Der Menschenauflauf war gro?, als am Dienstag die Studie Formation des salaires et indexation automatqiue ? Analyse comparative de quatre pays europ?ens im Wirtschaftsministerium vorgestellt wurde, der zufolge die Lohnindexierung langfristig keine besondere Rolle in der Lohngestaltung spielt. UEL, Handwerkerverband, Handelskammer, Gewerkschaftsvertreter des ?ffentlichen Diensts und des Privatsektors sowie die Arbeitnehmerkammer waren vertreten. Es herrschte fast ein bisschen Tripartite-Stimmung. Nur dass die Journalisten, statt vor der T?r herumzustehen, ebenfalls mit am Tisch sa?en. Der einzige, der fehlte, war Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP). Er blieb der Veranstaltung bewusst fern, weil er ?nicht den Eindruck geben wollte, die Studie sei politisch gesteuert, was sie definitiv nicht ist?. Eine Aussage, die bei Arbeitgebervertretern mit Humor ein herzliches Lachen ausl?sen d?rfte. Jean-Jacques Rommes, administrateur d?l?gu? der UEL, findet es ?schwierig an die Neutralit?t der ?bung zu glauben?. ? V?llig verdenken kann man ihm das nicht. Denn Ausgangspunkt der Studie, die vom Observatoire de la Comp?titivit?, das dem Wirtschaftsministerium untersteht, bei der Uni in Auftrag gegeben wurde, war eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2011. In Labour market developments in Europe, 2011 waren die Volkswirte der Kommis?sion bim Vergleich der Elemente, die in 28 europ?i?schen L?ndern zur Lohngestaltung beitragen, zur Schlussfolgerung gelangt, dass: ?Finally, the sample is split between between countries characterised by the presence of automatic indexation mechanisms either established by law or by collective bargaining (...). It appears, in line with expectations, that the countries with indexation systems exhibit on average a weaker reaction of wages to unemployement and terms of trade, after controlling for their response to prices and productivity.? ? Aus dem Wirtschafts-Englischen ?bersetzt soll das hei?en, dass in Index-Staaten, im Vergleich mit L?ndern ohne solche Systeme, die Geh?lter weniger stark sinken, wenn die Arbeitslosigkeit steigt oder die Wettbewerbsf?higkeit sinkt. Studien?ergebnisse, auf die sich EU-Kommission, OECD oder Internationaler W?hrungsfonds (IWF) st?tzten, um Luxemburg immer wieder zu mahnen, der Index m?sse abgeschafft werden, erkl?rte der Vorsitzende des Observatoire de la Comp?titivit?, Statec-Direktor Serge Allegrezza, am Dienstag. ? In der Economic survey 2012 meinten die Vertreter der OECD: ?The system of automatic legislated indexation of wages to consumer prices in principle limits flexibility, both to respond to macroeconmic shocks and to allow the required adjustments in relative wages across firms and industries (...). Nach dem letzten Besuch seiner Volkswirte im Fr?hling teilte der IWF mit: ?They noted that despite a strong external position, the country might be pricing itself out of some activities because of substantial labor cost increases Directors encouraged the authorities to adjust the wage indexation machanism to better link wage and productivity movements.? Der Rat der Europ?ischen Union empfahl im Rahmen des europ?ischen Semesters 2014, dass Luxemburg ?in Abstimmung mit den Sozialpartnern und unter Ber?cksichtigung der nationalen Gepflogenheiten z?gig strukturelle Ma?nahmen zur Reformierung des Lohnindexierungssystems erl?sst, um die L?hne st?rker an die Produktivit?tsentwicklungen anzupassen (vor allem auf Branchenebene)?. ? Wenn sich im internen Stellungskrieg um den Index die Arbeitgeberverb?nde gerne auf die Empfehlungen von OECD, IWF und anderen st?tzen, um ihre Forderungen zu untermauern, sind es die Empfehlungen des EU-Rats, die f?r Luxemburg potenziell am folgenreichsten sind. Denn im Rahmen des europ?ischen Semesters und der Prozedur f?r volkswirtschaftliche Ungleichgewichte ? nach dem Fall Griechenland eingef?hrt, um in der Eurozone eine gewisse volkswirtschaftliche Homogenit?t durchzusetzen ? k?nnen Eurol?nder zu Strukturma?nahmen gezwungen werden. ? Dabei, f?gte Arnaud Bourgain von der Uni Luxemburg am Dienstag hinzu, bestanden Zweifel am Aufbau und an der Aussagekraft der Kommissions-Studie, auf der die Empfehlungen beruhen. Der Blick auf die Entwicklung der nominalen Stundenl?hne und der Produktivit?t pro Stunde (Grafik 1 bis 4) zeigt, wie die in Deutschland ab Mitte der Neunziger die Lohnm??igung eingesetzt hat, die Geh?lter dort deutlicher langsamer anstiegen. Doch das allein lasse nicht den R?ckschluss zu, dass das schnellere Ansteigen der L?hne in Luxemburg dem Index geschuldet sei, versuchte Bourgain dem Publikum zu erkl?ren. Die vom Observatoire beauftragten Forscher haben deshalb Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg miteinander verglichen ? zwei L?nder mit, zwei L?nder ohne Index-System ?, um zu analysieren, ob der Index die Geh?lter, langfristig gesehen, unflexibel macht. Ihr Ergebnis lautet eindeutig: Nein. Denn in Deutschland und Frankreich schlagen ihren Berechnungen zufolge Verbraucherpreissteigerungen via Tarifverhandlungen genauso stark auf die Geh?lter durch wie in Belgien und Luxemburg ? der Index wirkt ?berall, ob gesetzlich verankert oder nicht.? ?Wenn ich das richtig verstanden habe, k?nnte das Index-System abgeschafft werden, ohne Einbu?en f?r die Arbeitnehmer??, fragte deshalb am Dienstag Jean-Jacques Rommes lakonisch. Worauf ihm Arbeitnehmervertreter antworteten, der durch den Index garantierte soziale Frieden sei statistisch schwer zu bemessen, daf?r aber dennoch wertvoll. Tats?chlich werfen die Ergebnisse die Frage auf, ob der Index nicht auch die Unternehmen vor dar?ber hinausgehenden Lohsteigerungen sch?tzt. Denn im f?r seine Tarifautonomie lobgepriesenen Deutschland gelingt es den Arbeitnehmern anscheinend besser, sich Produktivit?tssteigerungen und die Verbesserung der Wettbewerbsf?higkeit entlohnen zu lassen als in Luxemburg (siehe Tabelle). ? Auch kurzfristige Preisschocks schlagen in Luxemburg mit Indexsystem weniger stark auf die Geh?lter durch als in den Nachbarl?ndern (siehe Grafiken 5 und 6). Das veranlasste Serge Allegrezza am Dienstag zu sagen: ?Es ist in der Tat so, dass die Wichtigkeit, die wir dem Index beimessen, nicht so gro? ist, und dass wir deswegen gro?es Interesse daran h?tten, nach den anderen Faktoren zu suchen, um wettbewerbsf?hig zu sein, anstatt uns immer auf den Index zu fokalisieren. Das ist kongruent mit der Diskussion, die die Regierung vor Kurzem gef?hrt hat.?? Dass es allerdings eine Diskussion gab, bestreitet Jean-Jacques Rommes, der als UEL-Vertreter vergangenen Freitag der definitiven Index-Sitzung der Sozialpartner mit der Regierung beiwohnte. ?Abgesehen vom Inhalt der Studie ist es ein seltsames Man?ver, dass sie nach den Treffen vorgestellt wurde?, sagt er. ?Hier wird unser Problem im Nachhinein an die Wand projiziert, aber dar?ber geredet wird nicht.? Was er damit meint, sind die Grafiken 1 bis 4: ?Wir haben die flachste Produktivit?tsentwicklung, Deutschland hat die flachste Geh?lterentwicklung. Und man sieht, dass in den letzten Jahren in Luxemburg die Geh?lter schneller angestiegen sind als die Produktivit?t. Wir haben den Index nicht zu unserer Religion erkoren.? Die Inflation sei in Luxemburg h?her als bei den Handelspartnern. ??ber dieses Problem h?tten wir gerne geredet.? Doch dieses Gespr?ch habe die Regierung den Arbeitgebern verwehrt. ? Dass die L?hne tats?chlich schneller angestiegen sind als die Produktivit?t, glaubt indes nicht jeder. Sylvain Hoffmann, beigeordneter Direktor der Arbeitnehmerkammer, f?hlt sich einerseits von der Uni-Studie best?tigt: ?Sie zeigt, dass die L?hne nicht ?ber die Ma?e angestiegen sind.? Das gilt f?r ihn andererseits umso mehr, als er auf die Schwierigkeiten bei der Messung der Produktivit?tsgewinne oder -verluste in der Luxemburger Wirtschaft hinweist. Denn bei den Dienstleistungen ? die in Luxemburg am meisten zum Bruttoinlandsprodukt beitragen ? sei es besonders schwierig, solche Gewinne oder Verluste zu messen. Ein Problem, auf das auch das Statec in der Vergangenheit schon hingewiesen hat. Deshalb ist die Arbeitnehmerkammer der Ansicht, dass die Produktivit?tssteigerungen in Luxemburg untersch?tzt werden. ? Ob die ewig w?hrende Debatte nach dem Index-Treffen vom Freitag und der neuen Index-Studie wirklich abgeschlossen ist, bleibt nicht nur deshalb fraglich, weil auch das unterschiedliche Interpretieren von Statistiken durch die Sozialpartner eine lange Tradition hat. Sondern auch, weil die Arbeitgeber den Regierungsvorschl?gen ,bis 2018 nur dann den Index zu modulieren, wenn es die Inflationsentwicklung notwendig macht, vergangene Woche nicht zustimmten. Es gebe weder eine Garantie, dass nur eine Index-Tranche j?hrlich erfalle, sagt Jean-Jacques Rommes, noch sei klar, wie die Regierung ?berhaupt vorgehen wolle, falls die Inflation doch st?rker steigt als die aktuellen Sch?tzungen vorhersagen. W?hrend die UEL bef?rchtet, dass die Regierung nicht einschreitet, falls mehr als zwei Tranchen binnen zw?lf Monaten f?llig w?rden, warnte LCGB-Pr?sident Patrick Dury am Dienstag f?r den gleichen Fall, die Regierung k?nne erneut modulieren. Staatsminister Xavier Bettel (DP) hatte nach dem Treffen nur Unverst?ndnis f?r die Haltung der Arbeitgebervertreter ?brig. ?Es gibt Sachen, die sind nicht zu verstehen?, so Bettel. Unverst?ndnis, das nicht nur der ?ffentlichen Darstellung gilt. Auch hinter verschlossenen T?ren sei deutlich zu sp?ren gewesen, dass die Arbeitgeber es sich mit der blau-rot-gr?nen Regierung ?verschass? h?tten, wie ein Beobachter sagt. Umso spannender versprechen die f?r den Herbst angesetzten neuerlichen Treffen mit den Sozialpartnern zu werden, wenn ?ber andere Ma?nahmen zur F?rderung der nationalen Wettbewerbsf?higkeit gesprochen werden soll.
Romain Hilgert
Kategorien: Soziale Beziehungen
Ausgabe: 11.07.2014