Der Olymp der christlich-sozialen Familie hat sich am Samstag vergrößert: Zu dem unnahbaren Patriarchen Pierre Werner, dem geselligen Onkel Jacques Santer und dem einst naseweisen Enkel Jean-Claude Juncker kommt nun der charmante Schwiegersohn Claude Wiseler.
Claude Wiseler ist nach dem Sturz von Jean-Claude Juncker 2013 kein kraft seines Amtes „natürlicher“, sondern der erste gewählte Spitzenkandidat der CSV. Deshalb erzählte er den rund 500 National- und Bezirksdelegierten im Forum Geesseknäppchen, wie Pierre Werner ihm vor 30 Jahren nach einer Wahlversammlung das Geheimnis christlich-sozialen Regierens anvertraute. Das Geheimnis ist selbstverständlich von erbärmlicher Plattheit – Hingabe, Verantwortungsbewusstsein und Standfestigkeit –, aber es ist der Offenbarungsakt, der Claude Wiseler doch noch zu einem Auserwählten machen soll.
Nachdem Präsident Marc Spautz als Mann fürs Grobe den „Zickzackkurs“ der angeblich familien- und kirchenfeindlichen Regierung abgekanzelt hatte, stellte Claude Wiseler erstmals den Plang fir Lëtzebuerg vor, die Eckdaten des Programms, mit dem die CSV sich bei den Kammerwahlen in zwei Jahren andienen will. Acht Jahre nach dem damaligen DP-Präsidenten Claude Meisch stolzierte auch Claude Wiseler als Alleinunterhalter mit drahtlosem Mikrofon und Ohrhörern im Scheinwerferlicht über die Bühne. Mittels sorgfältig eingeübter Spontaneität versuchte er, all jene in der Zuhörerschaft zu seinen Füßen Lügen zu strafen, die ihn für grau und lau halten. Das christlich-soziale Volk bestätigte seine gekonnt eingefädelte Nominierung mit 488 von 496 Stimmen bei fünf Gegenstimmgen und drei Enthaltungen. Nur Leonid Breschnew erhielt seinerzeit anderthalb Prozentpunkte mehr.
Claude Wiseler las von einem Päckchen Bristol-Karten ab, wie der ihr vor drei Jahren dummerweise entglittene CSV-Staat aussehen soll, wenn die CSV wieder die Kontrolle über ihn erlangen wird. Der Spitzenkandidat versprach keine Rückkehr zu den alten Verhältnissen. Er will vielmehr dort fortfahren, wo DP, LSAP und Grüne nach einer kurzen Programmunterbrechung aufgehört haben, wenn sie einige überfällige Reformen am CSV-Staat vorgenommen haben, die der rechten Wählerschaft allzu große Pein bereitet hätten. Nicht einmal die mit dem Erzbischof ausgehandelte Privatisierung der Priestergehälter, die Abschaffung der Kirchenfabriken und des Religionsunterrichts oder die Kindergeldkürzungen will Claude Wiseler rückgängig machen. Um ein moderner Konservativer zu sein, beteuerte er lieber seine Bewunderung für Wirtschaftsminister Etienne Schneiders Rifkin-Show und Asteroidenbergbau. Wieder geändert werden sollen vor allem Gesetze zur Regulierung der Arbeitsverhältnisse, wie dasjenige über die Ausschüsse, die Berufsausbildung oder die Arbeitszeit. Erwartungsgemäß gönnt die CSV der liberalen Regierung auch kein erfolgreiches Referendum über die Verfassungsrevision, sondern will es bis nach den Wahlen verzögern. Dafür will sie, unbelehrbar, ein Referendum organisieren, um die Zahl der Gemeinden „ganz solide zu reduzieren“. Binnen 72 Stunden meldete die DP sich schon als Verteidigerin der Gemeindeautonomie.
Vor allem will Claude Wiseler die moderne Sparkoalition, so wie sie 2013 angetreten war und sich 2016 verleugnet hat, fortsetzen in einer konservativen Variante. Im Koalitionsabkommen hatte die Regierung ein mittelfristiges Haushaltsziel von +0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abgemacht, vor einem halben Jahr hat sie es auf -0,5 Prozent gesenkt. Es sei unverantwortlich, meinte Wiseler, bei vier bis fünf Prozent Wirtschaftswachstum ein Haushaltsdefizit einzuplanen und die Staatsverschuldung zu erhöhen. „Das Ziel der CSV muss positiv werden“, kündigte er an.
In der Vergangenheit traten die christlich-sozialen Finanzminister als strenge Patriarchen auf, die die Staatsgelder nach Hausväterart zu verwalten behaupteten. Weil auch sie nach 2008 nicht mehr die versprochene Sicherheit der Staatsfinanzen gewährleisten konnten, wollen sie nicht auf die Zwangsjacke des mittelfristigen Überschussziels als wirtschaftliches Disziplinierungsinstrument verzichten. Andererseits traut sich die CSV nicht, so mutig wie die liberale Koalition in ihrer ersten Euphorie zu sein. Deshalb kündigte Claude Wiseler ein mittelfristiges Haushaltsziel von +0,25 Prozent an.
Weil die CSV besser sparen will als die Regierung, sei auch die zum 1. Januar geplante Steuerreform „in diesem Umfang nicht möglich“, warnte der Spitzenkandidat. Gleichzeitig stellte er eine Umverteilung der Steuerlast in Aussicht und versprach, wie schon im Dezember 2014 und wie vorübergehend auch Finanzminister Pierre Gramegna, den „taux d’affichage“ der Körperschaftsteuer auf den Unternehmensgewinnen „schrittweise“ und „langfristig auf 15 Prozent“ senken zu wollen, selbstverständlich bei einer Ausweitung der Bemessungsgrundlage, wie sie OECD und Europäische Union vorzuschreiben versuchen. Damit wird die CSV kurze Zeit als besonders unternehmerfreundlich dastehen. Aber in ihren Wahlprogrammen werden sich bis 2018 die wenigsten Parteien einer weiteren Runde Steuerdumping verschließen.
Weil der liberalen Regierung 2013 mit Hilfe allerlei von der CSV/LSAP-Koalition enttäuschten Unternehmerlobbys ins Amt geholfen wurde, gab sich Claude Wiseler betont unternehmerfreundlich, vielleicht auch im Gegensatz zur Sozialdemagogie eines Jean-Claude Juncker. Er habe eine Darstellung „satt“, dass „Luxemburg in zwei Welten eingeteilt“ sei, in denen „die Leute die Guten“ und die „Unternehmen die Schlechten“ seien, in denen nachgerechnet werde, wie viel von den geplanten Steuersenkungen auf die natürlichen und wie viel auf die juristischen Personen entfallen. Die CSV wolle „die Wirtschaft und unsere Betriebe auch im politischen Diskurs wieder in die Mitte der Gesellschaft“ rücken.
Zur Sozial-, Familien- oder Bildungspolitik hielt sich Claude Wiseler auffallend zurück, beschränkte sich auf karitative Floskeln wie, dass die CSV niemand am Straßenrand zurücklassen wolle. Selbstverständlich will auch die CSV den unter der CSV eingeschlafenen Sozialdialog „neu erfinden“. Im Sozialdialog sollen „neue Plattformen“ für Krisensituationen und die Modernisierung der Wirtschaft gesucht werden.
Auch Umweltschutz ist keine Priorität. Zwar versprach der ehemalige Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister, dass Luxemburg sich „ökologisch neu aufstellen“ müsse. Aber er will die „Autobahnen – in der Mehrzahl – auf drei Spuren ausweiten“ und nach der Verabschiedung des Omnibus-Gesetzes zur Verkürzung der Verwaltungswege „tabulos“ alle Gesetze „auf ein Minimum zurückschreiben, das wir brauchen, um Umweltschutz zu machen“.
Mehr noch als durch den Anspruch größerer Strenge unterscheidet sich die von der CSV angekündigte konservative Variante von der von DP, LSAP und Grünen verkörperten und dann nicht richtig durchgehaltenen modernen Sparkoalition durch ihre ideologische Rechtfertigung. Malthusianismus und Identitätsängste sollen mobilisiert werden, um modisch mit Kreislaufwirtschaft und Shared economy aufgepepptes Verzichtsdenken durchzusetzen.
Dazu griff Claude Wiseler die vor 15 Jahren von Jean-Claude Juncker gegen den Rententisch geschürte Panik vor dem 700 000-Einwohnerstaat auf und steigerte sie in eine Panik vor dem 1,2-Millionenstaat. 1,2 Millionen wird laut Vorhersagen des Ageing Working Group der Europäischen Kommission die Einwohnerzahl im Jahr 2060 betragen und damit das neuerdings von der Regierung angestrebte mittelfristige Haushaltsdefizit von 0,5 Prozent erlauben. Laut Claude Wiseler sind aber drei bis vier Prozent Wachstum bis 2060 nicht möglich. Denn dazu müssten in den nächsten 40 Jahren „sechs Städte Luxemburg gebaut“ oder „jede Gemeinde verdoppelt“ werden oder „alle in den vergangenen 500 Jahren errichteten Gebäude noch einmal gebaut werden“. Zudem müssten „jeden Tag 400 000 Grenzpendler“ zur Arbeit kommen, und dann gebe es nur „noch 30 Prozent Luxemburger“ im Land. Andernfalls seien 50 Prozent der Lohnmasse als Rentenanrechte bei 24 Prozent Beiträgen nicht möglich. Die Alten dürfen also selbst entscheiden, ob sie lieber mehr Ausländer oder weniger Rente wollen. Bei allen Beschwörungen des sozialen Zusammenhalts und multikultureller Familienverhältnisse lässt die CSV keinen Zweifel daran, was sie schlimmer findet.