d'Land: Professor Pissarides, in den vergangenen Monaten wurde Zypern dafür gescholten, dass seine Finanzbranche zu groß geworden ist. Sie haben in der Vergangenheit gesagt, Luxemburg sei schlimmer als sonst irgendwer in Europa. In Luxemburg haben die Entscheidungsträger den Vergleich mit Zypern zuückgewiesen, weil die meisten Banken in ausländischem Besitz seien. Sind Sie damit einverstanden, dass die Situation in Luxemburg eine andere ist als in Zypern?
Christopher Pissarides: Erst einmal zum Ursprung dieser Aussage: Die Eurogruppe hat gesagt, dass Zypern ein Spezialfall sei, weil die Finanzbranche viel zu groß sei und sie auf die Größe der Finanzbranche in der EU zurückgeschnitten werden müsse. Das Verhältnis zwischen dem zypriotischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Finanzbranche liegt bei sieben, der EU-Durchschnitt liegt bei 3,5, und die Eurogruppe wollte die zypriotische Finanzbranche um die Hälfte reduzieren. Wenn man sich die Zahlen anschaut, beträgt das Verhältnis zwischen BIP und Finanzbranche in Luxemburg 25, und andere Länder sind dabei, aufzuholen. Aber schaut man sich die EU an, müssen kleine Länder eine große Finanzbranche haben, das ist nur verständlich, weil es eine Exportbranche ist: Sie exportieren Dienstleistungen. Kleine Länder mit hochqualifizierten Arbeitskräften bauen eine Finanzbranche auf, weil sie keine BMW oder Mercedes exportieren können, sondern Dienstleistungen exportieren müssen oder möglicherweise den Tourismus fördern können. Als ich der Eurogruppe das gesagt habe, hat sie geantwortet: ‚Eine große Finanzbranche mit hohem ausländischen Depotvolumen ist zu volatil und ist deswegen keine gute Entwicklungsgrundlage.’ Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist Luxemburg in einer schlechteren Lage als Zypern, weil es viele ausländische Einlagen hat und sich die Kunden zurückziehen könnten, wenn sie Risiken im Finanzsystem sehen. Man könnte sagen, dass die ausländischen Depots in Luxemburg sicherer sind, viele Kontoinhaber stammen aus Deutschland, das spricht für Luxemburg. Eine Mehrheit der ausländischen Kontoinhaber in Zypern stammte hingegen aus der Ukraine, Russland oder dem Nahen Osten, Ländern, die an sich volatiler sind als die europäischen Staaten. Allerdings ist die zypriotische Finanzbranche im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung insgesamt kleiner und nur etwa die Hälfte der Einlagen ist ausländischen Ursprungs, während es in Luxemburg viel mehr ist.
Sie haben kleine Länder davor gewarnt, dem Euro beizutreten. Zypern und Luxemburg sind bereits Euro-Mitglieder. Welche Lehren sollte Luxemburg aus der Zypern-Rettung ziehen?
Lassen Sie mich das kurz richtigstellen, denn das war eine sehr kontroverse Aussage. Ich bin sehr dagegen, dass Zypern oder andere kleine Länder allein aus dem Euro austreten. Das wäre meiner Ansicht nach das schlimmstmögliche Szenario. Ich bin allerdings dafür, dass sich die Euroländer zusammensetzen und sagen: Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir wichtige Entscheidungen darüber treffen müssen, wo wir in Zukunft hinsteuern. Es wird allerdings sehr mutige Politiker brauchen, um dahin zu steuern, wo wir meiner Meinung nach hinmüssen. Politiker mit einer gröeuropäischen Vision, statt einer rein nationalen. Wir brauchen eine gemeinsame Bankenaufsicht, wir brauchen eine europäische Institution, die entscheidet, welche Banken geschlossen werden müssen, wenn sie Probleme haben. Diese Entscheidungen gehen weit über das hinaus, was bisher beschlossen wurde. Wenn die Länder dazu nicht bereit sind, falls Deutschland beispielsweise sagt, ‚Das werden wir nie akzeptieren, weil wir wollen, dass die Bundesbank solche Entscheidungen trifft‘ oder Spanien eine ähnliche Position einnimmt, dann können wir keine gemeinsame Währung aufrechterhalten. Dann müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen und uns darauf einigen, wie wir die gemeinsame Währung auf freundschaftliche und friedliche Art und Weise auflösen. Das heißt nicht, dass ich glaube, der Euro müsste aufgelöst werden oder einzelne Länder sollten austreten.
Das hört sich aber auch nicht so an, als ob Sie glauben, dass die europäische Politik diese Entscheidungen treffen wird. Was Sie fordern, geht über die Vorschläge zur Bankenunion hinaus und es ist fraglich, ob die in absehbarer Zeit integral umgesetzt werden.
Ich bin sehr pessimistisch, dass die derzeitigen Amtsträger diese Entscheidungen treffen können. Also werden wir vor uns hintrotten, die gemeinsame Währung aber nicht auflösen, denn das wäre ebenfalls eine sehr mutige Entscheidung. Wir riskieren dadurch, das Japan des Westens zu werden. Null Wachstum, hohe Schulden, wir werden jammern und nicht in der Lage sein, wirklich etwas zu unternehmen.
Was heißt das nun für die kleinen Länder?
Das mit den kleinen Ländern habe ich im Ärger gesagt, bleibe aber dabei. Ich war dermaßen involviert in den politischen Entscheidungsprozess in Zypern vor und nach den Wahlen. Die Vorgängerregierung war sehr links eingestellt und Europa hatte jedes Vertrauen in ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, verloren. Deswegen hat Europa auf die Wahlen gewartet, weil es so aussah, als ob die Konservativen gewinnen würden – die Partei, die ich vor den Wahlen unterstützt habe. Deswegen hielt mich der jetzige Präsident über die Entwicklung auf dem Laufenden und er wurde von den europäischen Entscheidungsträgern sehr ermutigt. Sogar Angela Merkel kam nach Zypern, sie hat praktisch Wahlkampf für ihn gemacht. Dann kamen die Wahlen und er erhielt immer noch ermutigende Anrufe aus Europa. Beim entscheidenden Treffen der Eurogruppe wurde dann auf einmal alles, was er sagte, vollkommen ignoriert. Er hat gesagt, die Rettungsvorschläge seien inakzeptabel, weil er im Wahlkampf, knapp zwei Wochen vorher, etwas völlig anderes versprochen habe. Dann hat die Europäische Zentralbank eine Botschaft geschickt: ‚Entweder akzeptierst du das Angebot oder wir beenden die Notversorgung der Banken mit Liquiditäten, deine zwei großen Banken sind auf der Stelle bankrott. Die Regierung wird nirgendwo anders Geld leihen können, du wirst kein Geld von der Troika erhalten, der Staat wird pleite gehen. Und das kannst du am Montag deinen Bürgern mitteilen und ihnen sagen, dass die Kontoinhaber bei den zwei großen Banken ihr Geld nicht abheben können.‘ Als musste der Präsident seinen Stolz überwinden und zustimmen. Aus diesem Blickwinkel: Wäre er nicht der Staatschef eines kleinen Landes, sondern der von 50 Millionen Einwohnern, hätten sie das nicht zu ihm gesagt. Deswegen, kleine Länder, gebt Obacht: sie könnten das auch mit euch machen.
Im Moment sieht es nicht so aus, als ob Luxemburg vor einem Bail-out steht. Deswegen gibt es nicht die gleichen Druckmittel, um das Land zu zwingen, seinen Finanzsektor zu schrumpfen als gegen Zypern. Sehen Sie in der Eurozone eine generelle Bewegung, kleine Länder mit großer Finanzbranche wie Luxemburg und Irland, dazu zu bringen, das Bankensystem auf ein „nachhaltiges“ Niveau zu schrumpfen?
Ja, es gibt Druck auf diese Länder, ihr Bankensystem zu reduzieren. Aber dieser Druck kann nicht richtig ausgeübt werden, weil sie keine Hilfe von der Eurozone brauchen. Nehmen Sie Malta. Malta hat entschieden, seine Finanzbranche auszubauen. Also haben wir in Zypern natürlich gemeutert. ‚Was ist mit Malta, die ziehen russisches Kapital an, Lettland macht dasselbe?‘ Die Antwort darauf war: ‚Was können wir tun, sie brauchen keine Hilfe von der Eurogruppe. Wir glauben immer noch, dass übergroße Finanzbranchen gefährlich sind, weil sie die Volatilität steigern, aber wenn sie diesen Weg gehen wollen, müssen wir sie ziehen lassen und hoffen, dass sie in Zukunft keine Hilfe brauchen.’ Also gibt es Druck, aber keinen Hebel, um ihn anzubringen, weil die Finanzsysteme der Länder weitestgehend abgetrennt sind.
Ist es überhaupt möglich, zu definieren, was ein nachhaltiges Niveau zwischen Bankbilanzen und BIP ist?
Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Ich stimme zu, dass die Volatilität und das Risikopotenzial steigen, je größer die Branche im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft ist. Insofern, dass wenn Fehler passieren, es einen größeren Teil der Bevölkerung betrifft. Man könnte die Regulierung in verhältnismäßig größeren Finanzzentren ausbauen, weil es keine Rückfallmöglichkeiten gibt. Es ist vergleichbar mit folgender Situation: Wenn eine kleine Bank untergeht, dann bekommt die Wirtschaft Schnupfen, wenn eine ganz große Bank untergeht, stirbt die Wirtschaft und es gibt kein Mittel dagegen. Also versucht man, die tödliche Krankheit zu vermeiden, ohne sich Gedanken über den Schnupfen zu machen. Wenn es die gemeinsame Bankenaufsicht gibt, könnte sie striktere Maßnahmen für große Finanzzentren durchsetzen, weil es keine Rettung für diese Wirtschaften gibt, wenn sie krank werden.
Sie haben darauf hingewiesen, dass Zypern die europäische Finanzregulierung strikt eingehalten hat, dass sie aber auf große Länder zugeschnitten ist. Wie könnte sie an kleine Länder angepasst werden?
Wenn es in einem kleinen Land ein großes Finanzzentrum gibt, muss die Regulierung strikter sein, zum Beispiel im Bezug auf das Wertpapierportfolio der Bank. Man könnte höhere Bargeldreserven verlangen oder überlegen, welchen Anteil an Staatsanleihen sie im Vergleich zu anderen Anlageklassen halten müssen. In Zypern hatten die Banken vor allem in zwei Anlageklassen investiert: griechische Staatsanleihen und den heimischen Immobilienmarkt. Der Wert ersterer hing davon ab, was in Griechenland passiert ist, und auch vom haircut. Der Immobilienmarkt hing vom Verhalten ausländischer Investoren ab, weil der Immobilienboom hauptsächlich von Ferienwohnungen herrührt, die von Briten und Russen gekauft wurden. Die Probleme begannen, als der britische Immobilienmarkt zusammenbrach, die Briten ihre Häuser in Zypern verkauften, um ihre Hypotheken in Großbritannien zurückzuzahlen. Das Gleiche ist in Spanien passiert. Man dürfte eine solche Konzentration von Risiken nicht zulassen.
Hierzulande haben Entscheidungsträger argumentiert, dass Finanzzentren wie Luxemburg positiv zum Wachstum der Eurozone beitragen, weil sie Eingangstüren für ausländisches Kapital und damit Investitionen in den Währungsraum seien. Teilen Sie diese Analyse? Ist es in dem Fall überhaupt wünschenswert, solche Finanzzentren zu schrumpfen?
Ich glaube, dass Finanzzentren wie Luxemburg oder Zypern ihren Beitrag in der Eurozone leisten, weil sie fremdes Kapital anziehen, das möglicherweise innerhalb der Zone angelegt wird. Zypern zum Beispiel hat sehr viel russisches Geld angezogen, dadurch entstanden Arbeitsplätze in Zypern, mit den Steuern wurden Infrastrukturprojekte im Land finanziert. Wegen dieser Steuern konnte die Körperschaftssteuer in Zypern auf niedrigem Niveau gehalten werden, dadurch wurde die Geschäftsaktivität in Zypern angeregt und deswegen gibt es einen im Vergleich zu Griechenland oder Italien großen Unternehmenssektor. Jetzt gehen viele Russen aus Zypern fort. In Europa bleiben sie deswegen aber nicht, trotz der Ermutigungen aus Malta und Lettland. Sie gehen nach Singapur und Hongkong, das sagen ihre Buchhalter, die sich um die Konten kümmern. Sie verlassen Europa, weil sie von Europa genug haben und von der Art und Weise, wie die Eurogruppe mit ihnen umgegangen ist.