehen!). Verwundert reibt man sich die Augen und kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Die luxemburgischen Schauspieler/innen sprechen – mit Ausnahme von Bonnie – eher Luxemburgisch als Deutsch. An einer Stelle rutscht Philippe Thelen sogar ein „Hal d’Maul!“ raus.
Die Frauenrollen sind – wie schon bei Die Laborantin – ausnahmslos sexualisiert, hysterisch oder betulich inszeniert. Jil Devresse als „Bonnie“ spielt haargenau dieselbe naive Rolle wie als Honey in Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (siehe d’Land 31.05.2024), während Beiv als Karikatur einer feministischen Künstlerin parodiert wird.
Im Gegensatz zu Die Laborantin verblüfft diese oberflächliche, klischeeüberfrachtete Inszenierung jedoch vor allem durch das komplette Fehlen von Regie-Ideen. Die Figuren treten auf und ab und sprechen hölzern ihren Text. Die Dialoge der Textvorlage von Nancy Harris sind unglaublich trashig.
So bleibt Leuchtfeuer mit Ausnahme von Belichtung (Marc Thein) und Sound-Kompositionen (Nigji Sanjes) und der einzigen sehr wahren Erkenntnis, dass Podcasts ein überschätztes Format sind, als beklemmend provinziell in Erinnerung.