Wenn sie sich die vergangene Woche vom Tageblatt veröffentlichten Ergebnisse einer im Frühjahr durchgeführten Wählerbefragung ansieht, fühlt die DP endlich Aufwind. Denn danach verloren die beiden Regierungsparteien CSV und LSAP in jedem der vier Wahlbezirke zusammen sieben oder acht Prozentpunkte Sympathien, die CSV meist sogar mehr als die LSAP. Davon gingen im Süden und Zentrum ein Drittel der verlorenen Stimmen an die DP, in den beiden kleinen, konservativeren Bezirken sogar zwei Drittel der Stimmen.
Wären in den vergangenen Monaten Kammerwahlen gewesen, hätte die DP zwei Abgeordnetenmandate, im Zentrum und im Süden, hinzugewonnen. Damit wäre sie wieder so stark wie die LSAP. Nach einem zehnjährigen Marsch durch die Wüste kann sie sich derzeit begründete Hoffnungen machen, dass es nächstes Jahr klappen wird und sie wieder der Regierung angehört.
Weil die lange erfolglos sich erneuernde DP mit dem Ende Januar offiziell zum Präsidenten und inoffiziell zum Spitzenkandidaten gewählten Xavier Bettel erstmals wieder über einen Publikumsliebling an ihrer Spitze verfügt, der die DP selbst im Vergleich zu den aufstrebenden Grünen nicht mehr als die älteren und müderen Liberalen erscheinen lässt. Weil Unternehmerverbände mit eigens gegründeten Vereinen so intensiv wie kaum jemals zuvor Lobbyarbeit für die Abwahl der derzeitigen Koalition leisten. Und weil die Regierungskoalition nicht nur die Zeche für die Auswirkungen der nicht enden wollenden Krise, ihre Sparpakete und Steuererhöhungen zahlen muss, sondern auch weil sie nach den haarsträubenden Geheimdienst-, Bommeleeërten, Cargolux- und anderen Affären moralisch gründlich diskreditiert erscheint.
Die Regierung sei am Ende, es fehle ihr an Eingebung, sie habe keine Ideen mehr, stellte DP-Generalsekretär Fernand Etgen am Samstag auf dem ordentlichen Parteitag in Junglinster vor über 200 Mitgliedern fest. Im Rücken wieder den mannshohen, leeren Pappkarton mit der Aufschrift „Do ass méi dran“, der die vielen Ideen der DP enthalten soll. Weil nach der Bettel-Kür vor fünf Monaten nicht mehr viel zu sagen war, ging der Kongress bereits nach zweieinhalb Stunden in ein Familienfest über, mit Luxemburger Grillwurst vom Parkplatz vor der Mehrzweckhalle.
Weil die Regierung am Ende sei, so Etgen, sei die DP bereit, ihre Verantwortung gegenüber dem Land zu übernehmen, sie wolle „mit weniger Geld eine bessere Politik“ betreiben. „Wir haben unseren Stall in Ordnung, CSV und LSAP müssen ihren Stall noch ausmisten“, warf der Nordabgeordnete Radio und Fernsehen ein gebrauchsfertig abgepacktes Häppchen O-Ton zu. Denn die Regierung sei auch die Regierung der Rekordarbeitslosigkeit und des hohen Staatsdefizits. Die Regierungspolitik beschränke sich nur noch auf Entscheidungen, die 2015, also von der nächsten Regierung, ausgeführt werden müssten, wie die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes oder der Beträge zur Pflegeversicherung.
Angesichts immer neuer Enthüllungen über die Machenschaften des Geheimdienstes und zwei Tage nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen die Regierung im Parlament forderte der Abgeordnete Eugène Berger den Kongress zu einer Solidaritätsbekundung für einen ehemaligen Bezirksvorsitzenden der DP auf, über den der Nachrichtendienst Pädophilie-Gerüchte gestreut habe. Zudem war die Tagesordnung des Parteitags kurzfristig geändert worden, damit die ehemalige Außen- und Justizministerin Colette Flesch als moralische Instanz der Partei den „Rechtsstaat und die Gewaltentrennung in Not“ erklären konnte. Am Beispiel der Joerhonnertaffär der Achtzigerjahre verglich sie die Haltung einer liberalen Justizministerin mit derjenigen eines CSV-Justizministers, der die Justiz zu entmutigen versuchte, die Anschläge der Bombenleger aufzuklären.
Doch die DP gab sich sorgfältig Mühe, nicht nur über die derzeitigen Skandale von CSV und LSAP zu reden, sondern auch über Wirtschafts- und Strukturpolitik, über „Schule, Wohnen, Verkehrsstau“, so Zentrumspräsident Guy Daleiden. Sie will nicht den Eindruck erwecken, dass sie sich bloß kurzfristig von Regierungsskandalen ernährt, sondern politische Weitsicht und ihr Verantwortungsbewusstsein unterstreichen. Sie will nicht nur dafür werben, dass „Ehrlichkeit der Trumpf liberaler Politik ist“, wie der Sprecher der Lokalsektion, Gilles Braun, behauptete, sondern auch für ihre programmatischen Vorschläge.
Dazu erwartete Fraktionspräsident Claude Meisch „einen klaren Auftrag, das Land zu erneuern, wirtschaftlich, sozial und moralisch“. Die DP habe sich für diesen Auftrag in „Gesprächen mit Experten und in ihren Kompetenzteams“ vorbereitet. Weil mit der Arbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung „eine reihe schwerer Jahre“ bevorstünden, gab Meisch die Losung für die kommende Legislaturperiode aus: „Heute etwas langsamer treten, um morgen solider dazustehen“. Deshalb habe die DP sogar als Oppositionspartei eine Rentenanpassung abgelehnt, den Ausfall einer Indextranche vorgeschlagen und sich gegen das Gehälterabkommen im öffentlichen Dienst ausgesprochen. Wobei er sich aber gleich dagegen wehrte, dass die Liberalen als „die Partei der sozialen Kälte“ dargestellt werden. Denn Renten, Index und Gehälter seien heute gar kein Teil der sozialen Frage mehr, sondern die Ausbildung, das Wohnen, die Kinderbetreuung und die Energiefalle.
Wobei die DP zögert, in die traditionelle Rolle der liberalen Steuersenkungspartei zu schlüpfen. Fernand Etgen kündigte zwar für den Fall des erfolgreichen „Politikwechsels“, also einer Regierungsbeteiligung seiner Partei, ein „systematisches Screening der Staatsausgaben“ an, ein Versatzstück aus der hauptstädtischen Kommunalpolitik, und eine „allgemeine Steuerreform“. Doch Fraktionssprecher Claude Meisch stellte klar, dass „wir nicht im Wahlkampf sagen werden: ‚Mit uns wird es keine Steuererhöhungen geben.’ Das kann ich „angesichts der desaströsen Lage der Staatsfinanzen, die CSV und LSAP hinterlassen haben, nicht unterschreiben.“ Dafür versprach er eine Steuerreform, welche „die Wettbewerbsfähigkeit fördert, den veränderten Lebensgewohnheiten Rechnung trägt, die Leistung belohnt, zu Investitionen ermutigt und eine berechenbare Steuerlandschaft hinterlässt“. Wer diese liberale Umverteilung, außer den von der DP umworbenen Mittelschichten, bezahlen soll, sagte er nicht.
Präsident Xavier Bettel versprach den Parteimitgliedern im Saal: Das gescheiterte Misstrauensvotum gegen „Herrn Frieden ist eine Sache“, die zunehmenden Vorwürfe gegen Jean-Claude Juncker machten ihm aber „viel mehr Sorgen“. Denn es gehe in einem Rechtsstaat nicht, dass der dem Premier unterstellte Geheimdienst eine Affäre gegen den Oberstaatsanwalt und andere Leute konstruiere und dazu Zeugen bezahle. Um das zu erkennen, brauche man keinen Zwischenbericht eines parlamentarischen Ermittlungsausschusses abzuwarten. Die institutionelle Krise sei eine CSV-Krise, doch der LSAP habe vergangene Woche der Mut gefehlt, ihre Chance zu ergreifen und auf Distanz zur CSV zu gehen. Bettel stellte sich die Frage, zu welchem Zweck sich Jean-Claude Juncker und Jean Asselborn noch einmal gegenseitig gerettet hatten. Weil das Land wichtigere Probleme habe, rief Bettel die CSV auf, „Schluss mit diesen Affären“ zu machen. Es könne sich keine Regierung leisten, die alle Entscheidungen auf die nächste Legislaturperiode aufschiebe und noch ein Jahr zusammenbleiben wolle, um nichts zu tun.
Ein Problem der DP – sowohl gegenüber den Wählern, als auch gegenüber den eigenen Mitgliedern – bleibt, dass Xavier Bettel selbstlos angekündigt hatte, im Fall einer Regierungsbeteiligung seiner Partei auf ein Ministeramt zu verzichten. Denn dem Spitzenkandidaten des Juniorpartners in einer Regierung fällt traditionell das Amt des Vizepremiers und Außenministers zu. Doch weil die regierende Koalition mit jedem Tag brüchiger wird, wird die Zeit für eine Kehrtwende knapper. Deshalb begann Bettel am Samstag schon zu lavieren: Er verkörpere nicht die DP, welche über unzählige fähige Leute in verantwortlichen Positionen verfüge. Aber für den außerordentlichen Fall einer Regierungskrise und vorgezogener Neuwahlen habe er sich in den vergangen Tagen immer wieder überlegt, ob er nicht im übergeordneten Interesse doch Minister werden müsste.
Hatte Colette Flesch vor über 30 Jahren während einer Fernsehdebatte die tiefschürfende Feststellung getroffen: „Den Avenir läit an der Zukunft“, so korrigierte Xavier Bettel in einem anderen Zusammenhang am Samstag Lao-Tse mit der nicht weniger bahnbrechenden Erkenntnis: „De But ass Ziel.“ Die liberale Partei ist auch die Partei der Tautologie.