Sozialwahlen

Majorznostalgie

d'Lëtzebuerger Land vom 11.07.2014

Ein wichtiger Bestandteil des Luxemburger Modells der Sozialpartnerschaft sind allgemeine, freie und geheime Sozialwahlen zu den Betriebsausschüssen, den Berufskammern und den Selbstverwaltungsgremien der Sozialversicherung. Sie verschaffen dem Modell in einem vom Arbeitsrecht nicht für ausgewogen gehaltenen Verhandlungsrahmen die demokratische Legitimation. So wie die Zahl der Wahlbezirke und die Sitzberechnung bei Kammerwahlen die größten Parteien bevorteilen, unterliegen auch die Sozialwahlen manchmal etwas besonderen Regeln, um das Verhältniswahlrecht einzudämmen und die größten Gewerkschaften zu stärken. Sei es, weil die größten Gewerkschaften meist Regierungsparteien nahestehen oder der Regierung größere Unannehmlichkeiten bereiten können als kleinere, sei es, weil so eine Zersplitterung der Gewerkschaftsszene verhindert werden soll, bei der es Unternehmern und Regierung schwer fällt, verlässliche Verhandlungspartner zu finden und sich die einzelnen Gewerkschaften mit ihren Forderungen überbieten müssten.

Ein Beispiel für den heimlichen Hang zum Majorzsystem, wie er im 19. Jahrhundert allgemein und noch heute in kleineren Gemeinden üblich ist, war der jahrelange Kampf um eine neue Definition der nationalen Repräsentativität der Gewerkschaften. Er endete damit, dass die Neudefinition maßgeschneidert für die in ihrer wichtigen Branche nun einmal unumgängliche Bankengewerkschaft Aleba und auf Kosten aller anderen Gewerkschaften jenseits von OGBL, LCGB und CGFP ausfiel. Die Folge war, dass alle zuvor in immer neuen Wahlbündnissen zusammengeschlossenen Splitterorganisationen sang- und  klanglos untergingen und der Einfluss der NGL sich auf ein paar Betriebe beschränkt.

Noch kasuistischer regelt die Regierung nun den Konflikt zwischen der CGFP und der Lehrergewerkschaft Apess in der Berufskammer der Beamten und öffentlichen Angestellten. Von den drei der oberen Laufbahn vorbehaltenen Sitzen in der Berufskammer gingen bei den Sozialwahlen im Frühjahr 2010 zwei an die CGFP und einer an die Apess. Allerdings waren alle drei Gewählten Lehrer, und das Gesetz über die Berufskammern schreibt vor, dass nicht mehr als zwei Vertreter derselben Verwaltung angehören dürfen. Da der Lehrergewerkschaft Apess zwangsläufig nur Lehrer angehören, beschloss die CSV/LSAP-Regierung deshalb, dass auch der dritte Sitz an die CGFP ging, an einen Kandidaten aus einer anderen Verwaltung. Die Apess fühlte sich um ihr Mandat betrogen und klagte vor dem Verwaltungs- und Verfassungsgericht, bis der Verfassungshof im Dezember vergangenen Jahres den Regierungsbeschluss für nichtig erklärte, weil er im Widerspruch zum ersten Artikel der Verfassung stehe, laut dem Luxemburg ein demokratischer Staat sei. Der Regierungsentscheid war also implizit undemokratisch.

Um so fantasievoller sind die Lösungen, welche die DP/LSAP/Grüne-Regierung nun gefunden hat, um der Forderung des Verfassungshofs nach einer demokratischeren Regelung nachzukommen und es dennoch nicht mit der mächtigen CGFP zu verderben: Zuerst beschloss sie, den strittigen dritten Sitz bis zu den Sozialwahlen nächstes Jahr unbesetzt zu lassen, so dass die Apess weiterhin leer ausgeht. Und nun lässt sie nächste Woche eine Änderung des Gesetzes über die Berufskammern stimmen, um noch schnell vor Beginn der Wahlvorbereitungen im Herbst die Gruppe der oberen Laufbahn beim Staat in zwei Untergruppen aufzuteilen: eine für zwei Lehrervertreter und eine für einen Beamten aus einer anderen Verwaltung. Nach dem bisherigen Kräfteverhältnis kann die CGFP hoffen, die beiden Lehrermandate zu erhalten, für die Untergruppe der Nicht-Lehrer kann die Apess gar nicht kandidieren. Sie läuft Gefahr, wieder leer auszugehen. Was zu beweisen war.

Romain Hilgert
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